CDU: ÖPNV muß vernetzt, nutzerfreundlich und bezahlbar sein

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Claus Jotzo

Es ist, wieder einmal, eine intellektuelle Spitzenleistung von Dr. Silke Dierks. Wie schon bei der Digitalisierung und anderen Zukunftsfragen stellt die CDU-Ratsfrau ein komplexes Thema differenziert in einem Antrag für eine Stadtratssitzung vor. Und erneut wird deutlich: auf diese Weise, sachkompetent beschreibend und analytisch fragend, funktioniert Kommunalpolitik nicht. Zumindest nicht in Bad Kreuznach.

Wo waren diese CDU-Argumente im November 2019?

Als der Rat der Stadt im November 2019 über die Ausgestaltung des ÖPNV diskutierte, hätte die CDU-Fraktion die grundsätzlichen Gedanken zu dem, was man sich wünschen mag und dem, was bezahlbar ist, einbringen müssen. Und entsprechend abstimmen. Statt dessen bestand damals der Hauptansatzpunkt der CDU in der Einbeziehung Bad Münsters in die Bad Kreuznacher Tarif-Wabe, also bei der Vereinheitlichung der innerstädtischen Preise. Das war vor Corona. Und ein nachvollziehbares Anliegen. Aber schon damals lag eine “mangelnde finanzielle Leistungsfähigkeit” Bad Kreuznachs vor.

Christdemokraten stimmten im Dezember 2020 für Verwaltungsvorschlag

Schon damals war die Stadt auf einen “sorgsamen, verantwortungsbewussten Umgang mit ihren beschränkten Ressourcen angewiesen”. Natürlich hat die Seuche alle Fragen verschärft. Trotzdem gilt: wer heute so tut, als sei Corona das einzig entscheidende Kriterium, lügt sich selbst und anderen in die Tasche. Noch in der Sitzung des Planungsausschusses vor wenigen Wochen stimmten, abgesehen von Manfred Rapp, alle anderen Christdemokraten für den Verwaltungsvorschlag. Mithin für die Beteiligung an einer kommunalen Verkehrsgesellschaft.

Versagen der Oberbürgermeisterin wird nicht thematisiert

Die die selbe CDU nun mit sehr nachvollziehbaren Fragen und überzeugenden Bedenken kritisiert. Dieses Verhalten macht nicht den Eindruck, als stünde ein Konzept dahinter. Der Entscheidungsbedarf aber ist real. Nicht nur beim Thema ÖPNV. Ein kompetenteres Aufgaben- und Informationsmanagement durch die Oberbürgermeisterin würde den ehrenamtlichen Kommunalpolitikern zwar manches ersparen. Aber diese zentrale Schwäche der Bad Kreuznacher Kommunalpolitik wird von der CDU nicht einmal konkret benannt.

Mit 12 CDU-Stimmen wäre der Drumm-Vorschlag mehrheitsfähig

Geschweige denn angemessen als Ursache vieler Probleme und des riesigen Lösungsstaus an die Einwohnerschaft vermittelt. Wäre die CDU einig, könnte der von ihrem früheren Kreisvorsitzenden Dr. Herbert Drumm (Freie Wähler) erdachte Vorschlag im Stadtrat eine Mehrheit finden: auf die angebliche (weil finanziell ohne schwerwiegende Opfer in anderen Bereichen gar nicht umsetzbare) Mitgestaltungsmöglichkeit zu verzichten. Und das Thema ÖPNV denen zu überlassen, die der Gesetzgeber dafür auserkoren hat: den Landkreisen. Mit der Option später dazuzustoßen. Wenn wer auch immer wie auch immer die Stadtkasse saniert hat.

Der CDU-Antrag im Wortlaut:

“Für einen vernetzten, nutzerfreundlichen ÖPNV – Wettbewerb ermöglicht Innovation und digitale Vernetzungsangebote – lokale Mobilitätsanbieter aktiv einbinden

Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin, sehr geehrte Herren,
gerne möchte die CDU-Stadtratsfraktion erneut auf das bedeutsame Thema eines vernetzen, nutzerfreundlichen und bezahlbaren ÖPNV zurückkommen. Wie schon in unserem letzten Antrag vom 24. November 2020 erläutert, ist eine vernetzte und nutzerfreundliche Mobilität essentiell für eine zukunftsorientierte Entwicklung von Bad Kreuznach als Lebens- und Wirtschaftsstandort, wo wir allegerne leben und arbeiten. Menschen möchten einfach, bequem, sicher und ohne großen Aufwand von A nach B kommen und es braucht intelligente Lösungen, um dieses Bedürfnis sicherstellen zu können.

Sowohl im rechtsstaatlichen Föderalismus als auch in der Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen durch Unternehmen hat sich gezeigt, Wettbewerb ermöglicht Kreativität und leistungsfähige, technologisch fortschrittliche Produkte und Dienstleistungen. Diesen bewährten Gedanken sollten wir in Bad Kreuznach nutzen und nicht das unternehmerisch nicht bezifferbare Risiko der Gründung einer operativen Busgesellschaft in der Rechtsform einer GmbH eingehen.

Zudem möchten wir erneut darauf hinweisen, dass das gesetzliche Ziel der Sicherstellung einer ausreichenden Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im öffentlichen Personennahverkehr als eine Aufgabe der Daseinsvorsorge (§ 1 Abs. 1 Regionalisierungsgesetz) die Art und Weise der Aufgabenerfüllung offen lässt. Die Rekommunalisierung des ÖPNV ist nicht zwingend geboten, zumal sie mit den übergeordneten Grundsätzen des Europäischen Binnenmarktes nur schwer in Einklang zu bringen ist.

Ein funktionstüchtiger und leistungsfähiger Europäischer Binnenmarkt, der den freien Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gewährleistet, ist die Grundlage unseres exportorientierten Wohlstandes. Diese Grundsätze gelten auch bei der Organisation des ÖPNV. Sie finden ihre konkrete Umsetzung in der Richtlinie EU VO Nr. 1370/2007 und dem Personenbeförderungsgesetz. Die Eigenwirtschaftlichkeit und die wettbewerbliche Vergabe hat Vorrang.

Würde man alle Bereiche der Daseinsvorsorge vom freien Wettbewerb ausschließen, würden große Teile des Gemeinwesens nicht mehr von der wettbewerblichen Innovation profitieren und Produkte und Dienstleistungen teurer werden. Im Mittelpunkt des Europäischen Wettbewerbsrechts stehen die Bürgerinnen und Bürger. Für sie sollen Produkte und Dienstleistungen günstiger werden. Sie sollen von technologischen Neuerungen profitieren können. Die Europäische Union und die jeweiligen Mitgliedstaaten setzen hierzu den erforderlichen gesetzlichen Rahmen, um auch übergeordnete Ziele des intelligenten, sozialen, integrierten und nachhaltigen Wachstums zu erreichen.

Wenn nun jede Region über ihre Landkreise und kreisfreie Städte als grundsätzliche Träger des öffentlichen Personennahverkehrs Rechtsträger und Gesellschafter einer operativen ÖPNV-Betriebsgesellschaft werden würde, würden die o.a. Grundsätze leerlaufen. Zwar lässt die o.a. Richtlinie unter engen Voraussetzungen zu, dass die Landkreise Bad Kreuznach und Mainz-Bingen sowie die Stadt Bad Kreuznach gemeinschaftlich beschließen, selbst über ihren Zweckverband öffentliche Personennahverkehrsdienste zu erbringen oder öffentliche Dienstleistungsaufträge direkt an eine rechtlich getrennte Einheit zu vergeben – wie hier durch die Gründung einer operativ tätigen GmbH-Betriebsgesellschaft vorgesehen – allerdings ist dann nur eingeschränkt eine Einbeziehung der lokalen Anbieter von Mobilitätsdienstleistungen möglich.

Zwar wurde diskutiert, lokale Busunternehmer als Unterauftragnehmer einzubeziehen, allerdings entstehen dann doppelte Kosten sowohl für den unternehmerischen Betrieb der operativ tätigen GmbH als auch für die Unterauftragnehmer. Das hört sich nicht nach einer effektiven, prozessoptimierten Wertschöpfungskette an, sodass sich Fragen nach der Vereinbarkeit mit den Grundsätzen der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit der Gemeindeordnung und des Gemeindehaushaltsrechts stellen. Wenn lokale Busunternehmer und Anbieter von Mobilitätsdienstleistungen bereit sind, Mobilitätsdienstleistungen hier vor Ort eigenwirtschaftlich anzubieten, dann ist es der beste Weg, ein wettbewerbliches Verfahren zu organisieren, wie es auch den übergeordneten europarechtlichen Grundsätzen entspricht.

In diesem Verfahren kann die beste Dienstleistung ausgewählt werden. Dann braucht es erst Recht nicht der Gründung einer operativ tätigen Betriebs-GmbH, die die beschränkten finanziellen Kapazitäten der Stadt Bad Kreuznach über Jahre bindet. Hinzu kommt, dass das aktuelle Nahverkehrsgesetz in der Novellierung ist und dessen Ergebnisse insbesondere die finanzielle Ausstattung bzgl. der Aufgabenerfüllung abgewartet werden sollten. Aufgrund der mangelnden finanziellen Leistungsfähigkeit der Stadt Bad Kreuznach und der Vielzahl anderer bestehender gesetzlicher Aufgaben bzgl. Jugendhilfe, Sozialhilfe, Schulen, Kitas, Verkehrsinfrastruktur, Digitalisierung der Verwaltung etc. ist die Stadt Bad Kreuznach auf einen sorgsamen, verantwortungsbewussten Umgang mit ihren beschränkten Ressourcen angewiesen.

Vieles ist wünschenswert, aber nicht alles machbar. Zudem verändert sich aufgrund der Digitalisierung das Mobilitätsverhalten der Bevölkerung. Die Covid-19-Pandemie beschleunigt diese Prozesse. Homeoffice, verstärktes Bedürfnis der Gesellschaft nach Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Online-Banking, Online-Handel, digitale Vorlesungen in Hochschulen, digitale Dienstleistungen nach dem Onlinezugangsgesetz, veränderte Arbeitsprozesse und das zunehmende Voranschreiten der digitalen Kompetenz in weiten Teilen der Bevölkerung ermöglichen, das Dienstleistungen und Produkte von zu Hause schnell und effizient getätigt werden können.

Die Nutzung von ÖPNV-Dienstleistungen wird infolge dessen zurückgehen. Die Bindung erheblicher finanzieller Ressourcen der öffentlichen Hand durch die Gründung einer operativ tätigen Betriebs-GmbH ist daher nicht mehr zeitgemäß. Vor diesem Hintergrund stellt die CDU Stadtratsfraktion den Antrag, die Mobilitätsdienstleistungen schnellstmöglichst europaweit auszuschreiben, um einen leistungsfähigen ÖPNV in der Stadt sicherzustellen. Zugleich bittet sie um mündliche Beantwortung der Fragen des Schreibens in der kommenden Stadtratssitzung am 14.01.2021:

1. Welche Strategie verfolgt die Stadt Bad Kreuznach, um die Investitionskosten zum Aufbau eines kommunalen ÖPNV in Grenzen zu halten?

2. Welche Erfahrungen haben vergleichbare Kommunen in Rheinland-Pfalz sowie in anderen Bundesländern mit der Kommunalisierung gemacht?

3. Welche Maßnahmen ergreift die Stadt, um die jährlichen Unterhaltungskosten zur Erbringung der Dienstleistung des ÖPNV zubeziffern und gemeinsam mit den beiden Kooperationspartnern Landkreis Mainz-Bingen und Landkreis Bad Kreuznach zu steuern?

4. Inwiefern berücksichtigt das Konzept der Kommunalisierung die Auswirkungen der Digitalisierung auf das Mobilitätsverhalten der Bürgerinnen und Bürger? (Stichwort Auswirkungen Covid-19-Pandemie, mehr Homeoffice, Verringerung der Nachfrage nach Mobilitätsdienstleistungen)

5. Welche Maßnahmen ergreift die Stadt gemeinsam mit ihren Kooperationspartnern, um eine Refinanzierung über Bund und Land sicherzustellen?

6. Wie stellt sie eine nachhaltige und möglichst umweltfreundliche Aufgabenerfüllung operativ sicher? Die Bestückung der Fahrzeugreserve mit Gebrauchtfahrzeugen mit Verbrennungsmotoren, wie im Gutachten als Einsparmöglichkeit dargelegt, dürfte diesem Ziel entgegenstehen.

7. Im November 2019 hat der Stadtrat mehrheitlich einem neuen ÖPNV Konzept mit diversen zusätzlichen Leistungen zugestimmt. Für dieses Konzept wurde eine Mehrbelastung für die Stadt KH in Höhe von 1.560 Mio. aufgezeigt. Sind diese Kosten in der Stellungnahme des Gutachtens der Fa. BPG eingerechnet? Das Gutachten geht für die Stadt KH zunächst von einem jährlichen Fehlbetrag „Worst-Case-Szenario“ in Höhe von 0,715 Mio. aus – wie ist diese Differenz zu verstehen?

8. In dem Gutachten wird nicht dargelegt, ob die derzeitigen Fahrpreisekonstant bleiben, bestenfalls gesenkt werden oder im Gegenteil angehoben werden. Hierzu erbitten wir eine Stellungnahme der Verwaltung.

9. Da der ÖPNV der Daseinsvorsorge zuzurechnen ist, sind die Mehrbelastungen durch die Rekommunalisierung (Ausgaben abzüglich Einnahmen) im städtischen Haushalt abzubilden. In welcher Größenordnung muss der Hebesteuersatz z.B. der Grundsteuer B angehoben werden, um die zu erwartenden jährlichen Defizite auszugleichen? Auch hierzu erbitten wir eine Stellungnahme der Verwaltung.

Darüber hinaus ist es uns wichtig, an dieser Stelle festzuhalten: Wir wissen, dass das derzeit diskutierte Projekt ÖPNV für die Stadt Bad Kreuznach aus finanzwirtschaftlicher Sicht einem Blick in die Glaskugel gleicht. Dies um so mehr als wenige bzw. keine verlässlichen Daten und Fakten vorliegen hinsichtlich der zu erzielenden Einnahmen, Bestimmung von Fahrpreisen, Anzahl von derzeitigen und künftigen Fahrgästen insgesamt, Auslastung einzelner Routen, Anzahl von Taktzahlen, ganz abgesehen davon, welche Festlegungen bezüglich der Aufteilung von Werkstätten, Busbahnhöfen, etc. zu treffen sein werden. Das Treffen einer Entscheidung auf einer rationalen und nachvollziehbaren wirtschaftlichen Grundlage ist, und auch dies ist allen bewusst, aktuell nicht möglich.

Anders ausgedrückt: die Absicht, einen rekommunalisierten ÖVPN in Eigenregie aus rein politischen Gründen umsetzen zu wollen, halten wir für verantwortungslos gegenüber den Bürgern und Bürgerinnen unserer Stadt, die kurz-, mittel- und langfristig die Kosten dafür tragen müssen. Es reicht an dieser Stelle einfach nicht, mit politischen Schlagworten wie „Verkehrswende“, „autofreie Innenstädte“, etc. zu argumentieren. Hierzu bedürfte es u.a. auch reiner Busfahrspuren in den Hauptverkehrsstraßen in der Kernstadt. Noch sind mögliche Alternativen überhaupt nicht diskutiert worden.

Eine solche könnte z.B. sein, dass a) wirtschaftlich sinnvolle Strecken in Bad Kreuznach und den Stadtteilen nach entsprechender Ausschreibung an einen privaten Anbieter vergeben werden wohingegen b) unwirtschaftliche Strecken individuell mit stadteigenen Kleinbussen bedient werden. Die Kosten für b) sind, davon ist auszugehen, für die Stadt geringer als bei einer Beteiligung an dem jetzt diskutierten Gesamtprojekt. Gefragt werden kann insgesamt, wie ein finanzieller Vorteil aussieht, wenn die Stadt KH dem Zweckverband nicht beitritt und vielmehr eigenständig, mit teilweiser Fremdvergabe (z.B. 50%), die Rekommunalisierung für unsere Stadt durchführt?

So könnte das Gelände der Stadtbus GmbH, das im Fall der Rekommunalisierung an die Stadt (entgeltfrei?) zurückfällt genutzt werden (betriebliche Infrastruktur ist hier weitestgehend vorhanden), sicherlich auch ein Teil der Fahrzeuge, etc. Im Übrigen ist an dieser Stelle festzuhalten, dass Fachleute – außerhalb des Kreises derer, die das Gutachten geschrieben haben – weder aus der Wirtschaft noch auf Verbands- bzw. behördlicher Ebene angefragt bzw. gehört wurden. Auch dies halten wir für einen nicht hinnehmbaren Mangel hinsichtlich der aktuellen Vorgehensweise bei diesem Projekt.

Wir können es uns, gerade da wir in Bad Kreuznach eine Vielzahl von Themen haben, deren finanzwirtschaftliche Zukunft, um es an dieser Stelle zurückhaltend auszudrücken, „unsicher“ ist, nicht leisten, ein weiteres „Fass ohne Boden“ aufzumachen. Eine stichhaltige und vernünftige Prüfung und Beurteilung dieses Themas sind wir den Bad Kreuznacher Bürgern und Bürgerinnen schuldig. Mit freundlichen Grüßen Manfred Rapp (Fraktionsvorsitzender) Dr. Silke Dierks (stellvertretende Fraktionsvorsitzende) Helmut Kreis (stellvertretender Fraktionsvorsitzender)”