Wohnhaus durch Steinschlag akut bedroht

Von unserem Redakteur
Claus Jotzo

Die älteren Einschläge in der Hauswand sind notdürftig verputzt. Der aktuelle Bruch eines Glasbausteines, der durch einen kopfgroßen Felsbrocken bewirkt wurde, ist noch nicht repariert. Ein Seitenfenster mußte schon vor Jahren mit Holzbrettern gegen steinigen Schuttstrom geschützt werden. Erkennbar ist: die Einschläge kommen näher. “Im Hang oberhalb des Hauses befinden sich tonnenschwere Felsbrocken, wenn sich da einer löst, drückt der die Hauswand ein”, befürchtet Rudolf Hildebrandt. Der rüstige 86jährige Senior ist Miteigentümer und Hausmeister des Ende der achziger Jahre errichteten Anwesens Bismarckstr. 29 in Bad Münster am Stein, in dem neun Wohnungseigentümer unter einem Dach vereint sind.

Zentnerschwere Steinbrocken rollen vom Hang und prallen gegen das Haus Bismarckstrasse 29 in Bad Münster. Hausmeister Rudolf Hildebrandt macht das schon seit Jahren Sorgen.

Die Lage hoch über der Stadt hat eine Sonnenseite: mit Blick auf Gans und Rheingrafenstein. Und eine Schattenseite: die Rückwand, die in den Fels gebaut ist. Und erst im dritten Stock Tageslicht auch auf der Gebäuderückseite ermöglicht. Dort oben am Hang verläuft hinter dem Haus ein sogenannter Schutzstreifen. Von dem aus kann man sehen: der Berg bewegt sich. Und zwar zum Leidwesen der Bewohner aus mehreren Richtungen auf ihr Haus zu. Gut zu erkennen ist das an aus nordwestlicher und nordöstlicher Richtung auf das Privatgrundstück sich zuschiebenden Schuttströmen. Diese sind aus Sicht der Eigentümer auch der Beweis dafür, dass es nicht Gestein der ihnen gehörenden Hangfläche ist, das die Gefahr für das Wohnhaus bewirkt.

Wegen der Steinlawinen mußte das Seitenfenster des Hauses bereits mit Holzbrettern gesichert werden.

Sondern Felsen und Bruchsteine von den ihr Grundstück umgebenden städtischen Hangflächen. Dafür spricht laut Hildebrandt auch, dass die seinerzeit selbstständige Stadt Bad Münster noch 2011 einen Schutzzaun von 55 Meter Breite oberhalb des Privatgrundstückes im städtischen Hang anbringen ließ. Das WEG-Grundstück ist aber nur 52 Meter breit. Demzufolge müsse sich das gefährliche Material links und rechts des Schutzzaunes an diesem vorbei auf das Haus zubewegen. Auch wenn es nur um eine kleine Fläche von wenigen tausend Quadratmetern handelt: weder Gutachter noch Juristen konnten sich bisher einen vollständigen Durchblick verschaffen.

Denn der streitgegenständliche Hang ist durchgängig dicht mit Bäumen, Büschen und Gestrüpp bewachsen. Sehen kann man da keine zehn Meter weit. Und eine Begehung im Steilhang auf dem durch die Bruchsteine rutschigen Untergrund wäre wohl nur Alpinisten zuzumuten. Wegen dieser unklaren Tatsachenlage kommt auch ein im Auftrag der Stadt erstelltes Rechtsgutachten nur mit erheblichen Einschränkungen zu einem für die Stadt hinsichtlich der Verantwortung günstigen Ergebnis. Der Bad Kreuznacher Stadtverwaltung ist das Problem seit Jahren bekannt. Um die Verantwortung auf die Eigentümergemeinschaft abwälzen zu können, erließ die Stadt am 13. März 2019 eine “Bauordnungsrechtliche Verfügung”.

Das ehemals plan am Boden anliegende Drahtgitter ist durch Geröllverschiebungen an mehreren Stellen zu dicken Wülsten verformt, die teilweise sogar schon aufgeplatzt sind.

Für diese zeichnete Ass.jur. Jens Hoffmann verantwortlich. Aufmerksamen Leser*Innen dieser Zeitung ist dieser Stadt-Jurist als einer der Eisbahn-Verhinderer bekannt. Wie später dort scheiterte Hoffmann auch in Bad Münster mit seinem Ansinnen. Gegen die Verfügung legten die Eigentümer Widerspruch ein. Demzufolge gibt es den damals von der Stadt geforderten Sturzraum hinter der Stützmauer am Wendehammer ebensowenig, wie jährliche Kontrollberichte und die Entfernung der Aufsackungen unter dem Schutzdrahtnetz. Obwohl die “sofortige Vollziehung” angeordnet war. In diesem Jahr ploppte die Thematik erstmals im vor über drei Jahren neu gewählten Stadtrat samt dem Grundstücksausschuss auf.

Um dort besser auszusehen, unterließ es die Stadtverwaltung die Mitglieder des am 5. Juli 2022 zu dem Thema tagenden Grundstücksausschuss über die jahrelange, umfangreiche Vorgeschichte des Falles vollständig zu informieren. Das hätte ja nur lästige Nachfragen und Zweifel an der Kompetenz der Verwaltung provoziert. Die trieb es noch ärger mit den ahnungslosen Ausschussmitgliedern. Um ganz sicher zu gehen, dass die Verwaltungsvorschläge beschlossen werden, unterdrückte die Stadtverwaltung sogar den Inhalt eines Gutachtens. Das wurde am 21. April 2022 von der geo-international Dr. Johannes Feuerbach GmbH im Auftrag des Amtes für Wirtschaftsförderung und Liegenschaften erstellt.

Wenn Rudolf Hildebrandt an den letzten Steinschlag erinnert, wird ihm jetzt noch Angst und Bange.

Und beinhaltet Fakten und Aussagen, über die die Stadtverwaltung die Entscheidungsträger*Innen weder am 5.7. im Grundstücksausschuss noch am 21. Juli im Stadtrat informiert hat. Tatsächlich verschleiert die Stadtverwaltung in ihrer Beschlußvorlage sogar die genauen Umstände. In der Drucksache Nr. 22/207 heisst es unter “Erläuterungen” wörtlich: “Die Stadt beauftragte das Landesamt für Geologie und Bergbau um die fachliche Einschätzung zu einer möglichen Steinschlaggefährdung in der Bismarckstraße 29 in Bad Münster am Stein. Das Landesamt hat folgende geotechnische Stellungnahme abgegeben”. Dann folgen kleine Informations-Häppchen aus dem vorstehend angesprochenen Gutachten vom 21.4.2022.

Die Schutthalden drücken sich Zentimeter für Zentimeter über alle zum Schutz aufgestellten Betonteile hinweg.

Den Beratungsunterlagen für die Ausschussmitglieder ist weder der Auftrag an das Landesamt beigefügt noch dessen “fachliche Einschätzung”. Im weiteren “Erläuterungs”-Text wird dann festgestellt: “nach Rücksprache mit dem Stadtbauamt ist die Firma geo-international mit Sitz in Mainz empfohlen worden. Diese sind Sachverständige für Geotechnik und Schäden durch Hang- und Böschungsbewegungen. Die Firma geo-international hat bereits Angebotsunterlagen, eine Kostenberechnung sowie ein Leistungsverzeichnis erstellt, welches Sie der Anlage entnehmen können.” Diese Unterlagen sind tatsächlich vorgelegt worden. Das Gutachten eben dieser Spezialisten vom 21.4.2022 aber nicht.

Und in diesem Gutachten werden zu den Kosten der notwendigen Maßnahmen ganz andere Angaben gemacht, als in den Kostenberechnungen der selben Firma, die den Ausschussmitgliedern vorgelegt wurden. Im Gutachten Gutachten heisst es auf Seite 10 wörtlich “Die Kosten können vorab nicht näher kalukuliert werden. Der Einbau eines ausreichend dimensionierten rückvernagelten und hochfesten Stahldraht-Ringgeflechtes über eine Böschungsfläche von ca. 1.200 Quadratmeter würde zwar eine hohe Schutzwirkung besitzen, die Bauausführungskosten wären aber sehr hoch. Zudem müßte die Sicherung in den Randbereichen abschnittsweise noch durch eine zaunartige Aufständerung ergänzt werden.

Die Bauausführungskosten werden mit 600.000 Euro brutto abgeschätzt”. In der Beschlußvorlage heisst es dagegen wörtlich: “die geschätzten Kosten i. H. v. 106.287,83 € sollen je zur Hälfte von der Stadt und den Anliegern der Bismarckstraße 29 getragen werden, wobei die Anlieger maximal 55.000 € übernehmen werden”. Und es kommt noch toller. Um ganz sicher zu gehen, dass sich Landesrechnungshof, Steuerzahlerbund und Staatsanwaltschaft der Sache annehmen (IRONIE!) erklärt die Stadtverwaltung den ehrenamtlichen Kommunalpolitikern: “um den Auftrag vergeben zu können, ist aufgrund der Auftragssumme ein Vergabeverfahren durchzuführen.

Seit er von einem kleineren Stein getroffen wurde, geht Miteigentümewr Rudolf Hildebrandt nur noch mit Schutzhelm zu den Mülltonen.

Aufgrund der komplexen und speziellen Maßnahme kann das Amt 23 bzw. das Stadtbauamt diese fachtechnisch nicht betreuen. Das Unternehmen geo-international besitzt diese Voraussetzungen und kann das gesamte Vergabeverfahren inklusive der fachtechnischen Beurteilung übernehmen. Die Kosten hierfür belaufen sich auf 5.196,73 € (Brutto)”. Also: die Stadt gibt an geo-international einen Gutachtenauftrag (den sie den Ausschussmitgliedern verschweigt). Läßt geo-international ein Angebot ausarbeiten. Und schlägt dann vor, dass geo-international auch gleich noch das Vergabeverfahren betreut (Anmerkung der Redaktion: angesichts dieser Umstände drängt sich natürlich die Frage auf, was in diesem Fall das schwerwiegendere Problem ist: die drohende Steinschlaggefahr. Oder die Vorgehensweise der Stadtverwaltung).

Und auch in einem anderen Punkt hat die Verwaltung die Stadtratsmitglieder falsch informiert. Um die Dringlichkeit einer Entscheidung im Sinne des Verwaltungsvorschlages zu verdeutlichen, legte sie in der Stadtratssitzung am 21.7.2022 ein Dokument vor, in dem behauptet wird, am 25. Juli 2022 tage die Eigentümerversammlung des Hauses Bismarckstrasse 29. “Glatt gelogen” kommentiert das Rudolf Hildebrandt. Weder fand eine Versammlung statt noch war auch nur zu einer eingeladen. Mitglieder des Grundstücksausschusses, die von dieser Seite vorab über diese Zusammenhänge informiert wurden, konnten ihre Verärgerung nur mühsam unterdrücken. “Jetzt ist klar, wieso die Sache nichtöffentlich behandelt wurde: zum Schutz der Verwaltung”, brachte es einer der Ausschussmitglieder auf den Punkt (Stand: 27.7.2022, 5 Uhr).