Notausstieg aus dem ÖPNV-Finanzkollaps

Zusammengefaßt und bewertet von unserem Redakteur
Claus Jotzo

Wenn ein Bus verunglückt, dann stehen den Fahrgästen mehrere Notausstiege zur Verfügung. Nachdem einige Optionen durch Mut- und Konzeptionslosigkeit vertan wurden, hat die Bad Kreuznacher Kommunalpolitik heute in der Stadtratssitzung eine letzte Möglichkeit. Um sich einer Aufgabe zu entziehen, die zwar wichtig ist. Aber für die Stadt finanziell ein paar Nummern zu groß: die Verantwortung für den ÖPNV. Der Stadt fehlt schlicht das Geld, um sich als Aufgabenträgerin aufzuspielen. Ich habe fünf Jahre als Mitglied im Rat der Stadt Bad Kreuznach mitgearbeitet. Zuvor zehn Jahre in den Ausschüssen. Und weiß daher aus eigener Erfahrung, wie gut das Gefühl ist, für andere etwas zu bewirken.

Aber dazu müssen auch die finanziellen Mittel vorhanden sein. Wer Politik für die Menschen machen möchte, muss vor allem ehrlich sein. Und ihnen sagen, was aus welchen Gründen nicht möglich ist. In Bad Kreuznach zählt zu den unbezahlbaren Träumen ein von der Stadt mitgetragener, attraktiver ÖPNV. Wer etwas anderes sagt, muß seinen Ratskolleg*Innen und Mitmenschen erklären, woher konkret er die Millionen nehmen möchte, die zu zahlen wären. Und auf welche bisher von der Stadt erbrachten Leistungen künftig verzichtet werden soll, um ÖPNV in Mitverantwortung der Stadt möglich zu machen. Das haben die ÖPNV-Befürworter*Innen bis heute nicht ein einziges Mal konkret dargelegt. Und die Kritiker*Innen haben es jahrelang versäumt, die Antwort einzufordern.

Das Thema ÖPNV steht heute gleich mehrfach auf der Tagesordnung des Stadtrates. Drei Anträge von FDP, AfD und der Fraktion Faire Liste / BüFEP stehen zur Diskussion. Mit vielen interessanten Hinweisen. Aber ohne konkrete Lösungen. Weil ich es leid bin, dass die Verantwortungsträger*Innen nach Fehlentscheidungen immer jammern, sie hätten es halt nicht besser gewußt, schreibe ich gern vorher, was ich heute machen würde. Wenn ich noch immer (oder wieder) Ratsmitglied wäre. Ich würde mich schon ganz am Anfang der Sitzung zur Tagesordnung zu Wort melden. Und den Antrag stellen den Tagesordnungspunkt (TOP) 3 “Neu-Besetzung einer Stelle im Aufsichtsrat der KRN Kommunalverkehr Rhein-Nahe GmbH” abzusetzen.

Nicht weil ich Emanuel Letz ein weiteres Pöstchen nicht gönnen würde. Oder gar gegen die Abberufung der Ex-OBin wäre. Sondern weil zunächst einmal grundsätzliche Fragen geklärt werden sollten. OB Letz und dem Stadtrat war bisher die Abberufung und Umbesetzung nicht wichtig. Den sonst wäre dieser Punkt bereits in der Stadtratssitzung am 21. Juli behandelt worden. Dann wäre heute Nachmittag Manfred Rapp in der KRN-Aufsichtsratssitzung, wie schon in der Anfang Juli, nicht der einzige stimmberechtigte Vertreter der Stadt. Oder wurde da nur mal wieder sechs Wochen gepennt? Die den ÖPNV und die KRN betreffenden Anträge werden ja sicherlich gemeinsam behandelt.

Unter diesem TOP würde ich sinngemäß folgenden Antrag stellen: “der Stadtrat fordert Oberbürgermeister Emanuel Letz auf, alle den ÖPNV im Stadtgebiet betreffenden Stadtratsbeschlüsse der Jahre 2019 bis heute (auch Ausgestaltung von Linenführungen, verkürzten Takten, Innenstadtlinie – mit Ausahme der Beschlüsse zur Zusammenführung der Waben für Bad Kreuznach und dem Stadtteil Bad Münster) auf Gründe für eine Aussetzung nach § 42 GemO zu überprüfen und, falls er Gründe für die Aussetzung findet, diese entsprechend auszusetzen und das für diese Fälle vorgegebene Verfahren durchzuführen.

Der Stadtrat fordert den Oberbürgermeister weiterhin auf, unverzüglich mit den Landkreisen Bad Kreuznach und Mainz-Bingen Verhandlungen aufzunehmen mit dem Ziel der einvernehmlichen Feststellung, dass die Stadt Bad Kreuznach zu keinem Zeitpunkt formkorrekt Gesellschafterin der KRN GmbH wurde und war. Für den Fall, dass diese einvernehmliche Regelung scheitert, fordert der Stadtrat den Oberbürgermeister hilfsweise auf, gerichtlich feststellen zu lassen, dass die Stadt aufgrund von Täuschungshandlungen und Desinformation zu den im ersten Halbjahr 2021 getroffenen Beschlüssen und Handlungen manipuliert wurde und diese schon daher rechtsunwirksam sind”.

Es war der Kardinalfehler, zunächst eine Organsiationsform zu suchen, die Arbeit aufzunehmen und dann erst die Finanzierung zu klären. Eine Minderheit im Stadtrat hat diese traurige Wahrheit schon im vergangenen Jahr erkannt. Spätestens der am 17.8.2022 von der KRN vorgelegte Entwurf der Wirtschaftsplanung 2023 sowie der Mittelfristplanung 2024 bis 2027 mußte auch die Befürworter*Innen dieser Form der Rekommunalisierung des ÖPNV wachrütteln. Denn diese Papiere und die vom KRN-Geschäftsführer Uwe Hiltmann in der Sitzung des Finanzausschusses am 5.9.2022 gemachten Aussagen belegen nachhaltig die Fakten- und Wirklichkeitsferne der den städtischen Vertreter*Innen bezüglich des ÖPNV und der KRN in 2020 und 2021 gegebenen Angaben.

Zwei Aspekte heben sich aus diesem Sumpf der Desinformation unerfreulich hervor. So wurde den Entscheidungsträger*Innen vor dem 5.9.2022 nie erklärt, dass ganz unabhängig davon, wer mit welchem Aufwand Umsätze beim ÖPNV generiert, auf Jahre nur 22,5% dieser Umsätze bei der KRN verbleiben. Vom von den Einwohner*Innen der Stadt Bad Kreuznach finanzierten Mehrumsatz im Stadtgebiet, so z.B. durch die Citylinie, also 77,5% an ORN, Bahn AG und andere Akteure fließen. Besser als Jürgen Locher kann man es nicht ausdrücken. Der Linken-Fraktionsvorsitzende sagte Hiltmann am 5.9.2022 ins Gesicht, dass die ehrenamtlichen Kommunalpolitiker*Innen auf korrekte Angaben von Fachpersonen angewiesen sind. Locher sprach damit die dramatische Umsatzkorrektur an, die Hiltmann nonchalant präsentierte.

Bedauerlicherweise wurde die Erklärung des Geschäftsführers, er habe sich im Mai 2022 die Ist-Zahlen besorgt, nicht hinterfragt. Etwa dahingehend, warum er das nicht auch schon schon im Mai 2021 getan hatte. Und statt dessen damals das projektfördernde und seinen heutigen Arbeitsplatz schaffende Ergebnis “berechnete”. Wie unglaubwürdig die Hiltmann-Zahlen auch heute sind, wird an dessen Aufstellung der Verlustanteile für die kommenden Jahre deutlich. Obwohl die rund 800.000 Euro teure Innenstadtlinie – anders als geplant – in 2023 gar nicht fährt, ändern sich die der Stadt zugeschriebenen Verlustanteile kaum: für 2023 sollen dies 3,5 Millionen Euro sein. So wie in 2024 und 2025.