Berührende Briefe an einen polnischen Zwangsarbeiter

In dieser Woche findet im Haus der Stadtgeschichte (Mannheimer Strasse 189) eine Veranstaltungsreihe über Opfer des Nationalsozialismus statt. Am ersten Veranstaltungsabend (5.11.2024) berichtete Julia Röttjer über von den Nazis verschleppte Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern aus Polen. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin des Deutschen Polen-Institutes in Darmstadt wurde auch in Bad Kreuznach fündig. Auf dem Hauptfriedhof gibt es ein Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus. Hier liegen u.a. 38 KZ-Häftlinge begraben. Drei von ihnen aus Polen. Weitere Dokumente stellte Stadtarchivarin Franziska Blum-Gabelmann zur Verfügung.

141 Briefe und 23 Postkarten sowie zwei Lohnsteuerkarten und ein weiteres amtliches Schreiben, die auf einem Dachboden in Duchroth gefunden und dem Stadtarchiv geschenkt wurden. Adressat ist der polnische Zwangsarbeiter Stanisław Jakóbczyk, dem die Familie und Freunde aus der Heimat schrieben – wertvolle Zeitdokumente aus den Jahren 1940 bis 1945. Aus einigen Briefen las Julia Röttjer bei ihrem Vortrag im Haus der Stadtgeschichte vor. Seine Freundin und spätere Ehefrau Maria Sulek schreibt am 29.12.1942:

„Es ist eine Woche her, dass ich nach so langem Schweigen einen neuen Brief von dir erhalten habe, ich verstehe, dass du hart arbeitest, denn du konntest dich nicht einmal dazu aufraffen, mir eine kurze Antwort zu geben, auf die ich von Tag zu Tag mit klopfendem Herzen gewartet habe, wie konntest du mich mit so viel Unruhe zurücklassen, oder wolltest du mich vielleicht ganz und gar vergessen.” Brief von Zygmunt, geschrieben im Auftrag der Mutter von Stanisław Jakóbczyk, 23.10.41: “Mama bittet Dich, dass du dir über deinen Zustand und deine Lage nicht zu viele Sorgen machst, das muss bald enden, dann werden wir über alles besser Bescheid wissen.

Mach dir keine Sorgen, denke nicht daran, lebe von einem Tag auf den anderen.” “P.S. Bei uns in Wojkowice ist es auch schwer, wie überall. Getreide muss man abgeben, angeblich auch Kartoffeln.” “Ich sende dir viele Grüße aus der ganzen Familie, wünsche alles Gute, schnelle Befreiung, besuche uns dann, wir werden uns weiter unterhalten.” Jakubczyk geriet am 20.9.1939 in der Nähe von Biłgoraj in deutsche Kriegsgefangenschaft. Er war in einigen Kriegsgefangenenlagern interniert und wurde letztendlich im März 1941 in den Zivilstatus überführt, damit er, unter Umgehung der internationalen Konventionen für Kriegsgefangene, für die Deutschen Zwangsarbeit leisten sollte.

Zunächst wurde er wohl als Zwangsarbeiter in der Landwirtschaft in Katzenbach (Rockenhausen, im Donnersbergkreis) eingesetzt. Dann kam er nach Duchroth. Nach dem Ende des Kriegs blieb Jakóbczyk weiter in der französischen Besatzungszone, wo er sich noch im Dezember 1945 befand. Danach ist Jakóbczyk nach Polen zurückgegangen. Gestorben ist er im Jahr 1999. „Es ist außergewöhnlich, dass wir uns dem Schicksal eines polnischen, in der Landwirtschaft eingesetzten Zwangsarbeiter mit so vielen individuellen Zeugnissen nähern können“, misst Julia Röttjer diesem Fund einen großen Stellenwert bei.

„Dabei ist es auch bemerkenswert, dass es eine so umfangreiche Korrespondenz (141 Briefe und 23 Postkarten) von 1940 bis 1945 gab und sie sich erhalten hat. Wenn man sie weiter aufarbeitet, wird dort sicherlich einiges darüber zu erfahren sein, wie die Familie den Besatzungsalltag im oberschlesischen Industriegebiet erlebt hat. Über die Erfahrungen von Stanisław Jakóbczyk als Zwangsarbeiter in Duchroth erfahren wir auf diese Weise allerdings nur mittelbar etwas. Vielleicht gelingt es, in polnischen Archiven weitere Dokumente dazu zu finden.

Wir wissen auch nicht ganz genau, in welcher Art und Weise in den Briefen auf die Zensur Rücksicht genommen wurde.“ Für seine Zwangsarbeit stand ihm die Bundesrepublik Deutschland 350 DM zu. Eine Summe, über die die Zuhörerinnen und Zuhörer im Haus der Stadtgeschichte verständnislos den Kopf schüttelten. Die Diskussion um ein zentrales Berliner Gedenken für die Opfer Polens im Zweiten Weltkrieg wird seit einigen Jahren geführt.

Zugleich existieren dezentral an unzähligen Orten Gedenkzeichen in Form von Erinnerungstafeln, Denkmalen oder Grabstellen. Diese Zeichen sind zugleich Bestandteil der Geschichte der deutschen und polnischen Kultur und der Vergangenheit polnischen Lebens in Deutschland. Die Auseinandersetzung damit und die Erforschung und Erzählung ihrer Geschichten sind ein wichtiger Teil des deutsch-polnischen Verhältnisses. Das Deutsche Polen-Institut sucht für sein Forschungsprojekt:

# Hinweise auf die Schicksale von Polinnen und Polen in Niedersachsen, Hessen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs.
# Spuren der Erinnerung an sie im öffentlichen Raum wie Gedenksteine, Tafeln u.a.
# Fotos, Dokumente – zum Beispiel Briefe, Karten, Ausweise, Tagebucheinträge und damit verbundene Erinnerungsstücke aus der Zeit des Nationalsozialismus und aus der Nachkriegszeit in der Region.
# ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter und deren Angehörige.
# Zeitzeuginnen und Zeitzeugen aus den Regionen.

Hinweise bitte an Julia Röttjer (roettjer@dpi-da.de, Postanschrift: Residenzschloss / Marktplatz 15, 64283 Darmstadt, 06151-42 02 23 tagsüber montags, mittwochs und donnerstags).

Quelle und Bild: Stadtverwaltung Bad Kreuznach