“Das ist meine Strasse, Du Hurensohn”

Von Claus Jotzo

In der Stadtratssitzung am 29. August trug eine Gruppe von Einzelhändlern ihre Sorgen über negative Entwicklungen in der Innenstadt im Rahmen der Einwohnerfragestunde vor. Als Organisatoren traten Michael Hübner, Mike Mattern, Michael Scholle und dessen Schwester Melanie Kolling auf. In ihren Redebeiträgen sprachen die Einzelhändler neben gestalterischen Defiziten in der Fussgängerzone und einer ständig zunehmenden Vermüllung der Innenstadt auch die dort bestehenden sozialen Missstände deutlich an. Neben einer zunehmenden Verwahrlosung kritisierte insbesondere Melanie Kolling unverblümt den Sicherheitsaspekt.

Oberbürgermeister Emanuel Letz und Wirtschaftsförderungsdezernent Markus Schlosser unternahmen in Beantwortung dieser Feststellungen den Versuch, die angesprochenen Probleme zu relativieren. Wie ernst die Lage in der Innenstadt tatsächlich ist, habe ich am Donnerstag vergangener Woche (10.10.2024) persönlich erlebt. Mitten in der Stadt. Zu einem Zeitpunkt, als noch einige Geschäfte geöffnet hatten. Ich befand mich auf dem Fussweg von der Kreisverwaltung in der Salinenstrasse 47, wo ich an der Feier des 30jährigen Jubiläums der Beiräte für Migration von Stadt und Kreis teilgenommen hatte, zum neuen Rathaus am Kornmarkt.

Denn im dortigen Sitzungssaal tagte ab 18:30 Uhr der städtische Ausschuss für Messen und Märkte. Bereits in der Fussgängerzone Kreuzstrasse, noch vor dem Einbiegen in die Engelsgasse, hörte ich lautes Geschrei. Klar zu unterscheiden waren eine Frauen- und eine Männerstimme. Es handelte sich leicht hörbar um ein emotionales Streitgespräch. Gegenseitige Vorhaltungen und Beleidigungen wechselten sich ab. Nach einigen Metern in der Engelsgasse passierte ich ein offenstehendes Erdgeschossfenster, durch das ich im Vorübergehen im Innenraum mehrere Personen mindestens drei, ich meine vier, erkennen konnte.

Aufgrund ihrer fortgesetzten Brüllerei waren die beiden streitenden Personen, die links vorn am Fenster sassen und sich bereits “in den Haaren lagen” gut zu erkennen. Ich ging ohne anzuhalten weiter. Die Brüllerei wurde für zwei oder drei Sekunden leiser. Und explodierte dann förmlich wieder. Weil die Lautstärke weiter zunahm, die Frau hysterisch schrie und der Mann immer aggressiver brüllte (“wie redest mit mir, Du Fotze”), blieb ich nach etwa 20 Metern stehen und entschied mich die Polizei anzurufen. Noch während ich mein Handy aus dem Flugmodus in Betrieb nehmen wollte, stürzten plötzlich zwei Personen aus dem offenen Fenster auf die Strasse.

Ich hatte den Eindruck, dass die Frau vor dem Mann flüchtete. Dieser warf sich zunächst auf die Frau und drängte sie dann an die Wand auf der gegenüberliegenden Strassenseite. Während dieses Vorganges rief die Frau: “wir werden gefilmt”. Ich stellte daraufhin fest: “Ich rufe jetzt die Polizei”. Daraufhin liess der Mann von der Frau ab und lief auf mich zu, noch bevor ich die Polizei anrufen konnte. Er blieb erst unmittelbar vor mir stehen. Auch die Frau lief auf mich zu. Der Mann nahm eine Drohpose ein und sprach mich als “Fotzenlecker” an. Beide Personen versuchten mir die Sachen, die ich in den Händen hielt, zu entreissen.

Darauf reagierte ich, in dem ich diese fest an meinen Körper drückte und mich in Gegenrichtung wegdrehte. In dieser Sekunde, also als ich mich gerade in Gegenrichtung umgedreht hatte, erhielt ich einen kräftigen Schlag gegen die rechte Kopfseite. Der war so heftig, dass ich ins Straucheln kam. Ich war dadurch so geschockt, dass ich mich zu den Angreifern umdrehte. Die Frau schlug mich noch ein zweites Mal. Ich benannte die Körperverletzung als solche und erklärte “jetzt reicht es”. Die beiden Angreifer zogen sich daraufhin zurück. Der Mann verabschiedete sich mit dem Satz: “das ist meine Strasse, Du Hurensohn”.

Angesichts solcher Erlebnisse – und den täglich in der Innenstadt zu sehenden Bildern von an Hauswände urinierenden Männern, in Geschäftseingängen (statt bei den Bastgässjern oder der kreuznacher diakonie) sich niederlassenden Obdachlosen und unzähligen anderen Missständen – ist die Kritik aus dem Einzelhandel und Teilen der dort lebenden Bevölkerung mehr als nachzuvollziehen. Die Stadtspitze mag das weiter schönreden. Aber die Fakten sprechen für sich. Die Kundenfrequenz sinkt. Weil ein Teil der potentiellen Innenstadtbesucher*Innen lieber auf die vielen schönen Dinge in der Stadt verzichtet, als sich diesen Unerfreulichkeiten auszusetzen.