In eigener Sache vom 29.4.2022

Von Herausgeber
Antonio Valentino

Die erste Nachricht von der gestrigen Chaos-Sitzung des Stadtrates haben mir Gäste überbracht. Gegen 20:30 Uhr kam dann das Redaktionsteam zurück. Die beiden mußten in jeder Hinsicht aufgepäppelt werden. Was Dino kulinarisch eher leicht gefallen ist. Viel schwieriger war das bezüglich der Art und Weise, wie über eine solche, an Tiefpunkten reiche Sitzung, berichtet werden sollte. Ohne auf den Index für jugendgefährdende Schriften zu kommen. Dabei lesen sich die nackten Fakten – unter Berücksichtigung unserer speziellen Bad Kreuznacher Verhältnisse – doch gar nicht sooo schlimm: sechs Stadtratsmitglieder, die gar nicht erst kamen.

Der Moment der Wahrheit: Wolf-Dieter Behrendt (links) hat festgestellt, dass die Stimmzettel falsch sind und teilt dies der Oberbürgermeisterin mit. Markus Schlosser (zweiter von links) schaut ungläubig zu den Hauptamtsmitarbeitern. Wolfgang Bouffleur (dritter von links) überprüft die Angabe des Stadtratskollegen. Das Gesicht von Dr. Heike Kaster-Meurer färbt sich schlagartig rot ein. Stefan Butz bricht seinen Weg zur Wahlurne mitten in der Bewegung ab und denkt sich etwas nicht zitierfähiges.

Eine Verwaltung, die auf eine demokratische Selbstverständlichkeit, nämlich eine geheime Wahl, nicht vorbereitet war. Weshalb der entsprechende Antrag von Werner Lorenz (FDP) eine fast einstündige Sitzungsunterbrechung nach sich zog. Eine Oberbürgermeisterin, die den falschen Stimmzettel verteilte und damit abstimmen ließ. Bis Wolf-Dieter Behrendt (Fraktion FWG / BüFEP) an der Reihe war, den Fehler bemerkte und Dr. Heike Kaster-Meurer mit seinem Widerspruch so zum Erröten brachte, wie das vor 20 Jahren nur der Günni schaffte.

Eine von Lehrpersonen dominierte grüne Fraktion, die für ein und den selben Aufsichtsrat eine der ihren als Mitglied und die selbe Person als Vertreterin für ein anderes Mitglied vorschlug. Und dann trotz vielfältiger Hilfsangebote (u.a. vom CDU-Fraktionsvorsitzenden Manfred Rapp: “ich nehme den Platz gern”) viele Minuten benötigte, um eine Lösung zu finden. Ein Wahlvorschlag der FDP, der trotz dreier anwesender Liberaler nicht eine einzige Stimme bekam. Stopp. Wenn ich jetzt so weiter schreibe, würde ich ja die Aufgabe unseres Redakteurs Claus Jotzo übernehmen.

Der hat zwischen Antipasti und seinem Spezial-Salat (bei dem es sich eigentlich um ein nur notdürftig oberflächlich mit Rucola und Parmesan getarntes Fleischgericht handelt) einige Überschriftsvorschläge formuliert, die mich irgendwie an verbale Hinrichtungen erinnerten. Nach einem nicht zu kleinen Stück Pannacotta mit ganzen Erdbeeren und frisch aufgeschlagener Sahne waren dann die ersten veröffentlichungsfähigen Zeilen zu hören. Und beim Espresso danach durfte ich zu Wort kommen. Mein Gedanke ist: wenn wir der Öffentlichkeit zu gute und zu umfassende Darstellungen dessen, was in den städtischen Gremien passiert liefern, sinkt die Wahlbeteiligung noch weiter.

Und die Motivation zu den Sitzungen als Zuhörerin oder Zuhörer hinzugehen, nimmt Schaden. Der Redakteur versprach darüber nachzudenken. Diese Situation habe ich genutzt. Und einen bei einem Gast ausgeliehenen Joker gesetzt. Mit einer russischen Lebensweisheit. Wie die meisten Menschen weltweit lehne ich zwar den russischen Nationalismus entschieden ab. Also auch den von Russen mit deutschem Pass… Aber Aufrichtigkeit und Mut der Landsleute von Solschenizyn und Nawalny, natürlich auch Kultur und Kunst, auch Sprachkunst, wie von Dostojewski und Sacharow, schätze ich sehr. Und Volksweisheiten.

Die von meinem Gast kolportierte lautet sinngemäß ins Deutsche übersetzt: “der Morgen ist klüger als der Abend (“Утро вечера мудренее”). So ungefähr bedeutet das: mal eine Nacht darüber schlafen. Der Redakteur fand diesen Vorschlag gar nicht schlecht. Und möchte die heutige Ausgabe “nur mit ein oder zwei Texten” über die Stadtratssitzung bereichern. Was dafür spricht, dass die morgige Samstagausgabe knallhart wird. Va bene. Ich war jetzt vier Jahre lang immer mal wieder dabei bei den Sitzungen. Geändert haben die nichts. Und haben es daher nicht anders verdient.