Von Adrian Rahmani
und Claus Jotzo
Sechs * Menschen starben. Über 200 wurden verletzt. Das ist die Schreckens-Zwischenbilanz des Anschlages auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt am gestrigen Freitagabend (20.12.2024) gegen 19:04 Uhr. Im ZDF heute journal kam gegen 22 Uhr der Extremismus- und Terrorismusexperte Dr. Hans-Jakob Schindler zu Wort. Nach einer ersten Analyse der von einer Sicherheitskamera aufgenommenen Bilder stellte dieser, sichtlich bewegt, fest: „dass ein Täter mit einem Auto über einen Weihnachtsmarkt fährt, müsste eigentlich unmöglich sein.“ Und schlussfolgerte: „es muss hier irgendwo eine Lücke im physischen Sicherheitskonzept des Weihnachtsmarkt gegeben haben.“
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Diese Lücke müsse der Fahrer ausgenutzt haben. Wie Reporter von ARD und n-tv.de vor Ort recherchierten, bestand diese Lücke in Magdeburg optisch verdeckt und war nur durch eine Auskundschaftung vor Ort wahrzunehmen. In Bad Kreuznach bedürfte es einer solchen Mühe durch Täter nicht. Sowohl die Zufahrten zum Nikolausmarkt rund um die Nikolauskirche auch auch die zum Weihnachtsmarkt im Bad Münsterer Kurpark sind nicht durch Poller geschützt. Um diese Sicherheitslücken gross wie Scheunentore ins Bild setzen zu können, sind wir am heutigen frühen Samstagmorgen noch einmal vor Ort gewesen. Denn leider ist die Gefahr von Nachahmungstaten real.
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Daher werden nach dem Anschlag vom gestrigen Freitagabend bundesweit Fragen nach der Sicherheit auf derartigen Veranstaltungen gestellt. In Bad Kreuznach drängt sich eine auf: wieso werden die im Besitz der Stadt befindlichen, vom Bauhof eingelagerten Poller, nicht zum Schutz der beiden örtlichen Weihnachtsmärkte eingesetzt? Fakt ist, dass mit einem Pkw oder Lkw vollkommen ungehindert etwa in die Poststrasse eingefahren werden kann. Auch die Teilfläche des Nikolausmarktes auf dem Eiermarkt ist automobil über die Schuhgasse und von der Mannheimer Strasse her (Höhe Kinderschutzbund) ohne Behinderung durch Poller gut zu erreichen.
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Ähnlich offen sind die Verhältnisse rund um den Bad Münsterer Weihnachtsmarkt. Dort ist eine Einfahrt sowohl von der Rheingrafen- über die Kurhausstrasse hinweg möglich. Als auch vom Kapitän-Lorenz-Ufer aus. Wie in Magdeburg an der Elbe wird offenbar auch in der Nahemetropole gedacht: bei uns passiert so was nicht. Diese Fehleinschätzung hilft den Opfern in der Hauptstadt von Sachsen-Anhalt jetzt nicht mehr. Noch ist es aber möglich, Opfer in Bad Kreuznach zu vermeiden. Natürlich gibt es keine absolute Sicherheit. Und statt sich mit Glühwein abzufüllen, sollten Weihnachtsmarktgäste (nicht nur wegen der Gefahr durch Autos) besser auf sich und ihre Mitmenschen achten.
Aber für Sicherheitsfragen sind nicht die Gäste verantwortlich. Sondern die zuständigen Behörden. Die müssen sehr schnell erklären, warum bei uns die bundesweit geltenden Standards für den Schutz von Weihnachtsmärkten nicht eingehalten werden. Sondern nur der Jahrmarkt und die Strassenfastnacht per Poller geschützt werden. In der historischen Neustadt und rund um den Münsterer Kurpark muss es ja nicht der von Sicherheitsspezialisten geforderte „geschlossene Ring von Betonbarrieren“ sein. Die in Bad Kreuznach beschafften wasserbefüllbaren Plastik-Poller sind, das haben Fachleute der Redaktion von tourismusbeitrag-so-nicht.de bestätigt, „ausgezeichnet geeignet“.
Wegen der Transportkosten auf deren Einsatz zu verzichten, erinnert an das Verhalten auf der Titanic, wo Schotten nicht geschlossen wurden, weil der damit verbundene Lärm die Passagiere im Schlaf gestört hätte … Am späten gestrigen Freitagabend hat die Redaktion von tourismusbeitrag-so-nicht.de sowohl bei der Stadtverwaltung als auch der Polizeiinspektion nachgefragt, ob – wie etwa in Erfurt – eine Schliessung der beiden Bad Kreuznacher Veranstaltungen angedacht ist. Von den angeschriebenen Verantwortlichen der Stadt, die als Genehmigungsbehörde allein zuständig ist, kam bis zum Redaktionsschluss (21.12.2024 um 6:30 Uhr) keine Reaktion.
Wie eine gut organisierte und geführte deutsche Behörde arbeitet, zeigte in erfreulich positivem Kontrast dazu die Bad Kreuznacher Polizeiinspektion. Die ist ausdrücklich keine Genehmigungsbehörde und daher nur aufgrund der allgemeinen Gefahrenabwehr mit dem Thema befasst. Die reagierte auf die um 23:48 Uhr am 20.12.2024 abgeschickte Email bereits um 0:15 Uhr am 21.12.2024. Die Frage, wie auf den Anschlag und die nun theoretisch zu befürchtende Nachahmungstaten reagiert wird, beantwortete Dienstgruppenleiterin Mayer mit der sehr gut nachvollziehbaren Erklärung: „da die Umstände der Tat in Magdeburg noch in der Abklärung sind, gibt es für Bad Kreuznach noch keine aktuellen Informationen bzw. Änderungen.
Wir werden auf jeden Fall die Weihnachtsmärkte verstärkt bestreifen. Sollte es eine Anweisung aus Mainz geben, wird die Polizei natürlich in Absprache mit der Stadt über die weiteren Maßnahmen informieren“. Eine Maßnahme, mit der die Stadtverwaltung zeigen könnte, dass sie verstanden hat, wäre die Aufstellung von Pollern an den von uns aufgezeigten Einfahrmöglichkeiten. Die Nachricht von dem Anschlag in Magdeburg wurde gestern ab etwa 20 Uhr von den Massenmedien verbreitet. Die örtlichen, pollerlosen Verhältnisse sollten den hiesigen Verantwortlichen bekannt sein. Also hätte schon am gestrigen Abend entschieden werden können, ob wie in Erfurt, die Weihnachtsmärkte dicht gemacht werden.
Oder heute ein spontaner Schutzpolleraufbau erfolgt. Wäre die entsprechende Nachricht den sechs vor Ort relevanten Pressemedien – gern auch fernmündlich – zur Verfügung gestellt worden, wäre seit heute früh allen Schaustellern und Beschickern und vielen der potentiellen Weihnachtsmarktgäste die Lage bekannt und die Leute hätten sich frühzeitig richten können. Aber diese Flexibilität ist leider nicht gegeben. Wir hatten das eigentlich nicht vor, werden aber – wenn uns nicht doch noch eine Schliessungsnachricht der Stadt erreicht – heute Abend den Nikolausmarkt und den Bad Münsterer Weihnachtsmarkt besuchen. Um ein Zeichen zu setzen, dass wir uns keine Angst machen lassen.
* Aktualisierung von fünf auf sechs am 6.1.2025, weil ein weiteres Opfer im Krankenhaus verstorben ist.