Was kann die Stadtpolitik aus dem Bundestagswahlergebnis lernen?

Kommentiert von Claus Jotzo

Wer politisch interessiert ist, hat sich am vorgestrigen Wahlsonntagabend (23.2.2025) mehrere der Politik-Talk-Runden im Fernsehen angeschaut. Und durfte dabei innerparteiliche Rivalitäten, Wahlkampf-Nachkartereien, das Abstecken von Interessensgebieten – und Jens Spahn erleben. Der in vielen Aspekten der Coronakrise gescheiterte ehemalige Gesundheitsminister (CDU) scheint aus diesen dunklen Tagen gelernt zu haben. Denn die Aufgabenstellung für die nun anstehenden Koalitionsgespräche brachte er besser auf den Punkt, als der künftige Bundeskanzler Friedrich Merz und andere CDU/CSU-Größen:

„Der Maßstab ist doch nicht, dass wir irgend einen Kompromiss finden. Der Maßstab ist, ob das Problem gelöst wird“. Wie wahr. Eine Leitlinie, die auch für die örtlichen Möchte-gern-Koalitionäre im Stadtrat gelten sollte. CDU, SPD und FDP sitzen seit Wochen zusammen, um eine enge Kooperation abzusprechen. Das Interesse des OB: Emanuel Letz will seine Schwächen kaschieren. Das der FDP: sie wäre gern der Schwanz, der mit dem Hund wedelt. Und die SPD versucht einen Posten für ihre Fraktionsvorsitzende Dr. Claudia Eider zu ergattern. Dabei täten Lösungen in der Sache not. Dazu aber haben insbesondere SPD und FDP und der OB in den vergangenen Jahren keine erkennbaren Beiträge geleistet.

Sachanträge gab es kaum. Ideen und konkrete Maßnahmen, wie die vielen Baustellen der Stadtpolitik endlich zu einem guten Ende gebracht werden können: Fehlanzeige. Ob Stadtjugendamt oder Ost-West-Trasse, ob Casinogebäude oder Hochwasserschutz. Besonders peinlich ist das fortgesetzte Herumgeeiere bei der Bäderlandschaft. Obwohl die Stadt im Wesentlichen neben der von den Einwohner*Innen erarbeiteten Einkommens- und Grundsteuer, dem Einzelhandel und dem Gewerbe (vor allem Michelin) lebt, werden die Millionengräber Bäderhaus und crucenia therme fortgesetzt verteidigt. Allein die Gutachten und Studien, die auftragsgemäß belegen, dass es sich um Publikumsmagneten handelt, kosteten bis heute sechsstellige Beträge.

Hätte die Stadt mit diesem Geld konkrete Wirtschaftsförderung betrieben, statt Gefälligkeitsgutachten zu bezahlen, wäre der Stadtsäckel heute nicht leer, sondern prall gefüllt. Trotzdem jetzt sogar der Zusammenbruch des Stadtkonzerns samt steuerlichem Querverbund droht, hält eine breite Stadtratsmehrheit an den Bädern unbeirrbar durch die Realität fest. Die Bereitschaft zum Selbstbetrug ist in den städtischen Gremien ähnlich ausgeprägt, wie bei den ein gallisches Dorf belagernden Römern, denen René Goscinny und Albert Uderzo ein Denkmal gesetzt haben. Im Band „Asterix der Gallier“ werden diese statt mit dem heiß ersehnten Zaubertrank mit einem ein Haarwuchsmittel versorgt.

Der Zenturio kippt sich die Brühe in die Birne. Und testet dann seine neu gewonnenen Kräfte an einem Hinkelstein. Natürlich erfolglos. Den Anflug von Größenwahn redet er sich selbst aus. Und wählt immer kleinere Brocken. Bis er bei einem Feldwacken landet, den selbst ein Erstklässler problemlos aufheben könnte. Den reckt der Chef-Römer in die Höhe und denkt, er ist Superman. So sieht es aus, wenn die Verantwortlichen über städtische Probleme diskutieren – und glauben eine Lösung gefunden zu haben. Weil sich leider für die Fakten niemand interessiert, kommen sie damit sogar durch. Dabei ist es unfassbar peinlich, wenn etwa in der Stadtratssitzung am 20.2.2025 die Besucherzahlen des Bäderhauses benannt werden.

2019 wurde an 339 Öffnungstagen rund 56.000 gezählt (in allen Jahren danach sind es viel, viel weniger). Und diese Zahl als ordentliches Ergebnis hingestellt. Glatt verschwiegen wird den aktuellen Mandatsträger*Innen und der Öffentlichkeit, dass das 25-Millionen-Euro-Steuergeldgrab in den neunziger Jahren mit der Behauptung, „100.000 Gäste sind wahrscheinlich, mehr werden angestrebt“ auf den Weg gebracht wurde. Noch schlimmer ist, dass verschwiegen wird, dass es sich bei diesen „56.000 Bescher*Innen“ um weniger als 4.000 Personen handelt. Nämlich rund 800 Stammgäste, die bis zu 45 Mal im Jahr die Anlage besuchen.

Und um Hotelgäste, die den Eintritt zu Sonderkonditionen erhalten. Warum das wichtig ist? Weil die Masse der Besuche durch Stammgäste bewirkt wird, die eben nicht vor oder nach jedem Besuch in der Innenstadt schoppen gehen oder in anderer Weise Geld in der Stadt lassen. Der behauptete Bäderhaus-Mehrwert ist eine Fiktion, ein Wunschdenken weitab jeder Realität. In der Innenstadt gibt es dutzende von Einzelhändlern, die in den letzten 25 Jahren keinen Cent Umsatz mit Bäderhaus-Gästen gemacht haben. Aber von deren Einkommen- und Gewerbesteuer die Bäder-Millionendefizite über die Jahre finanziert wurden. Diesen Tatsachen stellen sich die Verantwortlichen nicht.

Was zur Folge hat, dass bezüglich der Bäderlandschaft – und vieler anderer Probleme auch – seit Jahrzehnten in städtischen Gremien geplappert wird. Aber keine Lösung erfolgt. Weshalb die Spahn-Ansage insbesondere von der CDU als der mit Abstand stärksten Ratsfraktion besonders ernst genommen werden sollte: „Der Maßstab ist doch nicht, dass wir irgend einen Kompromiss finden. Der Maßstab ist, ob das Problem gelöst wird“. Wo sind eure Lösungen? Wo könnt ihr Ergebnisse vorzeigen? Was verbessert sich wirklich? Auf Bundesebene wurden die Zeichen der Zeit erkannt. Mal sehen, ob das auch in Bad Kreuznach gelingt.