Nikolaus am Ostersonntag vor der Kreisverwaltung?

Es ist einer der vielen religionsfernen “christlichen” Bräuche: Kinder werden dazu animiert in der Nacht vor dem 6. Dezember Schuhe vor die Tür zu stellen. In der Hoffnung am nächsten Morgen darin etwas Süßes zu finden. Dieser Brauch geht zurück auf einen der bekanntesten Heiligen der katholischen Kirche: Nikolaus, der im vierten Jahrhundert Bischof von Myra war. Wieso am Ostersonntag dutzende von Paaren Kinderschuhe und – stiefel vor der Kreisverwaltung standen, ist dadurch aber nicht zu erklären.

Denn den auch an Ostern freigiebig seinen Sack in Kinderschuhe leerenden Nikolaus hat selbst Milka noch nicht erfunden. Obwohl dieses Marketing-Konzept, ergänzt um weihnachtlich dekorierte Eier und Hasen, den Absatz praktisch verdoppeln würde. Nein, das Kinderschuhwerk vor der Kreisverwaltung ist wohl mehr als Anspielung auf eine Aktion der Initiative Seebrücke zu verstehen. Die machte erst vor wenigen Wochen mit leeren Schuhpaaren auf das Schicksal von im Mittelmeer ertrunkenden Flüchtlingen aufmerksam.

Weil es häufig deren aus billigem und leichtem Plastik gearbeiteten Schuhe sind, die als letztes Überbleibsel an Strände gespült werden. Die darin angesprochene Dramatik haben sich jene Osterhasen zu eigen gemacht, die Landrätin Bettina Dickes gestern ein dickes kommunalpolitisches Osterei vor das Kreishaus gelegt haben. Ein Hinweis darauf, wer für diese symbolträchtige Aktion verantwortlich ist, wurde vor Ort nicht vermerkt. Es dürften wohl Menschen aus dem Umfeld der Coronaschutzmaßnahmen-Kritiker sein.

Die sich allerdings von jenem Teil der Brüller und Verschwörungstheoretiker schon allein durch die Wahl ihres Ansatzpunktes deutlich unterscheiden. Denn sie reduzieren ihre Hinweise auf die angeblichen oder tatsächlichen Folgen von Maskenzwang und Tests für Kinder. “Freiheit für Kinder” lautet daher auch die in Grossbuchstaben an einer Leine aufgehängte “Überschrift” oberhalb der Installation. Diese wurde mit viel Aufwand und Liebe für Details zusammengestellt. Und ist mit einer Vielzahl von kinderbezogenen Aussagen garniert.

Ob geplant oder ungewollter Nebeneffekt: die Macher der Protestmaßnahme legen damit eine der größten Schwächen der staatlichen Coronaschutz-Programme offen: das Totalversagen bei der positiven Interpretation der einzelnen Handlungsvorschriften. Denn tatsächlich sind die “Schutzvorschriften” rein restriktiv formuliert: “Masken müssen getragen werden”, heisst es in den einschlägigen Auslegungshilfen. Und eben nicht “zum Schutz seiner Familienangehörigen, ErzieherInnen, LehrerInnen und sonstigen Mitmenschen hat jede Bürgerin da und dort eine Maske zu tragen”.

In den Pressekonferenzen staatlicher und halbstaatlicher Veranstalter wird seit Monaten täglich stundenlang über die Verteilung von nicht vorhandenen Impfdosen gestritten, statt Erwachsenen Hinweise zu geben, wie sie die aktuelle Situation kind- und jugendgerecht umsetzen. Die Nachrichten werden vom Bundesgesundheitsminister dominiert. Und nicht von der Familienministerin. Um parteipolitische Vorteile zu ergattern, werden Sachinhalte beiseite geschoben.

Mit dem heute noch brechreizauslösenden, kommunalpolitischen Höhepunkt, dass in den Wochen vor der Landtagswahl über die Einrichtung eines Impfzentrums für Bad Kreuznach schwadroniert wurde – obwohl auch acht Wochen nach den entsprechenden politischen Initiativen weder für das Impfzentrum in Bad Sobernheim noch für die Hausärzte genug Impfstoff zur Verfügung steht, um diese auch nur annähernd auszulasten. Und bis in den Sommer hinein Nachschubprobleme beim Impfstoff absehbar sind.

Daher ist tatsächlich zu besorgen, dass die Kinder als besonders schwer Leidtragende der Seuchen-Folgen schlicht übersehen werden. Über Oma und Opa, die nach erfüllten selbstbestimmten Lebensjahrzehnten angeblich nicht an Corona, sondern am Kontaktentzug durch die Angehörigen versterben, wird lamentiert. Und dabei vergessen, dass noch vor 15 Monaten öffentlich beklagt wurde, dass Millionen einsamer alter Menschen abgeschoben in Senioreneinrichtungen … leben. Und eben nicht an Kontaktarmut versterben.

Dass die Hauptaufmerksamkeit aus einer Vielzahl wertvoller Gründe von Anfang an den Kindern hätte zuteil werden müssen, ist weder auf kommunaler noch auf Landes- oder Bundesebene in der Politik angekommen. Wieso auch? Oma und Opa sind wahlberechtigt. Kinder nicht. Dieses amtlich-politische Totalversagen machen sich nun jene zu nutze, die mindestens zum Teil nur scheinheilig vom gefährdeten Kindeswohl sprechen.

Aber den Finger – um ein österliches Bild zu verwenden (zu verstehen halt nur noch von der winzigen Minderheit im “christlichen” Abendland, der Bibeltexte heute noch vertraut sind und der daher die Herkunft dieser mächtigen Bildsprache geläufig ist) – in die Wunde legen. Welch ein Treppenwitz. Und was sagt es aus über unsere Gesellschaft, dass im Bundestag, im Landtag und in den “Kommunalparlamenten” kaum eine(r) darüber lachen kann – mangels Wissen, Einsicht und Verständnis. Das ist für unsere Kinder und Jugendlichen die noch viel größere Gefahr, als Masken und Schnelltests.