12,6 Millionen Euro Defizit beim Stadtjugendamt

Die Zahl steht selbstverständlich in den Beschlußvorlagen. Und wurde in den Einblendungen auf den Großbildschirmen korrekt angezeigt. Aber ausgesprochen wurde sie am gestrigen Mittwochabend (14.9.2022) im Jugendhilfeausschuss (JHA) kein einziges Mal. Weder von den rund ein Dutzend Amtspersonen. Noch von den ehrenamtlichen Mitgliedern des JHA: 12.622.231 Millionen Euro beträgt das – vorläufige, geplante – Defizit beim Stadtjugendamt. Wie für den Namen des bösen Zauberers bei Harry Potter, gilt für das Jugendamtsdefizit offenbar ein Sprechverbot. Welche unfassbare Dimension die Defizite des Stadtjugendamtes mittlerweile angenommen haben, wird den staunenden Beobachter*Innen vielleicht deutlich, wenn man den einzigen Änderungsantrag der gesamten JHA-Etatdiskussion für 2023 daneben stellt:

Schmale 10.000 Euro mehr für die wertvolle Arbeit der “Ausserschulischen Jugendbildung” wünschte Günter Sichau (Grüne). Einmütig befürwortet vom Ausschuss. 12,6 Millionen Euro Defizit beim Stadtjugendamt: das ist mehr, als die bis heute vorgelegten Defizite aller anderen Teilhaushalte. Und es ist noch lange nicht das Ende. Ausschussmitglied Martina Hassel (SPD) deckte durch mehrere Nachfragen auf, dass etwa die Energiekosten für die städtischen Kitas ohne die heute schon bekannten erheblichen Steigerungen angesetzt sind. Allein dafür werden zusätzlich viele hunderttausend Euro Kosten anfallen.

Noch einmal soviel finanzieller Mehraufwand wird sich bei den Personalkosten ergeben. Obwohl die Inflation bei 8% liegt und bundesweit bekannt ist, dass die Gewerkschaften mindestens einen entsprechenden Ausgleich verlangen, war die Personalkostensteigerung in den gestern beratenen Zahlen noch immer mit nur 3 Prozent angesetzt. Grund: das von Isabelle Merker (SPD) geleitete Personalamt hat noch immer keine Anpassung vorgenommen und behindert so – wie schon in den Vorjahren – die städtischen Etatberatungen. Trotz alledem einstimmig fiel der Zustimmungs-Beschluß im JHA.

Ein Muster ohne Wert. Denn wenn bei den Etatberatungen im Finanzausschuss die tatsächlichen Zahlen auf den Tisch kommen, wird sie wieder losgetreten: die unendliche Diskussion um Erhalt oder Abgabe des Stadtjugendamtes. Eine Diskussion, der die rot-grün-liberale Landesregierung längst den Boden hätte entziehen können. Und müssen. Durch eine entsprechende Erhöhung der Zuschüsse. Aber im Milliardenhaushalt des Landes ist für alles Geld da. Nur nicht ein paar Millionen für die in Sonntagsreden so hochgelobte Jugendarbeit in Bad Kreuznach.

Drama ums Stadtjugendamt
Zusammengefaßt und bewertet von unserem Redakteur
Claus Jotzo

Am wenigsten verdient haben das die betroffenen Kinder und Jugendlichen. Auch die meisten der aktuell verantwortlichen Führungskräfte nicht. Kein Wort der Klage kommt etwa von Stefan Reithofer. Der ist eigentlich “nur” Abteilungsleiter für die Verwaltung des Jugendamtes. Muß aber seit über einem Jahr faktisch die Aufgaben des Amtsleiters übernehmen, weil die Kommunalpolitiker*Innen auf Vorschlag der damaligen Oberbürgermeisterin Dr. Heike Kaster-Meurer mit Horst Mayer einen Mann eingestellt haben, der offen und ehrlich schon bei seiner Vorstellung auf krankheitsbedingte Ausfallzeiten hinwies. Und tatsächlich bis heute auf mehr Krankheits- und Urlaubs- als Arbeitstage kommt.

Diese Personalentscheidung war eine Zumutung für die Mitarbeitenden im Jugendamt, die auch sonst von einem Teil der Kommunalpoliitk im Stich gelassen werden. Etwa von der CDU. Für die müht sich Helmi Friess-Vonderlohe (Planig) um eine Mitarbeit im JHA. Allein. Denn der zweite Christdemokrat, Andreas Ebisch, läßt sich dort schon lange nicht mehr sehen. Ohne eine Vertretung zu organisieren. Wieso eine Volkspartei zwar 44 Bewerber*Innen für den Stadtrat aufstellt, aber nicht mal eine Zweitbesetzung für einen Fachausschuss hinbekommt: unbegreiflich. Wie die CDU diese über Jahre betriebene Gleichgültigkeit in eineinhalb Jahren im Kommunalwahlkampf rechtfertigen möchte, darf gespannt erwartet werden.

Im Frühjahr 2024 müssen sich auch die Grünen einiges fragen lassen. Z.B. warum ihr Stadtratsmitglied Günter Sichau gestern (14.9.2022) im JHA zwar unter Punkt “Mitteilungen” zugibt, dass er es als Makel auch für seine Partei sieht, dass diese in der Bundesregierung die Mittel für Sprach-Kitas gestrichen hat. Aber jeden Hinweis darauf unterläßt, dass es die rot-GRÜN-liberale Landesregierung in Mainz ist, die durch die in der Relation zum milliardenschweren Landeshaushalt lächerliche Summe den Erhalt des Stadtjugendamtes in Frage stellt. Sehr zu recht hat Karl-Heinz Delaveaux (FWG) am Montagabend im Hauptausschuss die mittlerweile geschasste grüne Ex-Jugendministerin Anne Spiegel angesprochen.

Die zwar laut für den Erhalt des Stadtjugendamtes tönte, aber nicht in der Lage war, eine kostendeckende Förderung des Landes zu bewirken. Sondern im Kabinett brav zustimmte, dass diese Millionen für andere Projekte ausgegeben wurden. 2024 werden sich die Grünen da nicht mehr wegducken können. Entweder gibt es jetzt Geld aus Mainz. Oder das Jugendamt-Desaster geht auch mit den Grünen nach hause. Da kann sich Juliane Rohrbacher als aktuell stellvertretende Vorsitzende des JHA noch so mühen. Wenn sich die Grünen nicht aktiv dagegen wehren wieder zur Klientelpartei zu werden, müssen sie sich mit den entsprechenden Wahlergebnissen (siehe FDP) anfreunden. An anderer Stelle, da begrüßen die Grünen gern auch mal Symbolanträge. Warum hat Günter Sichau gestern nicht neben den 10.000 Euro Euro für “Ausserschulische Jugendbildung” auch noch die mindestens 90%ige-Defizitübernahme durch das Land gefordert?

Weil man die Parteioberen in Mainz parteiintern nicht verärgern möchte, die durch den Skandal beim Ahr-Hochwasser genug andere Sorgen haben. Und noch ein letzter Hinweis auf Arbeitsverweigerung, der sich an fast alle JHA-Mitglieder richtet. Wann wenn nicht bei den Etatberatungen ist aus eurer Sicht der richtige Zeitpunkt um nachzufragen, wann endlich der seit dem 1.1.2020 vertragslose Zustand zwischen Kreis und Stadt hinsichtlich der Finnazierung endet? Klar, die Frage ist unangenehm. Mehr noch die Antwortversuche darauf. Aber wer den Einwohner*Innen all diese Informationen und Problemstellungen verschweigt, ist mitschuldig daran, wenn diese sich in der Folge von der etablierten Politik und den Verbänden abwendet.