ÖPNV-Defizit springt in ungeahnte Höhen: Mandatsträger*Innen fühlen sich getäuscht

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Claus Jotzo

Diese Seite hatte bereits in der Sonntagsausgabe vom 4.9.2022 darauf hingewiesen: beim ÖPNV bahnt sich eine Kostenexplosion an, die selbst andere städtische Finanzabenteuer in den Schatten stellt. Und daher auch den Mitgliedern des Finanzausschusses Unbehagen bereitet. In einer bisher nicht gezeigten Deutlichkeit distanzierten sich die ehrenamtlichen Kommunalpolitiker*Innen von den Finanzspielchen der hauptamtlichen Verwaltung. Und lehnten deren Antrag auf Bereitstellung von rund 734.000 Euro zur anteiligen Defizitabdeckung der Busgesellschaft KRN mit 4 Nein-Stimmen bei 12 Enthaltungen ab. Erstaunen löste im Ausschuss und bei den Beobachter*Innen aus, dass selbst Bürgermeister Thomas Blechschmidt der von ihm selbst eingebrachten Vorlage nicht zustimmte (und diese daher ohne jede Jastimme blieb).

Sondern sich der Stimme enthielt. Sehr erleichtert hat den Stadtpolitiker*Innen diesen Schritt der Auftritt des KRN-Geschäftsführers Uwe Hiltmann. Den hatte Blechschmidt eingeladen, um den Volksvertreter*Innen Rede und Antwort zu stehen. Dabei enttäuschte Hiltmann auf ganzer Linie. Zunächst lobte er sich dafür, dass die KRN den Jahrmarkts-Zusatzfahrplan erfolgreich bewältigt habe. Ohne zu erwähnen, dass diese Fahrten unfreiwillig kostenlos waren, weil den KRN-Bussen schlicht die Zahlsysteme fehlten. Und im gedruckten Fahrplanheft zumindest für eine Linie eine falsche Streckenführung angegeben worden war (diese Seite berichtete). Dann gabs Selbstlob bezüglich der am Wochenanfang ohne Beschwerden von Eltern abgewickelten Schulbusfahrten.

Spätestens da entstand die erste Unruhe im Auditorium, weil die von Hiltmann durchgeführte Selbstbelobigung für Selbstverständlichkeiten ahnen ließ, was kommen würde. Doch zunächst folgte eine minutenlange, bis ins Detail gehende Darstellung der KRN-Ausgabenstruktur, die von den Mitgliedern des Finanzausschusses weder erfragt noch angesprochen worden war. Auch diese spickte Hiltmann mit positiven Bewertungen der eigenen Arbeit. Falls Uwe Hiltmann geglaubt haben sollte, die Kommunalpolitiker*Innen damit eingelullt zu haben, hatte er sich getäuscht. Denn irgendwann mußte er auf die unfassbare, etwa 50%ige Reduzierung der Umsatzschätzung zu sprechen kommen. Diese begründete er wörtlich mit einer “induktiven Berechnung auf Basis der Ausgaben”, davon 70% Kostendeckungsgrad geschätzt, “was im Bundesschnitt so üblich ist”.

Wie er zu der Berechnung der Umsatzrückgänge um rund 50% kam, begründete Hiltmann mit Umsatzzahlen, die ihm “am 11. Mai 2022 seitens des RNN” gemeldet wurden “auf der Basis der Istertragslage der Altunternehmen bezogen auf das Altnetz”. Was Hiltmann nicht erklärte (und wonach er leider aus dem Ausschuß auch nicht gefragt wurde): warum er sich genau diese Ist-Zahlen nicht bereits im Frühjahr 2021 an der selben Stelle besorgte, von der er sie ein Jahr später erhielt. Und noch mit einer zweiten Aussage beschädigte Hiltmann seine Glaubwürdigkleoit schwer. Im Zusammenhang mit der Erklärung zum fiktiven Umsatzrückgang, mit dem die 734.000-Euro-Nachforderung begründet wurde, behauptete er über Zahlen zu informieren, “sobald Sie uns vorliegen”.

Eine anhand seiner eigenen Aussagen leicht widerlegbare Behauptung. Denn acht Tage, nachdem er von dem dramatischen Umsatzrückgang erfahren haben will, stand Uwe Hiltmann am 19. Mai 2022 dem Rat der Stadt Bad Kreuznach Rede und Antwort. Und sagte kein Wort davon, dass noch in 2022 Mehrkosten auf die Stadt zukommen. Als hätten die Ausschußmitglieder geahnt, in welcher Weise sie da verschaukelt werden sollten, hatten einige schon vor der Hiltmann-Ausreden-Präsentation ihrem Ärger Luft verschafft. So zeigte sich Jürgen Locher “erschrocken” über die Beschlußvorlage, auf deren Basis er “kein Geld freigeben” werde. Der Linken-Fraktionsvorsitzende nahm die dramatische Umsatzreduzierung “mit Entsetzen zur Kenntnis”.

Und befand, das müsse “als Unvermögen klassifiziert” werden. “Oder man hat uns im Juni 2021 bewußt falsche Daten vorgelegt”. Volle Unterstützung für die Bewertung durch Locher gabs vom FDP-Ausschussmitglied Oliver John. Er bewertete die Zahlen als “schockierend”, monierte “handwerkliche Fehler” und bezeichnete die Vorlage als “nicht beschlußfähig, nicht entscheidungsreif”. Dem schloß sich Manfred Rapp an. Der CDU-Fraktionsvorsitzende wieß darauf hin, dass im Sommer 2021 zentrale Bedingung der Beschlußfassung gewesen sei, eine Doppelbelastung (Kreisumlage und Gesellschafterverpflichtung) für die Stadt auszuschließen. Und faßte zusammen: “wir sind getäuscht worden als Stadträte.

Die Stadt ist der Gesellschaft beigetreten, ohne das die Voraussetzungen klar eingehalten sind. Auf Grundlage unseres Beschlusses hätten wir nicht beitreten dürfen”. Als eines der KRN-Aufsichtsratsmitglieder wieß Rapp darauf hin, dass sich das Gremium mit der Hiltmannschen Umsatzreduzierung noch gar nicht befaßt habe. Wilhelm Zimmerlin erinnerte daran, dass er die Beteiligung der Stadt an der Busgesellschaft der Kreise schon im vergangenen Jahr als “finanzielles Harakiri für die Stadt” beschrieben hatte. Auch Zimmerlin erkannte wie Rapp in der Umsatzreduzierung eine “Täuschungshandlung”. Dem Vorsitzenden der neuen Fraktion “Faire Liste / BüFEP” stieß besonders übel auf, dass die Deckung der ÖPNV-Mehrkosten über Zusatzeinnahmen bei der Gewerbesteuer finanziert werden sollte.

“Dafür wurde die Steuer ganz sicher nicht erhöht. Es ist hanebüchen gegenüber den Bürgern so etwas vorzuschlagen”. Jörg Fechner erinnerte daran, dass “die AfD und auch andere Fraktionen und Personen immer wieder darauf hingewiesen haben, dass die unnötige Beteiligung an der kommunalen Busgesellschaft für die Stadt zu einem finanziellen Fiasko führt. Ein Fass ohne Boden”. Zumal die Stadt gleich zweimal zur Kasse gebeten werde. Einmal als Gesellschafter und dann noch einmal über den Anteil der Kreisumlage. Der AfD-Fraktionsvorsitzende erinnerte daran, dass “der Haushalt 2022 erst jetzt mit Auflagen von der ADD genehmigt wurde.

Dies ging einher mit Erhöhungen von Steuern. Trotzdem ist der Haushalt immer noch defizitär. Jetzt reißt diese Beteiligung an der Busgesellschaft ein weiteres großes Loch in die städtischen Finanzen”. Fechner fragte: “wie will der Kämmerer dieses finanzielle Problem lösen? Mit noch mehr Steuern? Mit noch mehr Belastungen für die Bürger?” Fechner präsentierte auch einen konkreten Vorschlag: “die sogenannte City-Linie ist sofort aus den Planungen zu streichen. Die Mehrkosten von rund 800.000 Euro (Stand 2020) + Mehrkosten für Umbau von barrierefreien Haltestellen sind zu streichen. Man braucht da keine Erfahrungen sammeln, weil man diese Erfahrungen schon mal in Bad Kreuznach gesammelt hat”.

Um am Ende seiner Ausführungen zu Protokoll zu geben: “beim Grundsatzbeschluß wurde getäuscht, eine echte klare Täuschung”. In seiner Antwort enthüllte Uwe Hiltmann erstmals Details zur Aufteilung der von den Fahrgästen gezahlten ÖPNV-Entgelten. “Alle Fahreinnahmen kommen in einen RNN Topf”, erklärte der KRN-Geschäftsführer. Aus diesem Topf würde nach einem festen Schlüssel ausgeschüttet. Dieser “wird sich mit Start der KRN nicht ändern, obwohl wir das doppelte Angebot fahren”. Vielmehr werde der Schlüssel konstant bleiben. Und erst dann “angepaßt werden, wenn eine neue Verkehrserhebung stattgefunden hat. Da müssen alle Verkehrsunternehmen zustimmen. Das Ganze muss überprüft werden.

Deswegen ist nicht damit zu rechnen, dass wir nächstes Jahr von der Erhöhung des Fahrplanangebotes prozentual profitieren werden. Alle anderen werden den Teufel tun, das zu beschleunigen”. Denn es sei ein “Null-Summen-Spiel”: was einer mehr bekommt, werde den anderen abgezogen. Die KRN erhalte demnach nur 22,5% der auch in ihren Bussen und allein durch die neue Busgesellschaft generierten Umsätze. Alleinige Bezugsgröße für diesen Prozentanteil seinen die “Altverkehre, die natürlich nicht mehr stimmen”. Auch diese Ausführungen hörten die Entscheidungsträger*Innen zum ersten Mal. Nie zuvor war darüber in einem Ausschuß der Stadt informiert worden. Nach diesen Hiltmann-Ausführungen zeigte sich Jürgen Locher noch verärgerter:

“Ich fühle ich mich veräppelt, verarscht. Das geht auf keinen Fall. So kann man als Geschäftsführer nicht agieren. Das ist schlicht und einfach inakzeptabel, weil wir als ehrenamtlich Tätige nicht in der Lage sind solche Zahlen handfest zu überprüfen. Ich muss mich darauf verlassen können, dass ein Geschäftsführer die Art, wie er Daten ermittelt, seriös macht. Das ist nicht zu akzeptieren”. Auch wenn noch andere Mandatsträger wie Kay Maleton und Gerhard Merkelbach mit Redebeiträgen protestierten. Mit der Locher-Kritik war der zentrale Punkt zum Ausdruck gekommen. Ohne den Bürgermeister zu erreichen. Der versuchte weiterhin seine Beschlußvorlage zu bewerben.

Und führte den Stadtratsbeschluß zu neuen Linien und kürzeren Taktungen als Ursache der hohen Kosten an. Bemerkenswert: dazu gab es keine einzige Wortmeldung aus den Reihen von SPD und Grünen. Gerade jene Fraktionen, die der Stadt das ÖPNV-Kosten-Problem aufgehalst hatten, tauchten in der Diskussion vollkommen weg. Und erhielten sich ohne eine einzige Jastimme für den ihre politischen Vorgaben stützenden Beschlußvorschlag. Wieso Blechschmidt am Ende zwar wörtlich “um Zustimmung” bat, sich aber selbst der Stimme enthielt, blieb unklar. Nach der krassen Abstimmungsniederlage kündigte der Kämmerer an, die abgelehnte Vorlage gleichwohl dem Stadtrat zu präsentieren. Und sprach dann von einer “drohenden Liquiditätsproblematik” für die KRN.

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