Leserbrief zu einem russischsprachigen Aufruf zu einer “Friedensmahnwache”

Leserbrief von Vera Lange,
Marion Lange und Holger W. Lange

In den sozialen Netzwerken kursiert ein Aufruf des Teams Todenhöfer zu einer vorgeblichen Friedensmahnwache am kommenden Sonntag in Bad Kreuznach. Dieser Aufruf sorgt unter den ukrainischen Flüchtlingen für große Bestürzung und Angst. Die nicht russischsprechende Bevölkerung Bad Kreuznachs dürfte kaum Kenntnis von dem Inhalt haben. Zudem bitten wir alle politisch Verantwortung Tragenden unter Ihnen angemessen darauf zu reagieren und Stellung zu beziehen. Gleichzeitig wäre es wünschenswert, eine Gegenveranstaltung zu veranlassen.

Fassungslosigkeit herrscht unter den Flüchtlingen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine, die in Bad Kreuznach Schutz und Aufnahme gefunden haben: In den sozialen Netzwerken kursiert ein Aufruf des Teams Todenhöfer zu einer Friedensmahnwache in Bad Kreuznach. Gehalten ist der Aufruf in den Farben Weiß, Blau, Rot – den Farben der russischen Nationalflagge – und der einzige deutschsprachige Teil des Aufrufs gibt die reinen Daten an: was wann, wo, von wem. Alles andere steht hier lediglich auf Russisch:

[übersetzt] “genehmigte Demonstration in Bad Kreuznach [es folgen die drei Zeichen ‘deutsche Flagge’, ‘Herz’, ‘russische Flagge’] Thema: Freundschaft Deutschlands und Russlands; Aufhebung der Sanktionen; gegen Waffenlieferungen an die Ukraine.” Die Fassungslosigkeit ist nur zu verständlich, führt die russische Regierung unter Putin doch seit dem 24.02.2022 einen völkerrechtswidrigen Vernichtungskrieg gegen die Ukraine und das ukrainische Volk. Die Bilder von Butscha waren keine grausame Ausnahme, sie waren und sind die Regel!

Mariupol und weitere Städte und Ortschaften sind weitgehend zerstört; auch sie sind kein Kollateralschaden, sondern bewusst geplanter Teil der Kriegsführung. Es ist zynisch, in diesem Kontext zu einer Friedensmahnwache aufzurufen und die deutsch-russische Freundschaft zu beschwören. Putin ist an einer solchen Freundschaft nicht interessiert! Herr Todenhöfer täte gut daran, diesen Fakt zur Kenntnis zu nehmen. Und wieso findet der Aufruf in russischer Sprache statt? An wen richtet er sich?

Sicherlich nicht an die Kreuznacher und Kreuznacherinnen, die mit viel Engagement und Hilfsbereitschaft die Flüchtlinge aufgenommen haben und nun versuchen, ihnen trotz der Situation in ihrer Heimat und den Sorgen und Ängsten um die Zurückgebliebenen eine Zukunftsperspektive zu geben. Erinnern wir uns vielmehr an den 4. April 2022, als in Bad Kreuznach eine der deutschlandweit ersten und größten Pro-Putin-Demonstrationen stattfand, auf der ungeniert das Z-Symbol gezeigt wurde.

Teilnehmer der damaligen Demonstration waren überwiegend junge Russlanddeutsche, deren Familien nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion nach Deutschland migrierten. Bei diese Demonstrationsteilnehmern hat offensichtlich die Integrationspolitik völlig versagt! Wie kann es sein, dass Nachkommen der vom stalinistischen Terror ebenso wie die Ukrainier betroffenen Russland- und Wolgadeutschen heute unreflektiert pro Russland bzw. korrekter pro Putin agieren?

Und sollte das kollektive Gedächtnis nicht bis zum stalinistischen Terror zurückreichen, der zu einem Genozid an den Ukrainern und der Deportation der Wolgadeutschen nach Sibirien und Zentralasien führte, so sollte doch die Erinnerung an die ablehnende Haltung Russlands gegenüber den Aussiedlern noch frisch sein, wenn diese zu Besuch nach Russland fuhren: Im Gegensatz zu den tschistie Nemzy, den ‘reinen Deutschen’, wurden sie oftmals mit Verachtung behandelt, galten sie doch als Fahnenflüchtige, die Russland und den zentralasiatischen Staaten in dem Moment den Rücken kehrten, als es dort wirtschaftlich ungemütlich wurde.

Was bewegt eben diese Menschen dazu, sich für ein diktatorisch regiertes Land starkzumachen, in dem jede Form von freier Meinungsäußerung mit Gefängnis und Lagerstrafen geahndet wird (Solschenitzyns ‘Archipel GULAG’ existiert nahezu unverändert wie zu Stalins Zeiten), ein Land, aus dem die Menschen hunderttausendfach (und mehr) ins Ausland fliehen, ein Land, in dem staatlich organisierter Terror gegen die eigene Bevölkerung auf der Tagesordnung steht?

Wir können nur hoffen, dass sich all diejenigen, die den diktatorischen Terror Putins und seiner Getreuen gegen die russische Bevölkerung, gegen die Ukraine und gegen die demokratischen Grundwerte verurteilen, zu einer Gegendemostration versammeln werden. Und wir erwarten von der Stadt Bad Kreuznach ein rigoroses Durchgreifen, sollten wieder verfassungsfeindliche Symbole wie das Z-Symbol gezeigt und Pro-Putin-Rufe skandiert werden!