Interview mit Mike Mattern: wie den Bad Kreuznacher Einzelhandel retten?

Rund 190 Millionen Euro sind im Bad Kreuznacher Stadthaushalt für 2025 eingestellt. Ein Mini-Scheibchen von 100.000 Euro davon haben sich die Innenstadt-Einzelhändler erbeten. Per Einwohnerantrag, der von Mike Mattern (Herrenausstatter) für über 70 Kolleg*Innen vertreten wurde. Leider gabs außer warmen Worten im Stadtrat keine positive Resonanz. Und einige Wochen später von Oberbürgermeister Emanuel Letz eine klare Absage. Der nächste Tiefschlag für die Innenstadt-Akteure, weit über den Kreis der Einzelhändler hinaus, wurde vom Stadtrat dann am 27. Mai 2025 beschlossen: eine Erhöhung der Parkgebühren um 2,7 Millionen Euro.

Diese Erhöhung wäre um einen siebenstelligen Betrag niedriger ausgefallen, wenn sich der Stadtrat alternativ für die Erhebung einer Bettensteuer entschieden hätte. Die war von der Stadtspitze höchst persönlich auch vorgeschlagen worden. Was die Strippenzieher von DEHOGA und IHK auf den Plan rief. Die setzten sich Bürgermeister Thomas Blechschmidt ins Auto, fuhren zur Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) nach Trier und verhinderten die Abgabe für die Übernachtungsbetriebe. Was ein Riesendefizit von Einzelhändlern und Co. aufzeigt: sie haben nach wie vor keine organisierte Interessensvertretung. Und daher nichts zu sagen.

Mike Mattern möchte das ändern. Der Winzenheimer hat sich daher in den vergangenen Monaten mehrfach auf den Weg durch die Ladengeschäfte der Innenstadt gemacht. Und dort neben vielen Fleißkärtchen und Unterschriften für seine Mantelsonntag-Initiative auch Zustimmung für sein Anliegen gefunden: alle Innenstadt-Akteure, also Einzelhändler, Hausbesitzer, Ärzte und Dienstleister, müssen zusammenstehen und sich engagieren, um eine schlagkräftige Basis für die Entwicklung Bad Kreuznachs zu einem erfolgreichen Wirtschaftsraum zu schaffen. Tourismusbeitrag-so-nicht.de hat mit Mike Mattern gesprochen, um seine nächsten Projekte kennenzulernen.

TSN: Hallo Mike, wir habe uns heute getroffen, um über die Entwicklung der letzten Monate zu sprechen. Wie siehst du die aktuelle Situation?
Mike Mattern: Seit der Zeit während und auch nach Corona hat sich gerade im Handel viel verändert. Der Onlinehandel hat in den letzten fünf Jahren seine Umsätze stark erhöht. Dem stationären Handel sind nur in den organisierten Städten weiterhin stabile Kundenfrequenzen geblieben. Die kommunale Politik hat oft mit defizitären Haushalten zu kämpfen. Ich selbst hatte mich in 2021 darauf vorbereitet, nicht im Abhängigkeit eines rückgängiges Innenstadtszenario zu geraten.

TSN: Was hast du unternommen?
Mike Mattern: Ich habe ein Atelier innerhalb meiner Immobile in Winzenheim errichtet. Dies ist aber auch nicht sehr außergewöhnlich, da jeder zweite Schneider seine Kunden in seinem heimischen Atelier vermisst. Mein Geschäft in der Stadt wollte ich eigentlich schließen.

TSN: Was du nicht getan hast?
Mike Mattern: Nein, ich bin in die Mannheimer Str. 47 umgezogen. Dort bieten wir nun noch zusätzlich Damen Maßkonfektion an und haben unser Sortiment erweitert.

TSN: Wie siehst du die Lage in unserer Stadt?
Mike Mattern: Es kam, wie absehbar. Wir leben in einer sehr schönen Stadt in einer Urlaubsregion. Der Wirtschaftsraum Innenstadt schlägt sich im allgemeinen Vergleich immer noch gut. Getragen werden wir von der vorhandenen Substanz. Wir haben einige Initiativen und Gruppierungen, die sich engagieren. Bestes Ergebnis ist der immer wieder genannte Feierabend-Markt.

TSN: Das hört sich doch ganz gut an?
Mike Mattern: Und genau das ist das trügerische. Im Vergleich mit anderen Städten sieht das gut aus, aufgrund unserer hervorragenden Bedingungen unseres Umfeldes. Im Vergleich unserer eigenen Kennzahlen sind wir allerdings rückläufig. Uns allen ist es nicht gelungen, durch unser Handeln diesen seit Jahren negativen Trend zu stoppen.

TSN: Ist das denn konkret spürbar oder doch eher noch abstrakt?
Mike Mattern: Langsam kommt diese Wirklichkeit nicht nur bei den Unternehmen, sondern auch in der Bevölkerung an. Dies wird aktuell deutlich durch die jüngsten Entscheidungen unserer kommunalen Politik. Das Haushaltsdefizit liegt bei nunmehr rund 17,5 Millionen Euro. Und eine Trendwende ist nicht im Ansatz abzusehen. Im Gegenteil. Weitere nachteilige Maßnahmen sind zu erwarten.

TSN: Ist denn nur der Handel betroffen?
Mike Mattern: Der Handel stellt der kommunalen Politik keinen legitimierten und qualifizierten Ansprechpartner zur Verfügung. Der Wirtschaftsraum Innenstadt ist unorganisiert. Ein Beispiel dafür, wie man es geschickter macht, ist die DEHOGA. Die ist erfolgreich als legitime Interessensvertretung aufgetreten. Eine solche Struktur für die Innenstadt-Akteure fehlt. Auch weil viele allein oder in Grüppchen vor sich hin wursteln. Und die Einsicht für einen großen Zusammenschluss fehlt.

TSN: Aber du selbst setzt Dich doch seit Jahren ein. Ist denn dein Engagement nicht überzeugend für Deine Kollegen*Innen?
Mike Mattern: Was wir brauchen ist eine zusätzliche Leistung der Unternehmen und Akteure im Innenstadtbereich. Das Bewusstsein dafür wächst langsam. Und auch die Anzahl derer, die sich einsetzen wollen. Ich hoffe, dass der Doppelschlag aus Erhöhung der Parkgebühren um 2,7 Millionen Euro und Steigerung der gewerblichen Grundsteuer von 550 auf 1.350 Prozent den letzten Zweiflern die Augen öffnet.

TSN: Na ja, schön und gut. Aber was passiert denn jetzt konkret?
Mike Mattern: Wir wollen in den nächsten Wochen eine Arbeitsplattform gründen, die im Ergebnis mehr ist, als eine Nachfolgeorganisation von Pro City.

TSN: Wieso sollte das nun erfolgreich sein?
Mike Mattern: Weil eine Interessengemeinschaft der Innenstadt, in der alle Akteure mitmachen, auch Dienstleister und Ärzte, breiter aufgestellt ist und sich wirtschaftlich effektiver ergänzt.

TSN: Glaubst du denn, dass dieses Vorhaben gelingen wird?
Mike Mattern: Es ist ganz einfach notwendig. Wenn wir den weiteren Verlauf dieses Jahres betrachten, wird der am 30.1.2025 verabschiedete und am 27.5.2025 geänderte Stadthaushalt vermutlich genehmigt. Im Oktober / November wird dann der nächste beraten, der für 2026. Und dann stehen wir wieder vor einer vergleichbaren Situation.

TSN: Was heißt das genau?
Mike Mattern: Dass dann über die Verteilung von Geldern entschieden wird, ebenso über Einsparungsmöglichkeiten. Stand heute können wir dann wieder Einwohneranträge stellen, die faktisch abgelehnt werden und ergebnisbezogen keine Relevanz haben. Oder wir setzen die Fraktionen – auch im Hinblick auf die Landtagswahl im März 2026 – unter Druck.

TSN: Du willst also für einen heißen Herbst aufgestellt sein?
Mike Mattern: Nicht nur für diesen Herbst, sondern für die nächsten Jahre. Es ist zu erwarten, dass in Bad Kreuznach mindestens bis 2030 defizitäre Stadthaushalte zu erwarten sind. Das Szenario aus diesem Jahr ist nur der Auftakt. Daher ist die Konsequenz klar: wir müssen uns selber helfen.

TSN: Wie werdet ihr vorgehen?
Mike Mattern: Vor allem ich werde in den nächsten Wochen in der Innenstadt unsere Unternehmen mobilisieren, sich unserer Interessengemeinschaft anzuschließen. Das muss bis Ende August vollzogen sein. Dann haben wir noch den September, um uns auf die anstehende Zeit der finanzpolitischen Planungen vorzubereiten und vor allem in den laufenden Prozess einzugreifen.

TSN: In wie fern eingreifen?
Mike Mattern: Wir müssen unsere Interessen kraftvoll vertreten, indem wir die Konsequenzen von Einzelmaßnahmen aufzeigen. Die Innenstadt muss finanziell unterstützt werden und darf auf keinen Fall zusätzlich belastet werden. Auch müssen wir unternehmerisches Handeln defizitärer Geschäftszweige der Stadt Bad Kreuznach einfordern. Dazu gehört auch eine übergeordnete Vermarktungsstrategie. Kurz und bündig ausgedrückt: es kommt jetzt auf uns an, denn abstrakt ist die rückläufige Situation der Innenstadt nicht mehr. Sie ist längst sehr konkret.