Beobachtet und kommentiert von Claus Jotzo
Die Einwohnerzahl Bad Kreuznachs ist in den letzten 15 Jahren um viele tausend Menschen gewachsen. Einerseits durch die Eingemeindung von Bad Münster. Aber auch durch den vielköpfigen Zuzug aus dem Kreis- und dem Rhein-Main-Gebiet. Daher hat die Berichterstattung und Kommentierung von tourismusbeitrag-so-nicht.de über den Kahlschlag auf der Wehr-Schanze an der historischen Stadtmauer beim Casinogarten eine grosse Zahl von Neubürger*Innen auf diese versteckte Grünfläche Zwischen Matthäushof, Hochstrassenparkplatz und Casinogebäude überhaupt erst aufmerksam gemacht. Das vergangene Wochenende haben mehrere Leser*Innen zu einem Spaziergang dorthin genutzt.
Deren Kommentare zum Kahlschlag auf einer Fläche von rund 2.000 Quadratmetern sind vernichtend für die Stadtverwaltung und die dieses Vorhaben stützenden Stadtratsfraktionen. „Unfassbar“, „ökologische Katastrophe für die Stadt“ und „wie kann man sowas machen?“, sind einige der veröffentlichungsfähigen Bewertungen (dazu später mehr). Die Tatsache, dass die Stadtverwaltung das grossflächige Abholzen von Bäumen und Büschen wortwörtlich als „Verkehrssicherungsmaßnahme“ zu beschönigen versuchte, wird wohl noch Konsequenzen haben. „So lasse ich mich nicht verarschen!“ stellt ein aufgebrachter Leser fest. Und kündigt Schritte gegen OB Letz und andere Verantwortliche an.
Einer, der nicht nur verbal Widerstand gegen diese beispiellose Umweltvernichtung leistet, ist Kay Maleton. Der arbeitet seit dem 1.7.2024 ehrenamtlich im Rat der Stadt mit (Fraktion Faire Liste). Und war zuvor schon viele Jahre im Finanzausschuss der Stadt tätig. Statt im vergangenen Frühjahr Wahlkampf zu machen, hat der beim Finanzamt Bad Kreuznach tätig Beamte in seiner Freizeit einschlägige Gesetze, Verordnungen und Kommentare studiert. Dann bei der Stadt Akteneinsicht in die Sache genommen, sich mit der unteren Naturschutzbehörde bei der Kreisverwaltung ins Verbindung gesetzt und sich ergänzend bei Fachpersonen informiert.
Die bei dieser Arbeit gewonnenen Erkenntnisse hat Kay Maleton am 6. August 2024 in einer „Fachaufsichtsbeschwerde über die untere Naturschutzbehörde beim Kreis Bad Kreuznach“ zusammengefasst. Noch vor 20 Jahren kam derart fachlich hochqualifizierte Kritik oft aus den Reihen der Grünen. Weil entsprechend gebildete und motivierte Fachpersonen sich dort gut aufgehoben sahen. Nicht erst seit dem sich die Grünen sich für Schicki-Micki-Projekte, wie „Gartenkultur“ mehr engagieren, als etwa gegen Steingärten, hat sich das geändert. Wie das Engagement der Klimagemeinschaft Bad Kreuznach, aber eben auch von Kay Maleton zeigt.
In dem mehrseitigen Schreiben werden Stadtverwaltung und die untere Naturschutzbehörde bei der Kreisverwaltung schwer belastet. Maleton listet unzählige Punkte auf, in denen beide Behörden fachlich versagt haben. Dem Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie und Mobilität ist die Maleton-Arbeit immerhin ein seltenes Lob wert: „im Hinblick auf einen besseren künftigen Umgang auch mit derartigen Angelegenheiten möchte ich Ihnen nochmals für Ihre Hinweise danken“. Damit die Leser*Innen von tourismusbeitrag-so-nicht.de in der Lage sind, das oberflächliche Plappern der Behörden in der Sache als solches zu überführen, veröffentlichen wir das Maleton-Schreiben im Wortlaut.
Kay Maleton’s Fachaufsichtsbeschwerde vom 6.8.2024 über die untere Naturschutzbehörde beim Kreis Bad Kreuznach im Wortlaut:
Am 27.05.2024 haben wir Fachaufsichtsbeschwerde gegen die untere Naturschutzbehörde beim Kreis Bad Kreuznach eingelegt.
Hierbei liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Es geht um die auf dem beiliegenden Plan ersichtliche Fläche in der Gemarkung Bad Kreuznach, Flur 72 Nr. 1/8. Hierbei handelt es sich um die sogenannte „Schanz“, welche als bauliche Gesamtanlage unter Denkmalschutz steht und insgesamt 3.500 qm2 umfasst. Die Fläche fällt nach Norden und Westen in einen Graben ab. Dieses Areal wurde 20 Jahre sich selbst überlassen. Dadurch hat sich im Laufe der Zeit eine entsprechende Vegetation gebildet. Am 20.02.2024 erfolgte auf dem gesamten Areal ein vollumfänglicher Kahlschlag.
Die rechtliche Sachlage stellt sich wie folgt dar:
Bei der Gesamtrodungsmaßnahme handelt es sich um einen Eingriff nach § 14 Abs. 1 BNatSchG. Die betroffene Fläche liegt in einem Bebauungsplan aus den 80er Jahren. Die Fläche ist dort als Grünfläche eingezeichnet. Die Privilegierung nach § 18 Abs. 2 Satz 1 BNatSchG greift hier nicht, da die Maßnahme nicht auf ein Vorhaben nach § 29 BauGB gerichtet war (VG Koblenz 4 L 127/22 vom 04.03.2022, liegt bei). Somit unterliegt diese Maßnahme weiterhin dem naturschutzrechtlichen Eingriffsregime (§ 15 – 17 BNatSchG) der unteren Naturschutzbehörde.
Da vorliegend der Eingriff durch eine Behörde vorgesehen ist, hat diese sich im Vorfeld dahingehend gemäß § 17 Abs. 1 BNatSchG grundsätzlich ins Benehmen mit der unteren Naturschutzbehörde zu setzen, außer es existieren auf Landesebene weitergehende Bestimmungen. Dies ist in Rheinland-Pfalz der Fall, denn nach § 9 Abs. 2 LNatSchG bedürfen solche behördlichen Eingriffe explizit einer Genehmigung der unteren Naturschutzbehörde.
§ 9 LNatSchG
(2) Abweichend von § 17 Abs. 1 des Bundesnaturschutzgesetzes vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2542), zuletzt geändert durch Artikel 421 der Verordnung vom 31. August 2015 (BGBl. I S. 1474), ist für einen Eingriff, der von einer Behörde durchgeführt wird und der keiner behördlichen Zulassung oder Anzeige nach anderen Rechtsvorschriften bedarf, eine Genehmigung der gleichgeordneten Naturschutzbehörde erforderlich. § 2 Abs. 6 Satz 5 ist entsprechend anwendbar. Im Vorfeld solcher Maßnahmen und in diesem Zusammenhang sind die artenschutzrechtlichen Zugriffsverbote nach § 44 Abs. 1 BNatSchG zu beachten. Um zu einer Freistellung nach § 44 Abs. 5 zu gelangen, ist eine artenschutzrechtliche Potenzialanalyse im betroffenen Maßnahmengebiet vorzunehmen.
Als Grundlage dient u. a. die Datei „Artefakt“ des Landesamtes für Umwelt. Vorab kann hieraus entnommen werden, ob im Maßnahmengebiet mit Arten zu rechnen ist, die unter die Verbotskriterien des § 44 Abs. 1 BNatSchG fallen. Darüber hinaus ist auch eine dahingehende Begehung und Untersuchung des Maßnahmengebietes erforderlich. Doch unabhängig davon scheidet eine artschutzrechtliche Freistellung nach § 44 Abs. 5 BNatSchG aus, wenn der im Zusammenhang stehende Eingriff unzulässig ist oder Fehler bei der Eingriffsbestimmung bzw. Kompensation vorliegen.
Kommentar § 44 Abs. 5 BNatSchG
Daher kommt die Privilegierung des Abs. 5 nur bei einem nach § 15 oder nach den entsprechenden Vorschriften des BauGB „zulässigem“ Vorhaben zur Anwendung; Entscheidend ist nicht, ob das Vorhaben unter den Anwendungsbereich dieser Bestimmungen fällt, sondern dass der mit ihm verbundene Eingriff in Natur und Landschaft richtig gesehen und bewältigt worden ist. § 44 Abs. 5 gelangt mithin nicht zur Anwendung, wenn im Zusammenhang mit der Eingriffsregelung in Bezug auf das Schutzgut der Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushaltes Fehler unterlaufen sind.
Mit Blick auf Sinn und Zweck sowie auf die Historie der Vorschrift: Darüber hinaus ist zu verlangen, dass der Aspekt des besonderen Artenschutzes im Rahmen der Eingriffsregelung ungeachtet der dort an sich bestehenden Spielräume eine angemessene Berücksichtigung gefunden hat.
Auf dieser Grundlage haben wir unsere Beschwerde wie folgt begründet:
In der Presse behauptete die untere Bauaufsichtsbehörde, dass die Rodungsmaßnahme von Beginn an mit der unteren Naturschutzbehörde abgestimmt gewesen sei. Auf Nachfrage nahm die untere Naturschutzbehörde mit Schreiben vom 22.04.24 (liegt bei) hierzu wie folgt Stellung:
Entgegen der im Artikel „Kritik am Kahlschlag auf der Schanze“ (Öffentlicher Anzeiger vom 19.3.2024) zu lesenden Äußerung der Stadtverwaltung Bad Kreuznach, dass das Vorgehen mit der Naturschutzbehörde abgestimmt worden sei, muss von Seiten der Naturschutzbehörde festgestellt werden, dass zwar eine kurzfristige Begehung mit einem FLL-zertifizierten Baumkontrolleur der Stadt Bad Kreuznach im Februar 2024 stattgefunden hat, einer kompletten Beseitigung der Vegetation auf dem Plateau wurde jedoch zu keiner Zeit einvernehmlich zugestimmt, wie man aus dem Artikel schlussfolgern könnte.
Vielmehr bestand Einigkeit darin, kranke und abgestorbene Bäume nach Erforderlichkeit zu entfernen und so noch förderfähige Pflanzen freizustellen, deren Standortbedingungen zu verbessern, um eine Mindestbegrünung insbesondere aus Gründen des Artenschutzes zu gewährleisten. Hieraus müssen wir schlussfolgern, dass entgegen § 17 Abs. 1 Satz BNatSchG in Verbindung mit § 9 Abs. 2 LnatSchG keine Genehmigung für den Kahlschlag auf dem Schanzenareal vorlag. Schon deshalb konnte keine artenschutzrechtliche Freistellung nach § 44 Abs. 5 BNatSchG erfolgen, da kein zulässiger Eingriff mangels Genehmigung nach § 17 Abs. 1 BNatSchG i.V.m. § 9 Abs. 2 LNatSchG vorlag.
Ungeachtet dessen merkten wir zur artenschutzrechtlichen Potenzialanalyse noch folgendes an:
In einem Gespräch vom 14.5.2024 war dem Unterzeichner von der unteren Naturschutzbehörde mitgeteilt worden, man habe sich vor der Rodung bei einer kurzfristig angesetzten Begehung zusammen mit dem städtischen Baumkontrolleur ein Bild von möglichen artenschutzrechtlichen Potenzialen gemacht. Man habe dies für ausreichend gehalten. Darüber hinaus war betont worden: Im Februar liege noch keine Brutzeit vor. Diese Einschätzung ist u.E. rechtlich nicht zutreffend. Gemäß der Datei Artefakt, Messtischblatt 6113, kommen im Maßnahmengebiet Arten vor, welche eine artenschutzrechtliche Potenzialanalyse erforderlich machen.
Es ist z. B. in Bezug auf den Lebensstättenschutz sicherzustellen, dass die ökologische Funktion der vom Eingriff / Vorhaben betroffenen Fortpflanzungs- oder Ruhestätten bzw. der Standorte wild lebender Pflanzen im räumlichen Zusammenhang weitgehend erfüllt bleibt. Ein Abstellen alleine auf die Brutzeit wird dem nicht gerecht. So können z.B. auch Lebensstätten in Form von Nestern betroffen sein, die zum Zeitpunkt der Maßnahme zwar nicht besetzt, aber durch geschützte Arten wieder genutzt werden. Auch Hinweisen auf z.B. Fledermäuse ist nachzugehen. Zwar fallen zahlreiche nach § 44 Abs. 5 Satz 5 BNatSchG gefährdete Arten bei Handlungen zur Durchführung eines Eingriffs oder Vorhabens nicht unter das Zugriffsverbot nach § 44 Abs. 1 BNatSchG.
Dies ist aber kein Freibrief, gleichwohl sind sie aber beim Schutzgut „Arten“ zu würdigen. Bei einer ca. 3.500 qm² großen Fläche, die 20 Jahre sich selbst überlassen wurde, ist davon auszugehen, dass Arten gemäß der Datenbank Artefakt im Eingriffsgebiet zu finden sind, die unter das Zugriffsverbot nach § 44 Abs. 1 BNatSchG fallen. Daher wäre zwingend eine gesicherte artenschutzrechtliche Potenzialanalyse vor dem Eingriff vorzunehmen gewesen. Die vorgefundenen Arten wären zu dokumentieren gewesen. Soweit Arten betroffen gewesen wären, die unter § 44 Abs. 5 BNatSchG fallen, wäre eine tiefergehende Untersuchung der möglichen Folgen auf diese Arten durch den beabsichtigten Eingriff vorzunehmen gewesen.
Darüber hinaus sind auch Arten zu berücksichtigen, die nach § 44 Abs. 5 Satz 5 BNatSchG nicht unter die Zugriffsverbote nach § 44 Abs. 1 BNatSchG fallen, aber im Verfahren zur Zulassung des Vorhabens oder Eingriffes im Rahmen der Eingriffsregelung zu berücksichtigen sind. Nach dem Schreiben der Kreisverwaltung vom 22.4.24 sowie aus einem Gesprächstermin mit der unteren Bauaufsichtsbehörde und Naturschutzbehörde müssen wir schlussfolgern, dass weder eine dokumentierte artenschutzrechtliche Prüfung und Beurteilung noch eine Berücksichtigung der Arten nach § 44 Abs. 5 Satz 5 BNatSchG erfolgt ist.
Dies ergibt sich auch aus dem Schreiben der Kreisverwaltung vom 22.4.24:
Auf die genaue Mengenermittlung der zur Beseitigung anstehenden Vegetationsmenge oder Erstellung weiterer Gutachten wurde zum damaligen Zeitpunkt aufgrund des ursprünglich angedachten begrenzten Umfangs und der gutachterlich bestätigten Notwendigkeit des Eingriffs verzichtet. Die Begründung der kompletten Rodung auf dem Plateau mit „Verkehrssicherung“ entbehrt jeder nachvollziehbaren Grundlage und ist daher rechtlich nicht haltbar. Es fehlt eine ermessensgerechte Abwägung, insbesondere auch in Bezug auf die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme.
Um zu einer ordnungsgemäßen Freistellung nach § 44 Abs. 5 BNatSchG zu gelangen, wäre es erforderlich gewesen, das Maßnahmengebiet zu sperren, eine eingehende und dokumentierte Artschutzanalyse und, soweit notwendig, eine nachfolgende tiefergehende Untersuchung vorzunehmen. Stattdessen wurde ohne artenschutzrechtliche Freistellung auf dem Plateau Tabula rasa gemacht und kurzerhand das Areal dem Erdboden gleichgemacht. Festzustellen ist auch, dass über die Begehung lediglich ein Protokoll des städtischen Baumkontrolleurs vorliegt. Sowohl die Aushändigung wie auch die Einsichtnahme in das Protokoll wurden ohne rechtliche Begründung verweigert.
Hierzu nahm die obere Naturschutzbehörde am 30.7.2024 wie folgt Stellung:
Demnach sei der genaue Umfang der Maßnahme bei dem Ortstermin nicht dokumentiert worden. Die Arbeiten sollten jedoch ausschließlich im erforderlichen Umfang erfolgen. Tatsächlich sind umfangreichere Rodungen erfolgt als noch beim Ortstermin angenommen. Die Notwendigkeit sei durch den Baumkontrolleur erst bei der Arbeitsausführung festgestellt worden, wobei eine erneute Abstimmung mit der unteren Naturschutzbehörde nicht mehr erfolgt sei. Die Arbeiten seien aber nicht in der Vogelbrutzeit erfolgt.
Bis auf einen Baum hätte es keine Bäume mit Habitatpotenzial für Fledermäuse oder Bilche gegeben. Maximal hätten Sommerhangplätze unter abgeplatzter Rinde möglich sein können, was auf Grund der Jahreszeit keine Rolle gespielt hätte. Eine eingehende Untersuchung hätte laut Fachgutachter dringlich erforderlicher Maßnahmen u. U. bis in die Brutzeit hinein verlängert, was nach unterer Naturschutzbehörde zu keinem anderen Ergebnis geführt hätte, als dass hier maximal der Lebensraum ubiquitär vorkommender Arten temporär durch Verlust eingeschränkt worden wäre.
Darüber hinaus hätte es sich um eine Verkehrssicherungsmaßnahme der Stadt Bad Kreuznach gehandelt, deren Gefährdungsgrad ein FLL-zertifizierter Baumsachverständiger festgestellt hätte. Es hätte seitens der unteren Naturschutzbehörde keinen Anlass gegeben, die Einschätzungen und Fachkenntnisse des Fachgutachters anzuzweifeln.
Abschließend sei die untere Naturschutzbehörde aufgefordert worden, die Prüfung des Eingriffstatbestandes i. S. des § 14 BNatSchG vorzunehmen und der Stadt KH aufzuerlegen, eine nachträgliche Bewertung und Bilanzierung des Eingriffs einschließlich der artenschutzrechtlichen Belange vorzunehmen sowie die erforderlichen Kompensationsmaßnahmen für die Rodungen darzulegen, da die Ausübung der Verkehrssicherungspflicht die Anwendung der Eingriffsregelung nicht ausschließen würde. Bei Verfahrensabschluss würden wir entsprechend informiert werden.
Hierzu nehmen wir wie folgt Stellung:
Ein innerstädtisches Areal von 3.500 m2 an Vegetation zu roden ist ein schwerer Eingriff ins Ökosystem. Die Funktion einer solchen Fläche, auf das Habitatpotenzial von Fledermäusen und Bilchen reduzieren zu wollen, zeugt von einer arg verengten Sichtweise auf die Vernetzungstrukturen im urbanen Umfeld. Dass die Fällungen nicht in der Vogelbrutzeit erfolgten, ist so selbstverständlich, dass diese Erwähnung fast verwundert. Mit der Rodung einer derart großen Gehölzfläche gehen zahlreiche Nistplätze verloren. Darüber hinaus ist auch das schützenswert, was kein Fell oder keine Federn trägt.
Hierzu verweise ich nochmal auf die Datei Artefakt, Messtischblatt 6113. Vielfalt, man kann sie auch Biotopdiversität nennen, ist ein Wert an sich, das sollte mittlerweile angekommen sein. Das Gelände war seit Jahrzehnten keiner dezidierten menschlichen Nutzung unterworfen und insofern ein hochwertiges Stück Natur. Wollte man auf der Fläche eine Verjüngung durchführen, so wäre ein kleinräumiges Vorgehen angezeigt gewesen, dass die betreffenden Arten zumindest die Chance gehabt hätten, auszuweichen. Der nächste größere Baumbestand ist immerhin durch mindestens 350 m dichte Bebauung von der Fläche entfernt. Gab es hier einen Gedanken zur Biotopvernetzung?
Gibt es überhaupt ein konkretes Konzept für die Fläche? Ein Konzept, das diesen massiven Eingriff rechtfertigt. Falls es ein solches gibt, hätte das im Vorfeld abgestimmt werden müssen. Im Gesprächstermin vom 14.5.2024 mit dem Bauamt, dem Sachbearbeiter der unteren Naturschutzbehörde, dem städtischen Baumkontrolleur, meiner Person und drei anwesenden Stadträten wurde seitens des Bauamtes angemerkt, dass man eine einstweilige Sperrung des ca. 3.500 qm2 großen Areals mit einer dann einhergehenden artenschutzrechtlichen Prüfung aufgrund der Verkehrssicherungspflicht und auch aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten als unverhältnismäßig angesehen hat.
Die Artenvielfalt, die sich in den letzten 20 Jahren auf diesem Areal gebildet hat, unter diesen Gesichtspunkten zu betrachten, macht mich einfach nur fassungslos. Darüber hinaus konterkariert diese Denkweise und Vorgehen die Bemühungen der Stadt, ihre Bürger zur Anlage lebendiger Vorgärten zu ermuntern. Was die Rodung hinsichtlich des Biotopschutzes unerträglich macht, ist die fehlende Perspektive: Was soll mit der Fläche geschehen? Angaben hierzu konnten im Gesprächstermin vom 14.5.2024 nicht gemacht werden. Darüber hinaus hatte ich bereits bei der SGD Nord moniert (wurde von dort auch bestätigt, “wobei eine erneute Abstimmung mit der unteren Naturschutzbehörde nicht mehr erfolgt sei“), dass keine Genehmigung des Kahlschlages nach § 17 Abs. 1 BNatschG i. V. m § 9 Abs. 2 LNatschG vorlag.
Die Privilegierung nach § 18 Abs. 2 Satz 1 BNatSchG war hier nicht anzuwenden, da die Maßnahme nicht auf ein Vorhaben nach § 29 BauGB gerichtet war (VG Koblenz 4 L 127/22 vom 04.03.2022). Daher unterliegt diese Maßnahme weiterhin dem naturschutzrechtlichen Eingriffsregime (§ 15–17 BNatSchG) der unteren Naturschutzbehörde. Somit ist der Eingriff widerrechtlich erfolgt. Das Genehmigungsverfahren soll es ja gerade der unteren Naturschutzbehörde ermöglichen, von den Vorhaben Kenntnis zu erlangen und bezüglich der Auswirkungen und der artenschutzrechtlichen Aspekte entsprechend reagieren zu können.
Darüber hinaus verweise ich auf § 17 Abs. 3 BNatSchG. Der Privatmann benötigt für solche Eingriffe bereits nach Bundesrecht stets eine Genehmigung. Eine Durchführung ohne Genehmigung ist als Ordnungswidrigkeit nach § 69 Abs. 3 Nr. 1 BNatschG zu ahnden. Dies muss auch bei einer Kommune entsprechend verfolgt werden, denn deren Handeln sollte ihren Bürgern Vorbild sein. Ansonsten darf man sich nicht wundern, wenn Bürger entsprechend handeln. Die Verkehrssicherungspflicht ändert daran auch nichts.
Insbesondere ist diese auch kein Freifahrtschein, die eingriffsrechtlichen bzw. artenschutzrechtlichen Bestimmungen und die erforderlichen Genehmigungsverfahren zu umgehen. Selbst bei Gefahr in Vollzug ist die untere Naturschutzbehörde auf die Dringlichkeit der Maßnahme hinzuweisen. Es obliegt allein der unteren Naturschutzbehörde, nach vollumfänglicher Untersuchung und Überprüfung im Genehmigungsverfahren zwischen Verkehrssicherung und Naturschutz abzuwägen und nicht dem städtischen Baumkontrolleur.
Im Rahmen dieser Abwägung ergeben sich in der Regel drei verschiedene Möglichkeiten:
Personen und mögliche Gefahrenquellen trennen, was beispielsweise durch das Aufstellen eines Zaunes möglich ist.
Aufstellen von Warnschildern, auf denen Menschen vor potentiellen Gefahrenquellen gewarnt werden.
Gefahrenquellen beseitigen, beispielsweise, indem man einen morschen Baum fällt. Hierzu ist anzumerken, dass es zur Fläche Flur 72, Nr. 1/8 lediglich drei Zugänge gibt. Der Zugang zwischen dem Gebäude auf der Fläche Nr. 72 Nr. 1/3 und dem darunterliegenden Casinogebäude wird bereits jetzt durch eine Schranke eingeschränkt. Die übrigen Zugänge vom Parkplatz Richtung Casinogebäude oder von der Straße am Casinogebäude vorbei sind derzeit bereits eingeschränkt worden, da das Casinogebäude (Eckgebäude Brückes / Stromberger Straße) eine Dauerbaustelle ist.
Durch eine Erweiterung der derzeitigen Bauzäune wäre eine zeitweise Schließung der Parkplatzanlage im Graben leicht möglich gewesen. Dazu kommt, dass der Parkplatz im Graben kein öffentlicher Parkplatz ist. Die Nutzung erfolgt überwiegend durch die Beschäftigten der Stadt Bad Kreuznach im Telekomgebäude und im Stadthaus. Das Telekomgebäude besitzt eine Tiefgarage. Darüber hinaus hätte man bis zur abschließenden Untersuchung der Fläche Flur 72 Nr. 1/8 in Sachen Natur- und Artenschutz den unten ersichtlichen Jahnhallenparkplatz als Übergangsalternative anbieten können.
Bezüglich des Artenschutzes ist anzumerken, dass die Privilegierung nach § 44 Abs. 5 BNatSchG nicht anwendbar war, da zum einen mangels Genehmigung kein zulässiger Eingriff nach § 15 Abs. 2 BNatSchG vorlag und zum anderen mangels eines Vorhabens nach § 29 BauGB ein Rückgriff auch nach § 18 Abs. 2 BNatSchG ausscheidet. Selbst bei einer erfolgten Genehmigung des Eingriffes nach § 17 Abs. 1 BNatSchG i. V. m. Bei § 9 Abs. 2 LNatSchG hätten die artenschutzrechtlichen Verbote nach § 44 Abs. 1 BNatSchG somit weiterhin voll gegriffen. Bei entsprechendem Arten- oder Nestbesatz wäre somit eine Ausnahmegenehmigung § 45 Abs. 7 BNatschG oder eine Befreiung nach § 67 BNatschG erforderlich gewesen.
Daher ist der unteren sowie der oberen Naturschutzbehörde in folgenden Punkten zu widersprechen:
– Seitens des Baumkontrolleurs der Stadt wurde ein Protokoll angefertigt. Dieses wollte man uns im Gespräch vom 14.5.2024 nicht aushändigen.
– Die Ursprungsmaßnahme war zuerst auf Bäume im Böschungsbereich zum Parkplatz vorgesehen. Nur in diesem Bereich lag eine Abstimmung mit der unteren Naturschutzbehörde vor.
– Die vollumfängliche Genehmigung für den Kahlschlag lag nicht vor.
– Ein FLL-zertifizierter Baumkontroller ist kein Artenschutzexperte. Die Auswirkungen hat ein entsprechender Fachmann zu beurteilen.
– Die Sichtweise auf das vor Ort mögliche Artenspektrum ist laut Darstellung der unteren Naturschutzbehörde in Bezug auf die Gesamtfläche zu eingeengt.
– Selbst im Rahmen der Verkehrssicherungspflicht ist eine artenschutzrechtliche Potentialanalyse durchzuführen. Nach § 24 Abs. 3 LNatschG sind die Ergebnisse festzuhalten und der unteren Naturschutzbehörde zu übergeben. Im Gespräch vom 14.5.2024 gab die untere Naturschutzbehörde an, dass sich die artenschutzrechtliche Sichtung nur auf die Ursprungsmaßnahme bezogen hatte.
– Die Abwägung zwischen Naturschutz, Artenschutz und Verkehrssicherung obliegt einzig und alleine der unteren Naturschutzbehörde im entsprechenden Genehmigungsverfahren
– Bei der Art der Durchführung der Verkehrssicherungsmaßnahmen war absolut unverhältnismäßig.
– Die widerrechtliche Rodung der Stadt Bad Kreuznach ist als Ordnungswidrigkeit durch die untere Naturschutzbehörde zu ahnden.
Ein funktionierendes Ökosystem liegt in unser allem Interesse. Dazu dienen die natur- und artenschutzrechtlichen Vorgaben. Daher sind diese auch verfassungsrechtlich verankert, was dafür zuständigen Behörden nochmals besonders in die Pflicht nimmt, die natur- und artenschutzrechtlichen Vorgaben zu beachten, einzufordern und zu verteidigen. Dies schafft auch die notwendige Vorbildfunktion gegenüber dem Bürger. Gerade in Bad Kreuznach, welche zu den wärmsten und verdichtetsten Städten in Deutschland zählt, sind solche großen Freiflächen inmitten von vollumfänglicher Bebauung als Rückzugsort für eine Vielzahl von Arten doppelt so wertvoll und zwingend zu erhalten.
Bei notwendigen Maßnahmen ist unter Beachtung der natur- und artenschutzrechtlichen Vorgaben daher äußerst behutsam vorzugehen. Darüber kann sich eine Stadt nicht einfach hinwegsetzen. Dies darf keine Schule machen. Daher ist die vorliegende Ordnungswidrigkeit dringend zu ahnden. Dieser Sachverhalt ist für mich ein Negativbeispiel und darf keine Wiederholung finden. Ich halte daher meine Fachaufsichtsbeschwerde gegen die untere Naturschutzbehörde beim Kreis Bad Kreuznach aufrecht und bitte die oberste Naturschutzbehörde um Überprüfung. Mit freundlichen Grüßen gez. Kay Maleton, stellvertretender Vorsitzender denk-mal e. V. Bad Kreuznach“