Eklat im Stadtrat: FDP, Freie Wähler, Faire Liste und AfD ziehen aus

Nach gut 30 Minuten hatte sich die Teilnehmendenzahl der Stadtratssitzung am Donnerstagabend (17.2.2022) erheblich verringert: die neun Mitglieder von FDP (4), Freie Wähler (1), Faire Liste (1) und AfD (3) zogen sich aus der Videokonferenz zurück. Grund für die in der laufenden Legislaturperiode beispiellose Protestmaßnahme: Oberbürgermeisterin Dr. Heike Kaster-Meurer hatte den sich trotz Videokonferenz im Sitzungssaal treffenden Mandatsträger*Innen – anders als in den vergangenen 12 Monaten – keine sitzungsbegleitende personelle und technische Unterstützung mehr zur Verfügung gestellt.

Bei seiner Wortwahl blieb Jürgen Eitel gefaßt und sachlich-höflich. Aber an seiner Mimik konnte man dem erfahrenen Kommunalpolitiker die Verärgerung und Enttäuschung über den Wortbruch der Oberbürgermeisterin ansehen. Dr. Heike Kaster-Meurer hatte Ende 2020 und Anfang 2021 mehrfach “jede” Hilfe und Unterstützung zugesagt, um die gesetzlich geforderte 2/3-Zustimmung der Stadtratsmitglieder zu Videokonferenzen zu erhalten.

Im vergangenen Jahr war es so, wie diese Seite mehrfach berichtet hat: bei Videokonferenzen traf sich ein erheblicher Teil der Ausschuß- bzw Stadtratsmitglieder im Sitzungssaal, um dort Hilfe bei der Bedienung der städtischen Tabletts zu erhalten. Am Donnerstag verließ Hauptamtsmitarbeiter Jürgen Cron nach einigen Minuten den Raum und ließ die dort sitzenden Stadtratsmitglieder mit einer persönlichen Erkärung allein zurück. Daraufhin meldete sich Jürgen Eitel, der Vorsitzende der Fraktion FDP / Freie Wähler / Faire Liste in der Videokonferenz zu Wort und forderte eine Erklärung für den Sachverhalt:

“Wir sind hier im Gebäude Brückes. Und zum ersten Mal läßt man uns hier ganz alleine. Wir haben keinerlei Unterstützung von Mitarbeitern der Stadtverwaltung. Das ist ganz ganz unüblich. Bisher war öfters der Herr Wirz oder der Herr Cron hier. Jetzt ist niemand hier. Hat sich verabschiedet der Herr Cron gerade eben. Wir haben einige Stadtratsmitglieder, die einen PC nicht beherrschen, die ihn auch nicht bedienen können, die auch nicht wissen, was sie machen müssen, wenn das Gerät ausfällt, wie vorhin. Das ist ein untragbarer Zustand. Wir bitten Sie dafür zu sorgen, dass eine ihrer Personen hier wieder erscheint im Sitzungssaal”.

Dr. Heike Kaster-Meurer erklärte den nach einer zweistelligen Zahl von Sitzungen mit entsprechendem Ablauf überraschenden, unangekündigten und in keinem Ausschuß vorbesprochenen Abzug des städtischen Personals wie folgt: “gut, wir haben bei der letzten Stadtratssitzung wahrgenommen, dass drei Stunden unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in dem selben Raum mit zahlreichen Fraktionsangehörigen, also mit der mit der kompletten AfD und FDP, FWG, Faire Wähler nee Liste – Fraktion gesessen haben … das sind mitnichten nur diejenigen die Unterstützungsbedarf haben, es werden da praktisch also zwei Fraktionssitzungen abgehalten und ich habe immer wieder wahrgenommen, dass es Schwierigkeiten gab mit der Kommunikation meines Sitzungsdienstes.

Und wir haben eine mehrheitliche Abstimmung erzielt, dass wir diese Sitzung als Videositzung machen aufgrund der hohen Inzidenzen. Und da bin ich nicht bereit die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter diesem Infektionspotential über so einen langen Zeitraum auszusetzen. Und es sind ja keine vereinzelten Leute, die keine technischen Möglichkeiten haben, sondern es ist ja Ihre komplette Fraktion, die sich da trifft. Und gegenüber allen anderen Fraktionen ist es auch ein Ungleichgewicht. Die anderen Fraktionen sitzen vereinzelt in ihren eigenen oder sonstigen Räumen, während Sie quasi während der Sitzung eine Fraktionssitzung veranstalten.

Und es ist auch einfach so, dass unser Sitzungsdienst, also insbesondere Herr Wirz, dann auch von Ihnen öfter angesprochen wird und es sehr schwierig ist für mich und für alle anderen anwesenden Stadträte dann einem Sitzungsverlauf zu folgen, weil es ständig Unterbrechungen gibt”. Trotz dieser sich provozierend weit weg von der Sach- und Rechntslage bewegenden Behauptung der Oberbürgermeisterin, fragte Eitel beherrscht-höflich nach: “darf ich noch ergänzen? Ist die Frau Häußermann im Hause oder ist sie dabei? Kann die bitte mal Position beziehen, wie sie rechtlich das sieht, wenn einige Stadtratsmitglieder nicht in der Lage sind ihr Gerät zu bedienen”.

Werner Lorenz (FDP), dessen schon äusserlich erkennbare gesundheitliche Einschränkung allen Stadtratskolleg*Innen und Verwaltungsmitarbeitenden bekannt ist, wurde durch die Ausführungen der OBin zu einer sehr offenen persönlichen Erklärung gezwungen: “also ich verwahre mich davor hier eine Fraktionssitzung abzuhalten. Es ist nicht in Ordnung. Ich bin nicht in der Lage das zu händeln. Ich habe Bedenken, dass ich Fehler mache. Ich bin halt leider nicht in der Lage, aber es ist nicht in Ordnung. Ich möchte auch keinen der Mitabeiter übermäßig belasten. Das ist nicht meine Art. Ich glaube aber, dass wir das so nicht machen können.

Wie die anderen darüber denken, ist mir vollkommen Wurscht. Ich sage ich nehme nicht daran teil. Da kann man sagen, das ist nicht schlimm. Ich werde nicht teilnehmen, weil ich Angst habe Fehler zu machen. Nicht um irgendjemanden zu schikanieren. Ich kann es einfach nicht. Und ich will mich auch nicht irgendwie nachher verschimpfen lassen, wie ich abgestimmt hätte. Ich werde daran nicht teilnehmen, wenn ich nicht jemanden habe, dem ich vertraue, der mir hilft die Anlage zu organisieren”. Gerhard Merkelbach kritisierte die Oberbürgermeisterin sehr zurückhaltend: “also die Antwort von Ihnen greift bißchen zu kurz.

Weil wenn eingeladen wird und wenn die Möglichkeit besteht in den Sitzungssaal zu kommen, dann muss die Technik natürlich auch vorhanden sein. Ich habe hier ein Tablett von der Stadt. Wenn ich rausfliege weiß ich gar nicht was ich machen soll. Wenn es erlaubt ist hierher zu kommen und ich es tue – oder die anderen Kolleginnen und Kollegen – dann muss gewährleistet sein, dass es funktioniert”. Auch der neue Vorsitzende des AfD-Stadtratsfraktion, Jörg Fechner, verwahrte sich gegen die Unterstellung der Oberbürgermeisterin: “Ich möchte auch sagen, dass hier keine Fraktionssitzungen stattfinden”.

Und widerlegte mit seinem guten Gedächtnis die Darstellung der Dr. Heike Kaster-Meurer: “ich kann mich gut erinnern, dass wir ausdrücklich das Angebot bekommen haben, hier uns zu versammeln und zu sitzen. Also das kam ursprünglich gar nicht mal von uns, sondern von der Verwaltung”. Fechner führte dann auch noch einen Sachgrund an: “Zweitens ist es tatsächlich so, dass wir zB einen neuen Kollegen hier haben und der braucht unsere Unterstützung. Also das ist eigentlich selbsterklärend denke ich mal. Und es hat mitnichten mit einer Fraktionssitzung zu tun”. Durch diese Aussagen hatte sich im Verdauungstrakt des Linken-Fraktionsvorsitzenden Jürgen Locher offensichtlich Druck aufgebaut:

“Ich glaube ich kotz gleich auf den Tisch, aber wirklich. Es kann doch nicht wahr sein. Ihr habt das Angebot dort hin zu kommen. Und ihr sitzt dort mit einigen Leuten die wissen, wie die Technik funktioniert. Und wenn ihr nicht in der Lage seid euch gegenseitig zu helfen, dann frage ich euch: was sollen denn alle anderen machen? Soll jetzt jeder einen Paten von der Verwaltung kriegen? Ihr seid doch in der Lage euch gegenseitig zu helfen. Wo sind wir denn hier? Wollt ihr arbeiten oder wollt ihr Blödsinn machen? Also ich habe kein Verständnis für dieses Vorgehen. Wenn der neue Kollege nicht weiß wie’s funktioniert, dann kann der Herr Fechner ihm das doch zeigen.

Er sitzt doch daneben”. “Genau das mache ich ja”, erwiderte Jörg Fechner kurz. Um daraufhin von der Oberbürgermeisterin gezielt fehlinterpretiert zu werden: “so, dann haben wir jetzt die Zusage von Herrn Fechner, dass er technisch unterstützt und ich denke damit sind dann auch die Bedenken ausgeräumt. Im übrigen hat der Herr Wirz das auch angekündigt. Und wir hatten das auch im Planungsausschuss ganz genau so gehalten”. Jörg Fechner ließ sich diese Umdeutung seiner klaren Ansage nicht gefallen und stellte richtig: “das habe ich so nicht gesagt, Frau Oberbürgermeisterin. Ich habe gesagt, meinen Kollegen unterstütze ich”.

Unbeirrt setzte die OBin Ihren rhetorischen Alleingang fort und behauptete: “im Planungsausschuß war es ganz genauso und da war Herr Lorenz als einziger Teilnehmer und es gab keinerlei Beschwerden mit der Technik”. Um für diese Falschdarstellung der PLUV-Sitzung durch Werner Lorenz sofort eine Richtigstellung zu erhalten: “ich war sehr dankbar, dass ich im Planungsausschuß da geholfen bekam. Der Rudi Beiser (Anmerkung der Redaktion: Abteilungsleiter im städtischen Ordnungsamt) war die ganze Zeit dabei. Es hat prima funktioniert. Aber es hat nur funktioniert, weil er dabei war. Spielen Sie das bitte nicht runter. Sagen Sie nicht einfach … , wischen Sie das so weg.

Das ist nicht in Ordnung, wenn man das so durchzieht. Wenn ein Fehler passiert, wenn es irgendwann nicht mehr funktioniert, werde ich nach hause gehen”. Anschließend erhielt Anna Roeren-Bergs das Wort: “zunächst einmal will ich in Erinnerung rufen, dass vor 24 Monaten, als wir uns entschlossen haben auch in Videokonferenzen uns zu beraten, jedes Stadtratsmitglied jedes Ausschußmitglied die Unterstützung und die Einweisung durch Mitarbeiter der Stadtverwaltung mehrfach angeboten hat. Und ich gucke hier in viele Gesichter und weiß, dass viele das auch wahrgenommen haben. Jetzt sind wir in der Situation. Manche hatten vielleicht nicht die Möglichkeit. Alles gut.

Ich habe die dringende Bitte, dass wir die heutige Sitzung, lieber Werner Lorenz, Du von links und rechts jetzt Unterstützung bekommst. Du bist Gott sei Dank in der Lage das Mikrophon zu öffnen und zu schließen. Ich glaube, dass es auch eine Hilfe geben wird bei der Abstimmung da mitzuhelfen. Wir haben keine geheimen Abstimmungen soweit ich das im Moment überblicke für heute. Insofern kann links und rechts geholfen werden. Und ich habe die dringende Bitte, ich biete mich auch ausdrücklich an, Kolleginnen und Kollegen, die Probleme bei der technischen Handhabung haben, in den nächsten sieben Tagen zu helfen, zu Ihnen zu kommen, Ihnen etwas zu zeigen.

Ich bin kein IT-Experte, aber ich habe mit meinen 57 Jahren in den letzten zwei Jahren mir das das erarbeiten können. Und ich fühle mich in der Lage Kolleginnen und Kollegen dabei zu helfen. Ich biete das ausdrücklich an und bitte jetzt, dass wir in die Sitzung einsteigen können. Vielen Dank”. Der Ehemann der Oberbürgermeisterin, SPD-Statdverbandsvorsitzender Günter Meurer bereicherte die Diskussion durch folgenden Beitrag: “ich wollte nur nachfragen, ob auch gewährleistet ist, wenn die Verwaltungsmitarbeiter*Innen dort zusammen in diesem Sitzungssaal sitzen, dass auch gewährleistet ist, dass überprüft worden ist, dass jeder geimpft ist und das die Coronabestimmungen überprüft worden sind?

Ist das geschehen bei diesen Sitzungen oder nicht?” Seine Ehefrau antworte ihm wörtlich: “also jetzt bei der Sitzung ist niemand anwesend. An sich gibt es selbstverständlich die Kontrolle 3G an jeder Türe und ich gehe auch davon aus, dass das auch in diesem Fall passiert ist. Aber ich gehe davon aus, ich weiß es nicht. Ich kann gerne nachfragen und die Antwort ans Protokoll hängen”. Dann war wieder Jürgen Eitel dran: “die Argumente die eben gebracht wurden von Herrn Locher und Frau Roeren-Bergs die zählen überhaupt nicht. Wir haben jetzt eine Sitzung, nicht nächste Woche. Das muss heute hier funktionieren.

Ich habe größte Bedenken, nachdem was wir eben erlebt haben hier, dass es nicht funktionieren wird (Anmerkung der Redaktion: nachdem Jürgen Cron den Sitzungssaal zum ersten Mal “endgültig” verlassen hatte, kam es zu einem Systemabsturz. Cron wurde daraufhin von den von der Videokonferenz technisch ausgeschlossenen Stadtratsmitgliedern im Gebäude Brückes gesucht und zurückgeholt, um nach Wiedereinrichtung der Geräte erneut zu gehen). Ich kann überhaupt nicht verstehen, dass Sie ihren Mitarbeiter hier abgezogen haben. Er war ja bis eben da, ist jetzt verschwunden, weil er nicht bleiben darf. Das kann ich nicht nachvollziehen.

Einige der Herren, die hier sitzen, sind nicht in der Lage ihr Gerät zu beherrschen. Ich bitte Sie, wenn Sie da nichts was ändern wollen, um eine kurze Sitzungsunterbrechung”. Die Oberbürgermeisterin antwortete kühl: “gut, dann unterbrechen wir die Sitzung für 3 Minuten”. Und nutzte diese Pause für eine weitere, ganz neue Erklärung: “das ist ja auch genau das Problem. Es wäre ja kein Problem einen Mitarbeiter abzustellen, der bei technischen Problemen hilfreich ist. Es geht ja einfach darum, dass eine Nebenveranstaltung erfolgt. Und niemand von Ihnen, die sie in einzelnen Räumen sitzen, können das mit ihren Fraktionen machen. Und es ist einfach auch keine Gleichbehandlung.

Und im übrigen. Ich brauche einfach auch jemanden, der die Sitzung begeleitet. Ich brauche jemanden, der sich um die Technik kümmert. Und ich brauche auch jemanden, der die Abstimmung macht. Ich meine es muss ja gewährleistet sein”. Daraufhin gab Jürgen Eitel das Ergebnis der Beratung seiner Fraktion bekannt: “Es ist nicht erträglich. Wir haben ein Beispiel, dass jemand sein Gerät überhaupt nicht beherrscht. Sie kriegen das ja mit. Wir haben uns entschieden die Sitzung sofort zu verlassen, wenn sie nicht garantieren, dass sofort jemand kommt und uns hilft hier. Wir werden dann die Sitzung beenden unsererseits. FDP, Freie Wähler und Faire Liste.”

Was Dr. Heike Kaster-Meurer mit den Worte quittierte: “dann melden Sie sich bitte ab”. Kurze Zeit später erklärte auch Jörg Fechner für die AfD-Fraktion, dass diese sich unter Protest gegen die verweigerte technische Unterstützung an der Videokonferenz nicht länger beteiligt. Eine wie auch immer geartete Feststellung der Anwesenheit in der Videokonferenz erfolgte danach nicht. Insbesondere gab es keinerlei Mitteilung dazu, welche stimmberechtigten Mitglieder noch anwesend waren. Auch die Summe der Anwesenden wurde nicht genannt. Die Sitzung wurde mit einem weiteren Antrag zur Tagesordnung fortgesetzt (weiterer Bericht und ein Kommentar folgen).