Kommentar von Claus Jotzo
Der deutsche Meteorologe, Ozeanograph und Hochschullehrer Mojib Latif hat das mit seinem brillanten Verstand bezogen auf das Versagen bei der Klimapolitik elegant so formuliert: “Politik entscheidet sich ungern. Man wartet und wartet, bis man gezwungen ist”. Auch für die Verdrängung von Themen, die sich in der Zukunft auswirken, liefert Latif eine überzeugende Erklärung: “alles, was weit weg ist, egal, wie schlimm es ist, interessiert uns eigentlich nicht. Uns interessiert das Hier und Jetzt.” Aus diesem Grund führe auch faktenbasierte Information nicht notwendigerweise zum Handeln. Diese Analyse von Mojib Latif lässt sich 1 zu 1 auf die Finanzpolitik des Stadtrates übertragen.
Um heute gut auszusehen verkauft die Mehrheit der Verantwortungsträger*Innen die Zukunft der nachfolgenden Generationen. Lediglich mit rhetorischen Lippenbekenntnissen wird die ständig weiter wachsende Verschuldung beklagt. Mit schauspielerischer Glanzleistung werden angesichts des 5,5 Millionen-Euro-Einbruches bei der Gewerbesteuer Krokodilstränen vergossen. Um am Ende die Hände für Steuererhöhungen und neue Kredite in die Höhe zu recken. Weil das viel bequemer ist, als den Interessensgruppen und Verwaltungsmitarbeitenden zu erklären, warum die Geldverbrennung etwa in Form der wirtschaftlichen Jugendhilfe (zwischen sechs und acht Millionen Euro jährlich) gestoppt werden muss.
SPD, Grüne und FDP in Bad Kreuznach haben zudem nicht die Motivation dazu, weil es die von ihren Mutterparteien getragene Ampel-Landesregierung ist, die für das Finanzloch bei der gerechten Finanzierung der Jugendhilfe verantwortlich ist. Obwohl sich alle 44 am 9.6.2024 gewählten Stadtratsmitglieder per Handschlag zur Einhaltung der Gemeindeordnung haben verpflichten lassen, hat deren Mehrheit nicht verhindert, dass schon heute eine rechtskonforme Beratung des Stadthaushaltes für 2025 nicht mehr möglich. Dafür verantwortlich ist die Absage der eigentlich für diese Woche angesetzten Beratungen der Haushaltssatzung und des Haushaltsplanes.
Die rechtswidrige und in der Sache unverantwortliche Maßnahme wurde vom Stadtvorstand unter Leitung von Emanuel Letz (FDP) entschieden. Prostest aus dem Stadtrat: keiner. Nicht nur peinlich, sondern typisch für die beständige Desinformation auf der Stadtseite: den interessierten Bürger*Innen wird dort noch immer der 21.11.2024 als Termin einer “Sondersitzung des Stadtrates zum Haushalt” vorgegaukelt (Stand: 4.11.2024 um 3:30 Uhr). Dazu kann es aber schon aus Rechtsgründen nicht mehr kommen. Denn § 97 der Gemeindeordnung (GemO) “Erlass der Haushaltssatzung” schreibt vor, dass der Verwaltungsentwurf mit “einer Frist von 14 Tagen ab Bekanntmachung” öffentlich auszulegen ist.
Den Einwohner*Innen soll so die Möglichkeit gegeben werden, sich mit eigenen Vorschlägen an den Finanzplanungen zu beteiligen. Bis heute gibt es nicht ein mal einen Entwurf für das wichtige Zahlenwerk. In der Stadtratssitzung am 30. Oktober hat Oberbürgermeister Letz mitgeteilt, dass er mit der Erstellung eines solchen erst beginnen kann, wenn die von ihm auf den 31. Oktober verlängerte Nachfrist für Einsparungsvorschläge aus der Verwaltung abgelaufen ist. Wieder einmal versäumt die Stadt so die Einhaltung der vom Land gesetzten Vorschrift, demnach die Vorlage des vom Stadtrat beratenen und verabschiedeten Stadthaushaltes “spätestens einen Monat vor Beginn des Haushaltsjahres erfolgen soll”.
Der erneute Rechtsbruch schadet der Stadt gleich in mehrfacher Hinsicht. Zum einen wird dadurch die Frage aufgeworfen, warum sich irgend jemand in Bad Kreuznach an Vorschriften der Stadt halten soll – wenn diese selbst das geltende Recht regelmässig massiv bricht. Zum anderen wird dadurch bewirkt, dass im neuen Jahr wieder monatelang ein Nothaushalt praktiziert wird. Was nichts anders bedeutet, als dass nicht die demokratisch gewählten Stadtratsmitglieder, sondern Verwaltungsmitarbeitende entscheiden, was gemacht wird. Und was nicht. Was einem teil der ehrenamtlichen Politiker*Innen ganz recht ist. Denn mit dem Hinweis darauf können sie Kritik aus der Bürgerschaft weiterleiten.
Am morgigen Dienstag (5.11.2024) tagt in öffentlicher Sitzung der städtische Finanzausschuss (17:30 Uhr, Sitzungssaal im Rathaus am Kornmarkt). Der mit Abstand wichtigste Tagesordnungspunkt “Haushaltsplanung 2025” ist ganz am Ende der Sitzung versteckt. Unter “Mitteilungen und Anfragen”. Was für die Verwaltung den Vorteil hat, dass sie nach ihrer Rechtsauffassung Fragen und Kommentare der Ausschussmitglieder unterdrücken und verhindern kann. Die von Emanuel Letz unterschriebene Mitteilungsvorlage enthält nur einen Satz: “in der Sitzung werden wir über den aktuellen Stand der Haushaltsplanung für das Haushaltsjahr 2025 berichten”.