Corona-Spaziergang: Datenerhebung beim Musikus sorgte für Verstimmung

Bereits zum sechsten Mal trafen sich gestern Spaziergänger auf dem Kornmarkt. Klatschend und singend zogen sie anschließend durch die Innenstadt. Um sich danach noch einmal am Flair des ersten Bad Kreuznacher Platzes samt Originalebrunnen zu erfreuen. In den Augen der Ordnungskräfte handelt es sich bei der quer durch alle Altersgruppen ab 25 bunt zusammengewürfelten Gemeinschaft um eine Versammlung. Eine solche müßte einen Versammlungsleiter haben. Und angemeldet sein.

Friedlich-fröhlich mit dem Bollerwagen und Musik unterwegs – und jetzt von der Polizei namentlich erfaßt, obwohl nicht “Versammlungsleiter”.

Da die Ordnungskräfte, was ihre Anwesenheit ab der ersten Minute beweist, über die Spaziergänge wie auch immer informiert sind, ist der Schutzzweck der Anmeldung in den Hintergrund getreten, weil überflüssig. Aber den Versammlungsleiter suchen Polizei und städtischer Vollzugsdienst nach wie vor. Am letzten Samstag geriet die Verteilerin eines Liedtextes in Verdacht. Und gestern wurden die Personalien eines Mannes amtlich erfaßt, der auf einem Bollerwagen eine mobile Musikanlage mitführte. Argument der Polizei: der Einsatz eines solchen Gerätes lasse auf eine gewisse organisatorsiche Vorbereitung und Weitsicht schließen.

Der Spaziergang war eigentlich schon beendet. Da befragte die Polizei den Herrn mit Bollerwagen. Drumherum versammelten sich sofort zwei Dutzend Mitspaziergänger. Die Polizisten reagierten auf diese Ansammlung besonnen und lösten diese nicht auf. Auch wenn die Menschen eng standen – die aggressionsarme Atmosphäre wurde von den Beamten richtig erkannt und so eine weitere Eskalation vermieden.

Und genau diese Aspekte ordnen Behörden einem Versammlungsleiter zu. Die Befragung des Mannes wurde von rund zwei Dutzend Spaziergängern mitverfolgt. Teilweise mischten sich diese in die Befragung ein. Wie Stadtratsmitglied Thomas Wolff (AfD). Er wies den Polizeibeamten darauf hin, der Mann “kann ja zufällig vorbeigekommen und hier hängengeblieben sein.” Das spontane Angebot des Polizisten, ebenfalls erfaßt zu werden, nahm Wolff (blaues Hemd) an. Die Polizei kam allerdings darauf nicht mehr zurück. Sondern rückte samt städtischem Vollzug ab, nachdem sich der Großteil der Spaziergänger in die Freiluftgastronomie und vom Kornmarkt weg bewegt hatte.

Jörg Fechner vom offenen Kanal, der ebenfalls wieder mitspazierte, stellte zutreffend fest, dass die Lautsprecherdurchsagen der Polizei zur Auflösung der „Versammlung“ für die meisten Anwesenden auf dem Platz kaum verständlich waren. Fechner empfand die Kontrolle des Bollerwagenfahrers als “etwas überzogene Reaktion der Polizei und des Vollzugsdienstes”. Damit habe der gestrige, bis dahin “sehr entspannte Spaziergang nach dem Ende einen unschönen Abschluss. Am letzten Sonnabend hatte ich noch die Polizei für ihr besonnenes Verhalten gelobt. Dieses Lob kann ich leider diesmal den heute beteiligten Beamten nicht aussprechen. Das ist wirklich sehr schade”.

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