Wird aus dem Eisernen Buch der Stadt ein Goldenes oder eines für Gäste?

Die Meinung unseres Redakteurs
Claus Jotzo

Das Positive zuerst. Es sind erfrischende Entwürfe, die Julia Silbermann gestern Abend im Kulturausschuss vorstellte. Mit vielen tiefgründigen Anspielungen im Detail. Und einer Ausstrahlung auch als Kunstwerk. Der übergrosse, wenig kriegslüsterne Teil der Bad Kreuznacher Einwohnerschaft mußte über 100 Jahre lang die extrem militaristische Gestaltung des “Eisernen Buches” ertragen. Da sollte das von einigen Ausschussmitgliedern als “zu dominant” kritisierte Riesenrad künftig wie ein friedfertiger Kontrapunkt wirken. Anerkennung im Gremium gab es nicht nur für die Ergebnisse ihres künstlerischen Schaffens.

Sondern auch für die sachkundigen und informativen Erläuterungen, die Silbermann im Rahmen ihrer Präsentation unprätentiös gab. Leider sind derart kompetente und inhaltsreiche Ausführungen in verständlicher Sprache selten geworden in den städtischen Gremien. Aber nicht nur aus diesem Grund stellt die Beschlußvorlage “Gästebuch” (Drucksachennummer 21/305) den wichtigen positiven Wendepunkt in einer mehrjährigen traurigen Facette der Stadtgeschichte dar. Zielführender Weise bestand die Oberbürgermeisterin gestern auf einer Abstimmung. Und diese fiel eindeutig aus. Für den ersten von vier Silbermann-Entwürfen.

Julia Bibiana Silbermann

Offen blieb, ob das dringend benötigte neue “Gästebuch” auch so schlicht heissen darf (wie es in früheren Beschlußvorlagen steht und von Julia Silbermann umgesetzt wurde). Oder ob sich die sentimental-retroperspektivischen Tendenzen betagter Mandatsträgerinnen im Stadtrat durchsetzen, die schon im Ausschuss anklangen. Und die lieber ein “Goldenes Buch” geführt sehen wollen. Weil ihnen ein “Gästebuch” allzu profan erscheint. Ob angesichts der absehbaren weltpolitischen Entwicklung eine gebotene, neue deutsche Bescheidenheit sich auch in der Namensgebung für ein Werk mit Ehrbezeugungen eignen könnte, wurde gestern leider nicht angesprochen.

Annette Thiergarten

Und auch der Gedanke, dass am Ende der Inhalt zählt und nicht die Bezeichnung der Verpackung, kam nicht zur Sprache. Das alles ändert nichts daran, dass das von Grit Gigga geführte Kulturamt gemeinsam mit Kulturdezernentin Dr. Heike Kaster-Meurer einen guten Weg gefunden hat heraus aus einer zehnjährigen Geschichte von Pleiten, Pech und Pannen. Sollte sich der Stadtrat dem gestern vom Kulturausschuss gefaßten Beschluss mehrheitlich anschliesssen, würde eine alte Weisheit wahr: “gut Ding will Weile haben”. Dass diese “Weile” nun schon eine Dekade andauert, wurde – wohl aus Betroffenheit – in der Beschlußvorlage und den Diskussionsbeiträgen leider nicht erwähnt.

Aus früheren Dokumenten der Stadt geht es allerdings hervor: bereits 2011 beschloß der Kulturausschuss “die zeitgemäße künstlerische Gestaltung eines neuen Ehrengästebuches im Rahmen des Förderpreises für Kunst- und Kultur an den Preisträger des Wettbewerbs zu vergeben”. Größten Wert legten die damaligen Ausschussmitglieder auf den Erhalt und die Pflege des „Eisernen Buchs“ als Artefakt in seiner bisherigen Form. Das ist längst sichergestellt. Die Lösung für die Zukunft ist hoffentlich nun gefunden.

Wieso der Beschluß von 2011 in ihren Amtsjahren bis 2015 nicht konkret weiterverfolgt wurde (Geldmangel? Arbeitsverweigerung der Gremien?), hat die frühere Kulturdezernentin und das heutige Kulturausschussmitglied Andrea Manz gestern nicht erklärt. Fakt ist, dass erst vor drei Jahren das Thema wieder aufkam. Weil es im – zwischenzeitlich wegen Überfüllung geschlossenen – “Eisernen Buch” eng wurde. Und so suchte man ab Anfang 2019 ganz intensiv über einen Aufruf zur Beteiligung an der Ausschreibung für den “Förderpreis für Kunst und Kultur 2018” der Stadt nach Ideen. Eine erste Jurysitzung am 2.9.2019 endete ohne Ergebnis.

Kein Entwurf überzeugte. Die Jury plädierte für eine erneute Ausschreibung. Der am 5.9.2019 tagende Kulturausschuß ging noch einen Schritt weiter. Er beschloß den Förderpreis für 2018 nicht zu vergeben. Und gab der Verwaltung den Hinweis mit auf den Weg, bei der Einband-Gestaltung auch an Material von Wingert-Knorzen zu denken. In der zweiten Jurysitzung am 24.10.2019 einigte sich diese auf eine offene, zweistufige Ausschreibung. Im März 2020 wandte sich die Stadtverwaltung hilfesuchend an den Berufsverband Bildender Künstler in Mainz. Die Absage kam im Juli 2020. In der Sitzung des Kulturausschusses vom 9.9.2020 erfolgte ein weiterer Anlauf.

Doch bei den nun angesprochenen Buchkünstlern bestand weder Interesse noch Kapazität für das Bad Kreuznacher Anliegen. Schließlich wurde das Kulturamt in 2021 auf die gebürtige Bad Kreuznacherin Julia Silbermann aufmerksam, die ein Studium in Kalligraphischer Kunst absolvierte und im kommenden Jahr eine Sonderausstellung im Museum Schloßpark zeigt. An der Diskussion über deren Entwürfe beteiligte sich Annette Thiergarten (Grüne) mit mehreren Wortmeldungen. Sie stellte verschiedene Silbermann-Ansätze in Frage, meldete etwa zur Einbeziehung der Buchkünstler Diskussionsbedarf an, obwohl deren Desinteresse bereits in der Vorlage dargelegt worden war.

Und rief so Birgit Ensminger-Busse (CDU) auf den Plan. Die in Bad Münster lebende Sängerin lobte die Silbermann-Präsentation und konnte sich genau daran erinnern, dass Annette Thiergarten selbst einen jener Entwürfe erstellt hatte, die die Jury 2019 verworfen hatte – zu recht, wie das christdemokratische Stadtratsmitglied schon in einer früheren Sitzung angemerkt hatte. Das nahm Thiergarten persönlich und konterte mit dem Ausruf “unverschämt, ich habe mir auch Gedanken gemacht”.

Diese erkennbare subjektive Betroffenheit nahm Dr. Kaster-Meurer zum Anlaß erstmals von sich aus die Frage aufzuwerfen, ob bei Annette Thiergarten “Befangenheit vorliegt. Im Laufe der Diskussion gewinne ich bei Ihren Wortmeldungen den Eindruck”. Annette Thiergarten wies dies zurück, verzichtete aber auf weitere Kommentare, weshalb dieser Aspekt gestern im Ausschuss nicht weiter verfolgt wurde (Bericht folgt).

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