Bauprojekt Lebenshilfe: Innenentwicklung am Stadtrand?

Von Claus Jotzo

Der frühere Beigeordnete und Baudezernent der Stadt Bad Kreuznach, Horst Pfeifer („Fliegen-Pfeifer“, CDU, gestorben 2022), war gelernter Rechtspfleger. Und brachte aus dieser beruflichen Erfahrung in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts einen Leitspruch mit in die Bauverwaltung: „der Blick ins Gesetzbuch erleichtert die Rechtsfindung“. Vier Baudezernenten und fünf Stadtbauamtsleiter später ist dieser Rat wohl in Vergessenheit geraten. Dabei würde es die rechtliche Position der Stadt fördern, wenn Pfeifer’s Motto auch heute noch gefolgt würde. Beispiel Bauprojekt der Lebenshilfe im Agnesienberg.

Da plant die Stadt, motiviert von der SPD-Stadtratsfraktion, eine Bebauungsplanänderung in einem schon aus Hochwasserschutzgründen höchst sensiblen Bereich: „Zwischen Ellerbach und Agnesienberg, An der Schleifmühle“ (Nr. 13/6). Die soll im „beschleunigten Verfahren“ gemäß § 13a Baugesetzbuch (BauGB) durchgezogenen werden. Immerhin teilt die Stadt in der Beschlussvorlage mit, was das bedeutet: „somit wird von einer Umweltprüfung (§ 2 Abs.4 BauGB), vom Umweltbericht (§ 2a BauGB), von der Angabe umweltbezogener Informationen (§ 3 Abs. 2, S. 2 BauGB) sowie von der zusammenfassenden Erklärung (§ 10 Abs. 4 BauGB) abgesehen“.

Wer sich schon mal die Freude gemacht hat, den Agnesienberg lang zu spazieren (Richtung Rüdesheim kommt man südlich der Lohrer Mühle in der Nähe vom Schützenhaus raus), weiß: die Lebenshilfe-Gebäude sind die letzten des Stadtgebietes auf der Ellerbachseite. Und westlich und südlich von Natur pur umgeben. Die idyllische Lage am Standrand macht in den Augen des Stadtbauamtes lästige Prüfungen der Auswirkungen des Bauvorhabens auf die Umwelt überflüssig. Und hier kommt jetzt heraus, dass Horst Pfeifer’s Rat von der Stadtverwaltung nicht beachtet wird. Denn § 13a BauGB beschränkt das beschleunigte Verfahren ausdrücklich auf „Maßnahmen der Innenentwicklung“.

Was das bedeutet, können geneigte Leser*Innen im Regierungsentwurf zum Baugesetzbuch (BauGB) 2007 (RegE) nachlesen. Dort heisst es wörtlich, dass die so begünstigten Bebauungspläne der Innenentwicklung abzugrenzen sind „von Bebauungsplänen, die gezielt Flächen außerhalb der Ortslagen einer Bebauung zuführen“. Das beschleunigte Verfahren darf also, anders als das Stadtbauamt es Glauben machen möchte, im Fall Lebenshilfe gar nicht angewendet werden. Ein seit dem Donnerstag dieser Woche mit dem Thema befasster Bad Kreuznacher Rechtsanwalt, der für eine schnell wachsende zweistellige Zahl von Mandanten eine Sammelklage gegen die Stadt vorbereitet, ist daher „sehr erstaunt“.

Ihn wundert, dass die Stadtverwaltung „einschlägige Auslegungshilfen für diese komplexe juristische Problematik schlicht ignoriert“. Schon der „unbestimmte Rechtsbegriff der Innenentwicklung“ müsse sorgfältig fallbezogenen interpretiert werden. Stadtrandlagen weit weg von innerstädtischer Verdichtung seien mit dem Instrument des § 13a BauGB ausdrücklich nicht angesprochen. Denn Bebauungspläne der Innenentwicklung „sollen zusätzliche Flächeninanspruchnahmen vermeiden und zusätzliche Eingriffe in Natur und Landschaft verhindern“. Der Jurist ist auch verwundert darüber, dass die Stadtverwaltung den Stadtratsmitgliedern in der Beschlussvorlage relevante Rechtsvorschriften verschweigt.

Etwa die des § 214a Abs. 2a Nr. 1 BauGB. Die ganz unmissverständlich einer extensiven Anwendung des § 13a BauGB enge Grenzen setze. „Das widerspricht klar dem gesetzlichen Auftrag für die planführenden Gemeinden, mangelfreie Bebauungspläne aufzustellen“. Der Rechtsanwalt hat bereits damit begonnen, die am kommenden Montag im Stadtrat zur Beratung und Beschlussfassung anstehende „1. Änderung des Bebauungsplans“ in ihre Einzelteile zu zerlegen. Und auch den zugrundeliegenden Bebauungsplan selbst. Der wurde am 15.4.1992 rechtsverbindlich. Gut eineinhalb Jahre, bevor das erste Jahrhunderthochwasser vom Dezember 1993 in der Stadt Millionenschäden anrichtete.

„Offensichtlich wurde weder aus den Erfahrungen von 1993 und 1995 gelernt noch die Ergebnisse der seit Ende 2023 öffentlich zugänglichen Hochwasser- und Starkregenkarten sachgerecht beigezogen“, stellt der Jurist fest. Dessen Mandanten das nicht hinnehmen werden. Schon jetzt ist klar: es werden sowohl alle Rechtsmittel gegen die Änderung des Bebauungsplans, gegen den alten Bebauungsplan selbst und den überalterten Flächennutzungsplan sowie gegen etwaige Baugenehmigungen genutzt. Ein Anwohner rät: „die Stadt sollte ihre Mittel und Möglichkeiten besser dazu nutzen, der Lebenshilfe zu einem zukunftssicheren Standort für ihre Pläne zu verhelfen. Das war schon bei der Kita der letztlich erfolgreiche Weg“.