Einfach nur peinlich

Die Meinung unseres Redakteurs
Claus Jotzo

Die Politikverdrossenheit in der Bevölkerung erreicht demokratiegefährdende Ausmaße. Die Menschen verweigern sich – viele ausgesprochen und bewusst – sogar der Teilnahme an Wahlen. Bad Kreuznach ist im Jahr 2022 bis heute für eine Oberbürgermeister-Wahl BUNDESWEITES Schlußlicht. Nicht mal ein Drittel der Wahlberechtigten wollten am 13. und 27. März bestimmen, wer das wichtige Amt ab dem 1. Juli ausübt. Verantwortungsbewußte Kommunalpolitiker*Innen müßten also alles tun, um die Distanz zu den Menschen zu verringern. Die Bad Kreuznacher Mandatsträger*Innen machen genau das Gegenteil. Fraktionsübergreifend.

Von ganz links bis ganz rechts. Vollkommen abgehoben von der Lebenswirklichkeit. Gestern Nachmittag tagte der Haupt- und Personalausschuss. Da sitzen die in ihrer Selbstwahrnehmung wichtigsten Kommunalpolitiker*Innen zusammen. Und keinem fällt auf, welches Affentheater in Bad Kreuznach aus der Verleihung der Freiherr-vom-Stein-Plakette gemacht wird. Statt kommunalpolitischer Leistung definieren die örtlichen Spezialisten allein und ohne jede Einschränkung die Dauer der Stadtrats-Zugehörigkeit als Kriterium. Das hat mit den guten Absichten der Landesregierung für die Plakette nun wirklich nichts mehr zu tun.

Sitzfleisch-Jahrzehnte als “besonderen Verdienst” darzustellen, das haben im Nachkriegs-Deutschland nur die Kader im SED-Politbüro der DDR geschafft. Den Gipfel der Peinlichkeit stellen die Ausführungen zu Lothar Bastian dar. Der Grüne soll laut Beschlußvorlage im Jahr 2025 dran sein. Die ihn betreffenden Feststellungen verwirklichen zunächst einmal eine beispiellose Respektlosigkeit gegenüber dem Stadtratsmitglied. Denn da 2024 eine Neuwahl des Stadtrates ansteht und bisher mit der Plakette nur aktive Ratsmitglieder ausgezeichnet wurden, unterstellt die Verwaltungsvorlage, dass Lothar in seinen Achzigern noch einmal antritt.

So wie ich ihn kenne, mag ich mir das nicht vorstellen. Auch wenn die Bad Kreuznacher Grünen tatsächlich in die Jahre gekommen sind – soweit werden sie sich von ihren Wurzeln auch wieder nicht entfernen. Gerade Lothar nicht, der bereits in den neunziger Jahren aus Überzeugung aus dem Rat rotierte. Zum anderen ist dieser Vorschlag eine Frechheit gegenüber den aktuellen und den Stadtratsmitgliedern ab dem 1.6.2024. Denn er unterstellt ja, dass sich an dem rückwärtsgewandten, falschen Auswahlverfahren nichts ändern wird. Und das wäre ja wie eine Ohrfeige für die Einwohner*Innen dieser Stadt, denen – auch attraktive und symathische – Sitzfleischträger*Innen vollkommen egal sein können.

Sondern denen konkrete Leistungen für die Stadtgemeinschaft, die zutreffend unter “besondere Verdienste” erfaßt werden können, viel wichtiger sind. Ehrlich und korrekt wäre es daher, in diesem Jahr auf Vorschläge für die Verleihung zu verzichten. Denn wer will angesichts der größten Haushaltskrise der modernen Stadtgeschichte, an der laut Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) und Bürgermeister Thomas Blechschmidt die große Mehrheit der aktuellen Stadträte durch das Unterlassen von Einsparungen und / oder Einnahmemehrungen aktiv mitgewirkt hat, “besondere Verdienste” behaupten?

Der vorstehende Kommentar bezieht sich auf folgenden Bericht:
Tina Franzmann (CDU) bekommt die Freiherr-vom-Stein-Plakette 2022

Was den Fastnachter*Innen ihre Orden sind, sind den Kommunalpolitiker*Innen Plaketten und Nadeln. Eine solche ist die Freiherr-vom-Stein-Plakette. Sie wird vom rheinland-pfälzischen Innenminister alle drei Jahre an Persönlichkeiten verliehen, die sich in ehrenamtlicher Tätigkeit besondere Verdienste in der kommunalen Selbstverwaltung erworben haben. In Bad Kreuznach werden “besondere Verdienste” in der Anzahl der Jahre erkannt, die eine Person dem Stadtrat angehört.

2019 wurde unter diesem Kriterium Carsten Pörksen (SPD) mit der Plakette ausgestattet. Schon damals war als nächste geeignete Persönlichkeit Tina Franzmann angeführt worden. Die Christdemokratin ist seit 1999 ununterbrochen Mitglied des Stadtrates. Und gehört dem Ortsbeirat Bosenheim an. Auf Vorschlag von Oberbürgermeisterin Dr. Heike Kaster-Meurer wurde die Plakettenvergabe am gestrigen Montagnachmittag (9.5.2022) vom Haupt- und Personalausschuss der Stadt einstimmig zugunsten von Tina Franzmann entschieden.

Damit sich der nächstfolgende Plakettenträger angemessen vorbereiten kann, ist auch der schon angeführt: “als Ersatzvorschlag soll Herr Lothar Bastian benannt werden. Er gehört dem Stadtrat seit 1984 an. Lediglich zwischen 1997 und 2014 gehörte er dem städtischen Gremium nicht an”, heisst es in der Drucksachennummer 22/154 wörtlich. Und weiter: “im Jahr 2025 könnte dann Herr Lothar Bastian für die Verleihung der Freiherr-vom-Stein-Plakette vorgeschlagen werden”.