Schulelternbeiräte sind aufgewacht: offener Brief wegen Jugendamt

Ein Jahr und vier Monate nach der Entscheidung des Stadtrates zur Abgabe des Jugendamtes, nach vier Sitzungen des Jugendhilfeausschusses ohne jede Wortmeldung der Schulelternbeiräte und zwei Wochen nach der Stadtratssitzung vom 27.2.20, in der drei Anträge zum Thema auf der Tagesordnung standen, sind jetzt auch die Schulelternbeiräte aufgewacht und melden sich zu Wort. Im Auftrag der Schulelternbeiräte aller sechs Bad Kreuznacher Grundschulen schreibt Isabell Rehner vom Schulelternbeirat der Dr.- Martin-Luther-King Grundschule an Landrätin, Oberbürgermeisterin und Stadtratsfraktionen. Warum dieser Brief erst jetzt formuliert wurde und die Elternvertretungen über ein Jahr lang untätig blieben, obwohl nach ihren eigenen Worten die Abgabe des Jugendamtes an den Kreis so viele drängende Fragen aufwirft, erklären sie nicht.

Hier der offene Brief im Wortlaut:

“Sehr geehrte Frau Dr. Kaster-Meurer, sehr geehrte Frau Dickes, sehr geehrte Stadtratsmitglieder, wir als Schulelternbeiräte der Bad Kreuznacher Grundschulen haben zur beabsichtigten Abgabe des Jugendamtes an den Landkreis einige Fragen, die uns persönlich und auch den durch uns vertretenen Eltern und Schülern am Herzen liegen. Diese wollen wir Ihnen im Folgenden darlegen. Am 11.02.2020 fand zu diesem Thema ein Informationsabend im Haus des freien Jugendarbeitsträgers Internationaler Bund in Bad Kreuznach statt. Zu dieser Veranstaltung waren unter anderem zwei Experten für Jugendarbeit eingeladen. Es handelte sich um den Diplom-Pädagogen Heinz Müller vom Institut für Sozialpädagogische Forschung Mainz (ISM) und Prof. Dr. Andreas Thimmel vom Institut für Kindheit, Jugend, Familie und Erwachsene der TH Köln.

Es wurde angedeutet, dass beide Herren ursprünglich zur Stadtratssitzung am 27.02.2020 eingeladen waren, bei der das Thema ja wieder auf der Tagesordnung stand, jedoch zwischenzeitlich ausgeladen wurden. Wenn dem so ist, wie wird das begründet? Ist ihr sozialpädagogisches Expertenwissen bei der Entscheidungsfindung nicht erwünscht? Herr Müller war an dem von der Stadt Bad Kreuznach in Auftrag gegebenen Gutachten beteiligt, welches in seinem Ergebnis 2013 die Entscheidung des Stadtrates von 2012 untermauerte, das Jugendamt nicht aus städtischer Hand zu geben. Das Gutachten wurde unter Einbeziehung pädagogischer, fachlicher und wirtschaftlicher Gesichtspunkte sowie Erfahrungen aus anderen Städten erstellt.

Sind diese jetzt nicht mehr relevant? Auch verwundert uns, dass das Thema in den vergangenen 20 Jahren immer wieder auf der Agenda stand und aktuell wieder steht, insbesondere, wenn es um Einsparungen im städtischen Haushalt geht. In ganz Deutschland ist den beiden Experten keine derartige Situation bekannt. Man könnte den Eindruck gewinnen, die Kinder und Jugendlichen werden als „bequemes“ Einsparpotenzial gesehen, weil sie nicht wahlberechtigt sind. Ist dem so? In anderen Bundesländern, wie zum Beispiel Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg, werden zusätzliche städtische Jugendämter installiert, um eine angemessene Kinder- und Jugendarbeit leisten zu können. Wir haben den Eindruck, in diesen Kommunen weiß man um den Wert der Kinder und Jugendlichen für unsere Zukunft.

Warum ist das bei uns anders? Ebenso problematisch sehen wir, dass im Bundeshaushalt für die Kinder- und Jugendförderung bereitgestellte Mittel dann nicht mehr gezielt für die bzw. von der Stadt selbst beantragt werden können. Stattdessen müsste dies dann der Kreis tun und von dort an alle dazugehörenden Kommunen verteilen. Warum nimmt man das in Kauf? Ein weiteres Argument der Experten gegen eine Abgabe des Jugendamtes an den Kreis sind die konträren Anforderungen an Jugendarbeit zwischen ländlichen und städtischen Gebieten. Als Beispiel seien dafür die höhere Kinderarmut in Städten und die hohen Zuzugsraten im städtischen Bereich genannt.

Wie will der Kreis dem Rechnung tragen? Ist eine adäquate Jugendarbeit für unsere Kinder so überhaupt möglich? Die durch uns vertretenen Schulen sind sogenannte „Brennpunktschulen“ – eine gute Schulsozialarbeit ist dort unabdingbar! Diese wird bisher vom Stadtjugendamt getragen und jede Schule hat einen festen Sozialarbeiter. Dadurch können die Kinder Vertrauen fassen und haben eine feste Bezugsperson. Außerdem sind die Schulsozialarbeiter aktuell fest in den Schulalltag eingebunden und gestalten diesen mit. Wie würde das nach der Abgabe an den Kreis aussehen? Folgende konkreten Fragen haben wir an Sie und bitten um ebenso konkrete Beantwortung:

Sind die Kosten für die Jugendarbeit in Bad Kreuznach überhaupt ursächlich für die nötigen Einsparungen?
Welche Alternativen gibt es für sozial schwache Jugendliche, wenn Angebote wie das der Organisation „Die Mühle“ wegfallen? Wie schätzen sie die Auswirkungen auf die Jugendkriminalität ein?
Wie viel Geld kann durch die Abgabe kurz- und mittelfristig eingespart werden?
Werden diese durch möglicherweise daraus resultierende Mehrausgaben an anderer Stelle nicht sogar wieder aufgehoben, wie das erwähnte Gutachten von 2013 darlegt?
Was passiert mit den Mitarbeitern des Jugendamtes?
Was passiert mit den zusätzlichen Institutionen (Schulsozialarbeit, Kindergärten, Die Mühle, PUK, Kinderschutzbund oder Kunstwerkstatt)?
Was sagen Landesregierung und ADD zur geplanten Abgabe?
Ist für die Abgabe des Jugendamtes eine Gesetzesänderung nötig?
Kann die Abgabe auch wieder rückgängig gemacht werden?

Wir als Schulelternbeiräte der Bad Kreuznacher Schulen sprechen uns gegen eine Abgabe des Jugendamtes von der Stadt an den Kreis aus! Wir möchten nicht, dass nötige Einsparungen im Stadthaushalt zu Lasten unserer Kinder gehen! Andere Kommunen machen vor, dass es auch anders gehen kann, bitte folgen Sie deren Beispiel! Eine Finanzmittelaufstockung wäre aus unserer Sicht unbedingt angebracht, um die Mitarbeiter des Jugendamtes in die Lage zu versetzen, eine qualitativ und quantitativ angemessene Jugendarbeit leisten zu können. Die Stadt kann auch vom Kreis lernen. Eventuell sollten die vorhandenen Synergien besser genutzt werden! Wir hoffen, Sie haben Verständnis für unsere Sorgen und Ängste, vielleicht können Sie ja durch die Beantwortung unserer Fragen bereits einige davon ausräumen. Wir würden uns über eine zeitnahe Rückmeldung freuen, gerne stehen wir auch jederzeit für ein persönliches Gespräch bereit.

Rechnen Sie bitte damit dass zur nächsten Stadtratssitzung – sofern sie stattfindet – mit starker SEB Präsenz zu rechnen ist. Mit freundlichen Grüßen Der Schulelternbeirat der Dr.-Martin-Luther-King-Grundschule (Evrim Yildiz-Parlas, Isabell Rehner, Pascale Adam, Susanne Thurner, Stefan Backes, Andreas Bai) Der Schulelternbeirat der Grundschule Hofgartenstraße (Astrid Emde, Kadir Yürekli, Moritz Gentz, Meike Becker, Sandra Hänsel-Wolf, Susan Smuda, Christian Anheuser, Viktoria Ott, Andrea Kaul, Caroline Heise, Gerald Kroisandt, Ekphailin Wesemann, Andreas Kohl-Hess) Der Schulelternbeirat der Grundschule Kleiststraße Der Schulelternbeirat der Grundschule Planig Der Schulelternbeirat der Grundschule Winzenheim”