Bauprojekt Lebenshilfe: heute Schlussstrich oder Rechtsstreit?

Von Claus Jotzo

Einerseits wird vom Bad Kreuznacher Stadtbauamt immer wieder über eine erhebliche Arbeitsbelastung geklagt. Und damit das Liegenlassen von Projekten begründet. Andererseits kommen aus der selben Behörde wiederholt – teils unausgegorene – Vorschläge, die von den städtischen Gremien nach Beratung demokratisch abgelehnt werden. Aber anschließend im Verwaltungsgebäude Viktoriastrasse mit stadtplanerischen Accessoires aufgepäppelt und als kommunalpolitische Wiedergänger erneut auf den Weg gebracht werden. Krasse Beispiele für diese Verschwendung von Arbeits- und Gremienzeit sind das längst zum Biotop verwandelte THW-Gelände und eine Grünfläche in der Hüffelsheimer Strasse.

Dieser eingeschossige Pavillon und ein teil der Büsche und Bäume soll entfernt werden, um für fünf Neubauten Platz zu schaffen.

Das selbe Stadtbaumt, das sonst das große Wort gegen die Versiegelung führt (vor allem wenn es um Strassenbauprojekte geht, die aus Sicht der Mehrheit der Einwohner*Innen hilfreich wären), schlägt immer wieder Bauvorhaben am Stadtrand vor. Und lässt sich auch durch ablehnende Ausschuss- und Stadtratsbeschlüsse nicht bremsen. Als aktueller Fall dieser Art darf der Bauantrag der Lebenshilfe im Agnesienberg angesehen werden. Statt den Möchtegern-Bauherren deutlich zu machen, dass selbst der noch gültige Bebauungsplan wegen krasser Missachtung hochwasserschutzrechtlicher Vorschriften eine rechtskräftige Baugenehmigung nicht ermöglicht, wird sogar eine Erweiterung der Baufenster geplant.

Wie schon beim Tourismusbeitrag, dem Bau der PALL-Halle, den Planungen für ein Containerdorf für Geflüchtete und den Strassenausbaubeiträgen sind die Einwohner*Innen dadurch einmal mehr gezwungen, gerichtlichen Schutz gegen die eigene Verwaltung in Anspruch zu nehmen. Und dann wundern sich Politiker*Innen, warum der Ansehensschaden öffentlicher Verwaltungen – und ihr eigener – in der Bevölkerung immer größer wird. Für die Anlieger im Agnesienberg ist nachvollziehbar vollkommen unverständlich, warum die vor vielen Jahren gegen den Bau eines Kindergartens auf dem Grundstück der Lebenshilfe bereits erfolgreich vorgetragenen Argumente (das Bauvorhaben wurde an anderer Stelle realisiert) nicht von Anfang an Beachtung fanden.

Sondern in diesen Tagen erneut formuliert und vorgetragen werden müssen. Mehr noch ärgert die direkt Betroffenen, dass das Stadtbauamt nicht die Interessen der Bevölkerung, sondern allein die der Lebenshilfe vertritt. In einer kurzfristig einberufenen „Info-Veranstaltung“ der Lebenshilfe am 28.1.2025 kamen spontan rund vier Dutzend Anwohner zusammen. Gegen deren Kritik verteidigte Talke Herrmann, die kommissarische Abteilungsleiterin des Stadtplanungsamtes, ausdrücklich das laut Beschlussvorlage für den Stadtrat vorgesehene beschleunigte Bebauungsplan-Verfahren nach § 13a BauGB (Bebauungsplan der Innenentwicklung).

Die Zulässigkeit dieser Vorgehensweise wird nicht nur von den Anwohner*Innen, sondern auch von Fachjuristen bezweifelt (tourismusbeitrag-so-nicht.de berichtete). Darauf hat die Lebenshilfe mit einer schriftlichen Erklärung vom 7.2.2025 reagiert, die angeblich an die Presse gerichtet ist, die die Redaktion dieser Seite allerdings nicht von der Lebenshilfe, sondern auf Umwegen erhalten hat. Darin erklärt Christina Gei-Weyand, kaufmännischer Vorstand der Lebenshilfe Bad Kreuznach e.V. (früher Stadtverwaltung): „das Bauamt hat empfohlen, die Bebauungsplanänderung im beschleunigten Verfahren durchzuführen, da die rechtlichen Voraussetzungen dafür erfüllt sind“.

Um dann einzuräumen: „selbstverständlich ist die Lebenshilfe e.V. auch offen für ein Regelverfahren.“ Auch in einem anderen Punkt widerspricht die Lebenshilfe schriftlich der operativen Hektik der Stadtverwaltung. Diese hatte die Änderung des Bebauungsplanes erstmals vor nicht einmal vier Wochen im Ausschuss für Stadtplanung, Bauwesen, Umwelt und Verkehr (PLUV) am 13.1.2025 vorgestellt. Und wollte bereits am 30.1.2025 die endgültige Abstimmung im Stadtrat durchsetzen. Das scheiterte an der Begrenzung der Beratungszeit der Sitzung am letzten Donnerstag im Januar. Weshalb Oberbürgermeister Emanuel Letz für den heutigen Montag (10.2.2025) zu einer Sondersitzung einlud.

Die Lebenshilfe stellt sich ganz anders dar: „wir setzen auf einen offenen und fairen Dialog mit allen Beteiligten und sind bereit, auf berechtigte Anliegen einzugehen. Unser Fokus liegt darauf, eine nachhaltige und sichere Lösung für unsere Bewohner und die gesamte Nachbarschaft zu finden“, sagt laut Lebenshilfe deren pädagogischer Vorstand Benjamin Rubröder. Sollte das ernst gemeint sein, würde ja gar nichts dagegen sprechen, vor der Einleitung des formalen baurechtlichen Verfahrens die Gespräche mit den Anwohner*Innen über deren Fragen, Bedenken und Hinweise abzuschliessen. Und so die sich abzeichnende gerichtliche Auseinandersetzung zu vermeiden.

Zu der wird es absehbar kommen, wenn Lebenshilfe und Stadt an dem Projekt weiter festhalten. Denn noch vor dem Beginn der öffentlichen Stadtratssitzung heute um 17:30 Uhr (Sitzungssaal im Rathaus am Kornmarkt, Seiteneingang Rossstrasse, III. OG) wird der Oberbürgermeister (wenn nicht noch ein Poststreik dazwischen kommt) den Brief eines Bad Kreuznacher Rechtsanwaltes erhalten, in dem dieser auf gravierende Rechtsmängel des vom Stadtbauamt eingeschlagenen Verwaltungsweges hinweist. Der Jurist bittet den OB ausdrücklich darum, den Inhalt seines Schreibens den Stadtratsmitgliedern zugänglich zu machen.

Diese können sich dann später nicht mehr darauf berufen, von den rechtlichen Gegebenheiten nichts gewusst zu haben. Von den Anwohnern wurde positiv festgestellt, dass sich Vertreter von sechs der acht Stadtratsfraktionen zwischenzeitlich vor Ort sachkundig gemacht haben. Neben anderen waren Nelson Prieß (AfD), Dr. Helmut Martin MdL (CDU) und Gerhard Merkelbach (Faire Liste) im Agnesienberg. Die Freien Wähler hatten sogar eine Anfrage im Stadtrat eingebracht. Und dem Oberbürgermeister eine Rücknahme des Verwaltungsvorschlages angeraten. Vermisst wurden / werden Vertreter von SPD und FDP. Beide Parteien befürworten die Lebenshilfe-Pläne.

Angesichts der breiten Ablehnungsfront gegen die Baupläne der Lebenshilfe könnte der Stadtrat heute bereits einen Schlusstrich ziehen. Und die Änderung des Bebauungsplanes verwerfen. Und zwar sowohl in den Varianten „beschleunigtes“ als auch Regelverfahren. Dann wäre es an der Lebenshilfe die Neubauplanung nach dem alten, über 30 Jahre alten Bebauungsplan auszurichten. Aufgrund der Vorgeschichte würde es in diesem Fall zwangsläufig zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung mit den Anlieger*Innen kommen. An dem allerdings die Stadt weitgehend nur passiv beteiligt wäre. Anders als bei einem Bebauungsplan-Änderungsverfahren.

Das würde wie die vielen anderen Fälle (Zielabweichung Hermannstrasse, PALL-Halle, Baugenehmigung Geibstrasse usw) personelle Kräfte binden, die an anderer Stelle dringend benötigt werden. Viele Anwohner und andere, von der vom Ellerbach ausgehenden Hochwassergefahr betroffene Einwohner*Innen werden sich jedenfalls auch von schönen Worten nicht mehr vom Eintreten für den Schutz ihrer Häuser abbringen lassen. Was sich die Lebenshilfe selbst zuzuschreiben hat. Die plappert zwar in der eingangs zitierten „Presseerklärung“ von einem „offenen Dialog“. Ist aber bis zu den ersten Protesten im Umfeld der Sitzung des PLUV am 13.1.2025 auf die Nachbarn des Bauprojektes nicht zugegangen.

Diese erfuhren erstmals durch einen am 28.12.2024 in der Allgemeinen Zeitung (AZ) unter der Überschrift „Lebenshilfe plant Neubau“ veröffentlichten Bericht von dem Bauvorhaben im Agnesienberg. Und nahmen daher an der Sitzung des Planungsausschusses teil, um sich zu informieren. „Es wurde hinter unserem Rücken geplant und hinter unserem Rücken vorbereitet. Erst als wir Widerspruch angemeldet haben, hat man uns zwei Tage vor der Stadtratssitzung pflichtschuldig zum Gespräch eingeladen,“ ärgert sich eine Anwohnerin. Und stellt fest: „das ist das Gegenteil von „offen und Dialog. Die Lebenshilfe hat damit jeden Vertrauensvorschuss eingebüßt“.

In der Anwohnerversammlung seinen viele Fragen nicht beantwortet worden. Man sei noch in einem so frühen Stadium, dass es nicht möglich sei, diese zu geben, sei von den Vertreter*Innen der Lebenshilfe erklärt worden. „Viele der Besucher fühlten sich am Ende der Versammlung nicht ausreichend informiert“, ist der Eindruck mehrerer Teilnehmer*Innen. Natürlich richtet sich der Protest der Anwohner*Innen nicht gegen die Absicht der Lebenshilfe, bessere bauliche Bedingungen für ihre Einrichtung und die darin betreuten Menschen zu schaffen. „Aber bitte an einem sicheren und besser geeigneten Standort“.