Jürgen Saueressig hat alles gegeben: 16 Jahre lang Schwerbehindertenvertreter

Gastbeitrag von
Hansjörg Rehbein

16 Jahre lang war Jürgen Saueressig der Schwerbehindertenvertreter in der Stadtverwaltung. Große gesundheitliche Probleme zwingen den 54jährigen in die Frühpensionierung. „Von Geburt an ist meine recht Köperhälfte gelähmt.“ Weil er daher sein Leben über die linke Hälfte steuert, auch das Arbeiten am Computer, hat er wegen der einseitigen Belastung in der linken Hand Arthrose und starke Rückenschmerzen. Die Dienstunfähigkeit ist daher leider unvermeidlich. „Ich hätte gerne weiter gemacht“, wenngleich er nun hofft, dass durch den weggfallenden Stress, sich auch die Schmerzen reduzieren und er wieder mehr Lebensqualität hat. Jürgen Saueressig geht es wie nahezu allen schwer behinderten Menschen, die sich ihren Platz in der Gesellschaft, insbesondere in der Arbeitswelt, erkämpfen müssen.

Bei seiner Abschiedsrunde durch die Verwaltung schaute Jürgen Saueressig auch bei Christine Gebhard (Hauptamt) vorbei. Bild: Stadtverwaltung Bad Kreuznach

„Blamabel und beschämend – die mangelnde Bereitschaft zur Inklusion“ hat er seinen Redebeitrag für die Personalversammlung im vergangenen Jahr überschrieben, der aber nur schriftlich verteilt werden konnte, da die Versammlung den Corona-Schutzbestimmungen zum Opfer gefallen war. Darin berichtet er von seinen Erfahrungen bei der Suche nach einer Lehrstelle vor 35 Jahren: „Die Arbeitswelt ist bis heute in den seltensten Fällen auf schwerbehinderte Menschen vorbereitet bzw. bereit sich auf sie einzustellen geschweige sie einzustellen. Ich habe dies am eigenen Leib erfahren: Nach dem ich meinen Hauptschulabschluss an der Bethesda-Schule der Diakonie gemacht habe und nach erfolgreichem Abschluss der Handelsschule sowie des Wirtschaftsgymnasiums, wollte ich enthusiastisch 1988 ins Berufsleben einsteigen.

Doch ich bekam erst einmal etliche gehörige Dämpfer verpasst, denn von meinen damaligen 102 Bewerbungen kamen 99 zurück. Ich weiß das deshalb noch so genau, weil ich sie bis heute auf dem Dachboden aufbewahre. Als Mahnung an den begrenzten menschlichen Geist, denn bei all den standardisierten Antwortschreiben konnte man immer zwischen den Zeilen vernehmen, dass die Behinderung der Grund für die Ablehnung gewesen ist, da man behinderte Menschen offenkundig nicht als arbeitsfähig angesehen hat.“ Sein Fazit zum Abschied im Juli 2022: Auf dem Papier, das heißt gesetzlich, hat sich viel verändert, in der Realität aber nur sehr wenig.“ Die öffentlichen Verwaltungen seien als Arbeitgeber bei der Inklusion nicht vorbildhaft. Die allermeisten Kommunen erfüllten gerade so die Mindestquote bei der Beschäftigung von schwerbehinderten Menschen.

Das gilt auch für die Stadtverwaltung Bad Kreuznach die mit 60 Beschäftigungen einen Anteil an der Gesamtbelegschaft von fünf Prozent erreicht. „Eine rühmliche Ausnahme ist die Verbandsgemeinde Kaisersesch mit einem Anteil von zehn Prozent.“ Jürgen Saueressig geht nicht im Groll. Zu einer Reihe von Kollegen und Kolleginnen hat er ein sehr freundschaftliches Verhältnis. Für die Schwerbehinderten war er nicht nur ein Fachmann, sondern auch ein Mensch, der in Gesprächen die Empathie und das Verständnis entgegenbrachte, die in Kollegenkreisen und bei den Vorgesetzten häufig fehlte. Als Interessenvertreter bezog Saueressig in einer deutliche Sprache Positionen und eckte auch bei Amtsleitern und auch im Personalrat hin und wieder an. Harmonie aus Dankbarkeit, einen Arbeitslatz zu haben, sei da fehlt am Platz.

„Die Stärke der Behinderten – sich immer wieder gegen Widrigkeiten erheben“ war die Kernbotschaft seiner letzten Rede bei der Personalversammlung am 13. Juli. Sein Stellvertreter der Schwerbehindertenvertretung, Jürgen Cron, würdigt das Engagement: „Mit Jürgen Saueressig verliert nicht nur die Schwerbehindertenvertretung, sondern die Stadtverwaltung insgesamt einen starken, engagierten Kollegen, der nicht nur mit großem Engagement, sondern auch reichlichem Fachwissen in seinen verschiedenen Aufgabengebieten zu überzeugen wusste.“ Jürgen Saueressig blickt auf viele Stationen in der Verwaltung zurück. Nach seinem Studium an der Verwaltungshochschule in Mayen (1988-1991) arbeitete er bis 2011 in der Verkehrsabteilung des Ordnungsamtes.

Nach einer Krankheitsphase war er von 2012 bis 2013 für das Namensrecht im Standesamt zuständig, eine Aufgabe, die ihm viel Spaß machte. Dann der Wechsel ins Ordnungsamt, wo er sich um die Belange der Feuerwehr und ab 2018 in der Bauverwaltung um die Wohnberechtigungsscheine und um die Bearbeitung von Anträgen auf ISB-Darlehen kümmerte. „Weniger Schmerzen haben“. Das ist sein größter Wunsch für den nächsten Lebensabschnitt. In der Schmerzklinik in Meisenheim konnte ihm schon geholfen werden. Er hat dort auch gelernt, mental mit den Schmerzen besser umzugehen. So kann er sich wieder mehr eines seiner liebsten Hobbies widmen: „Kriminalromane schreiben“. Sein Leben bietet da reichlich Stoff.

Autor Hansjörg Rehbein ist beim Hauptamt der Stadtverwaltung Bad Kreuznach aktiv