Kommunalpolitik reagiert auf Krise im Jugendamt: Hauptausschuß tagt am 3.8.

Von unserem Redakteur
Claus Jotzo

Dem Reden folgen jetzt Taten. Eine Woche, nachdem Wolfgang Heinrich als Vertreter der urlaubenden Oberbürgermeisterin die Mitglieder des Stadtrates und des Jugendhilfeausschusses über die Überlastungsanzeige aus dem Jugendamt informiert hat, lud der Bürgermeister gestern für den Montag kommender Woche (3. August) zu einer Sitzung des Hauptausschusses. Gleich mehrere der sieben Fraktionen und mehr als 25% der Mitglieder dieses Gremiums hatten dies beantragt. Damit blieb der Verwaltungsspitze keine Wahl. Denn § 46 Gemeindeordnung schreibt in Verbindung mit § 35 vor, dass eine Ausschußsitzung “unverzüglich einzuberufen” ist, wenn ein Viertel der Mitglieder dies verlangt und einen konkreten Beratungsgegenstand benennt.

Da die größten Ausschüsse aus 19 Personen bestehen (18 vom Stadtrat gewählte plus das jeweilige sitzungsleitende Stadtvorstandsmitglied) reichen 5 Mitglieder, um eine Sitzung zu erzwingen. Gleichwohl ist diese Vorgehensweise ungewöhnlich und wird heuer in der laufenden Legislaturperiode zum ersten Mal praktiziert. Die Kommunalpolitik reagiert damit auf die anhaltende Krise im Jugendamt. Wie mehrere der Antragsteller der Redaktion dieser Seite auf Anfrage erklärt haben, möchten diese schnellstmöglich mehr über die Hintergründe der Überlastungsanzeige erfahren, um zeitnah Konsequenzen ziehen zu können.

“Kein Wort, nichts”

Für Karl-Heinz Delaveaux (FWG / BüFEP) ist “vollkommen unverständlich”, warum die am 9. Juni in der Sitzung des Jugendhilfeausschusses (JHA) anwesenden Mitarbeitenden des Jugendamtes, darunter Abteilungsleiterin Ingrid Pfeifer-Hoecker, “kein Wort, nichts” zum Erfordernis erklärt haben, die am 30. September freiwerdenden Stellen bereits zum 1. August neu zu besetzen. Delaveaux und andere Stadtratsmitglieder verstehen auch nicht, wieso im JHA u.a. gegen den Rat der früheren Bürgermeisterin und Jugenddezernentin Martina Hassel (SPD) die Ausschreibung der Stelle der Jugendamtsleitung durchgesetzt wurde. Und nicht die laut Überlastungsanzeige erforderliche zusätzliche Stelle für den Allgemeinen Sozialdienst (ASD) des Jugendamtes.

Wieso Info auf einem Umweg statt direkt?

“Spätestens eine Woche später im Personalausschuß hätte das doch angesprochen werden müssen”, merkt Delaveaux an. “Aber auch da: Fehlanzeige”. Und zieht das Fazit: “da paßt einiges nicht zusammen. Ich werde am Montag einen Berg Fragen mit zur Sitzung bringen und nicht nach hause gehen, bis ich die Antworten habe”. Auch andere Details, wie etwa das fehlende Datum der Überlastungsanzeige und der unbekannte Eingangszeitpunkt bei der Oberbürgermeisterin sind für einige Kommunalpolitiker von Interesse. Auch die Vorgehensweise von Dr. Kaster-Meurer, die das bedeutungsschwere Dokument nicht persönlich an die Kollegen im Stadtvorstand übermittelte, sondern mit dem mindestens gleichen Aufwand einen entsprechenden Auftrag an ihr Sekretariat erteilte, dann in Urlaub fuhr und aus der Ferne verfolgte, wie die Überlastungsanzeige die Verantwortungsträger vor Ort auf diesem Umweg erreichte, soll aufgeklärt werden.

Landesamt war nicht informiert

In diesem Zusammenhang möchte ein anderes Hauptausschußmitglied wissen, wieso die Oberbürgermeisterin als Jugenddezernentin und Jugendamtsleiterin den in Form der Überlastungsanzeige vorliegenden massiven Kritikpunkt an ihrer Arbeit in keiner Weise kommentiert hat. Fest steht mittlerweile, dass weder die Unterzeichnerinnen der Überlastungsanzeige noch die Stadtverwaltung das Landesjugendamt und das Jugendministerium über diesen Sachverhalt informiert haben. “Wir haben von der Überlastungsanzeige erst durch Ihre Anfrage erfahren”, teilte Pressesprecherin Anna Maria Bendel dazu gestern mit. Dieser Umstand wirft zusätzliche Fragen auf, denen die Redaktion dieser Seite nachgehen wird.

Stadtjugendamt forderte keine Hilfe an

Denn in der Selbstdarstellung der Landesbehörde heisst es: “Das Landesjugendamt unterstützt die örtliche Jugendhilfe, die Jugendämter und die Träger der freien Jugendhilfe bei ihrer Arbeit”. Unstrittig dürfte sein: eine Überlastungssituation ist genau der richtige Zeitpunkt für diese Unterstützung. Aber wie soll die gegeben werden können, wenn das örtliche Jugendamt das Landesamt gar nicht informiert? Weiter sagt das Landesjugendamt über sich: “Jugendämter sind für die Wahrnehmung der Jugendhilfeaufgaben auf örtlicher Ebene zuständig. Das Landesjugendamt unterstützt sie nicht nur bei der Wahrnehmung dieser Aufgaben, sondern auch bei den unterstützenden Tätigkeiten, wie der Jugendhilfeplanung, bei Fragen der Organisation und des Personals, des Jugendhilferechts allgemein sowie des Jugendhilfeausschusses im Besonderen”.

Frage nach der “Holschuld”

Wenn eine Landesbehörde expressis verbis Hilfe bei “Fragen der Organisation und des Personals” anbietet und in einer Überlastungsanzeige wörtlich von einem “Organisationsversagen” die Rede ist und mehrfach von Personalfragen, wieso haben die Erstatterinnen der Überlastungsanzeige auf dieses Hilfeangebot aus Mainz verzichtet? Während sich also im Verhältnis zwischen Stadt- und Landesjugendamt die Frage nach der “Holschuld” stellt, also aus welchen Gründen Hilfe von oben nicht abgerufen wurde, sieht das in Bezug auf das Jugendministerium etwas anders aus. “Das Land hat die Aufgabe, die örtliche Arbeit zu unterstützen, zu fördern und zu ergänzen” steht lapidar in der Aufgabendefinition des Ministeriums.

Jugendministerium tat monatelang nichts

Wie diese “Unterstützung” aussieht, mußte die staunende Bad Kreuznacher Öffentlichkeit in den vergangenen zwölf Monaten zur Kennntis nehmen: monatelang in Form von Abwarten. Denn nachdem Dr. Helmut Martin MdL im Sommer 2019 das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Landtages veröffentlicht hatte, in dem der Abgabebeschluß des Rates der Stadt vom 29.11.2018 für das Stadtjugendamt an den Kreis als ausreichende Willensbildung beschrieben wird, tat das Jugendministeriums erst einmal nichts. Dann noch mal nichts. Und schließlich erneut nichts. Erst im Frühjahr 2020 die Ankündigung eines eigenen Gutachtens zum Gutachten. Warum diese Entscheidung nicht viele Monate früher fiel und so den Mitarbeitenden im städtischen Jugendamt ohne jeden Sachzwang zusätzliche Monate der Unsicherheit zugemutet wurden, ist bis heute nicht aufgeklärt.

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