Mehrheit aus SPD, Grünen und Linken verschiebt Jugendamt-Entscheidung

Von unserem Redakteur
Claus Jotzo

Befangenheitsdiskussionen, emotionale Wortbeiträge, Sitzungsunterbrechungen, en masse Geschäftsordnungsanträge. Und am Ende doch keine Entscheidung. Sondern eine Vertagung. Nach fast zweistündiger Auseinandersetzung endete der Versuch, gestern Abend im Stadtrat endgültige Klarheit über die Zukunft des städtischen Jugendamtes zu schaffen, ergebnislos. Auf Antrag des SPD-Fraktionsvorsitzenden Holger Grumbach beschloß die Mehrheit aus SPD (10), Grünen (8), Linken (2), Stefan Butz (PBK), Dr. Herbert Drumm (Freie Wähler) und Dr. Kaster-Meurer (zusammen 23 Stimmen) gegen die 22 Stimmen von CDU (12), FDP / Faire Liste (4), AfD (3), FWG (2) und Wolf-Dieter Behrendt (fraktionslos) die Verschiebung dreier Tagesordnungspunkte in die Stadtratssitzung im März.

Voll wie nie zuvor war gestern Abend der Zuhörerbereich im Stadtratssitzungssaal.

Anlaß dafür waren taktische und juristische Überlegungen. In deren Mittelpunkt standen Oberbürgermeisterin Dr. Kaster-Meurer und das Stadtratsmitglied Juliane Rohrbacher (Grüne). Die Fraktionen von CDU, FDP / Faire Liste und FWG / BüFEP zeigten sich davon überzeugt, dass bei beiden Kommunalpolitikerinnen die Besorgnis der Befangenheit in Sachen Stadtjugendamt bestehe. Entsprechende Fragen wurden auch an Annette Thiergarten (Grüne) gerichtet, aber nach deren Widerspruch im Laufe der Diskussion nicht weiter verfolgt. Bezogen auf Juliane Rohrbacher wurde auf sehr konkrete Zusammenhänge zwischen deren Tätigkeit als Vorsitzende der AJK Alternative Jugendkultur Bad Kreuznach e.V. und dem Jugendamt verwiesen.

Juliane Rohrbacher, die für Bündnis 90 / Die Grünen in den Stadtrat gewählt wurde, wehrte sich gestern vehement gegen den Vorwurf, wegen ihres ehrenamtlichen Vorsitzes bei der AJK Alternative Jugendkultur Bad Kreuznach e.V. im rechtlichen Sinne befangen zu sein.

Dem widersprach Juliane Rohrbacher in mehreren Redebeiträgen und trug vor, dass es sich bei den von AJK in Anspruch genommenen Mitteln um Bundesprogramme handele, die vom örtlichen Jugendamt lediglich weitergereicht wurden. Diese Position wurde auch von Dr. Kaster-Meurer und Stadtrechtsdirektorin Heiderose Häußermann gestützt. Als Karl-Heinz Delaveaux (FWG / BüFEP) konkret einen im Sommer 2018 gefassten 5.000 Euro-Zuschußbeschluß des städtischen Jugendhilfeausschusses an die AJK aus Stadtmitteln zitierte, dämmerte dann wohl auch den Fachpersonen in der Verwaltung, dass die vielfältige Zusammenarbeit zwischen AJK und dem Stadtjugendamt im Interesse der Kinder und Jugendlichen formaljuristisch den von den Kritikern angesprochenen Tatbestand der “Besorgnis der Befangenheit” doch erfüllen könnte.

Kein unredliches Verhalten unterstellt

Dabei kommt es nicht darauf an, ob ein Stadtratsmitglied sein Abstimmverhalten in den kommunalen Gremien tatsächlich von den Interessen seiner Vorstandstätigkeit in einem Verein beeinflussen läßt. Sondern alleine darauf, ob dies theoretisch möglich ist bzw bei Aussenstehenden der Eindruck entstehen kann. Mehrere Redner, vor allem aus der CDU-Fraktion, stellten klar, dass sie Juliane Rohrbacher keinerlei böse Absicht oder unredliches Verhalten unterstellen. Bestanden aber auf einer Gleichbehandlung mit zwei Mitgliedern ihrer Fraktion, die wegen ihrer beruflichen Tätigkeit bei der GuT GmbH und dem DEHOGA regelmäßig wegen Befangenheit beim Tourismusbeitrag von Beratung und Beschlußfassung ausgeschlossen worden seien.

Rohrbacher: Rücktrit vom AJK-Vorsitz

Juliane Rohrbacher entschloß sich während der anhaltenden Diskussion spontan ihr Amt als AJK-Vorsitzende niederzulegen. Um ihre persönliche Unabhängigkeit und allein an der Sache orientierte Vorgehensweise zu verdeutlichen, hatte sie zuvor in einem Redebeitrag sogar die Niederlegung ihres Stadtratsmandates in Erwägung gezogen und darauf hingewiesen, dass die dann nachrückende Steffi Otto anwesend sei und ihren Platz also sofort einnehmen könne. Juliane Rohrbacher entschied sich dann aber für den Rücktritt vom Vereinsamt. Nach eigenen Angaben teilte sie während der laufenden Sitzung ihrem AJK-Stellvertreter per Textnachricht ihren Rücktritt vom Amt der Vorsitzenden mit. Wie sich herausstellte eine unnötige und formal wirkungslose gutwillige Verzweiflungstat.

Vielfältige formale Aspekte

Denn im Sinne der kommunalrechtlichen Vorschriften und des Vereinsrechtes ist es mit dem Rücktritt allein nicht getan, um die formalen Bedenken auszuräumen. Nachdem mehrere Redner angekündigt hatten eine Entscheidung unter Mitwirkung von Juliane Rohrbacher rechtlich prüfen zu lassen, bot diese an freiwillig nicht mitzustimmen. Was aber eine rechtliche Prüfung nicht erübrigt hätte, da Juliane Rohrbacher sich ja bereits an der Diskussion aktiv beteiligt hatte. Liegt aber die Besorgnis der Befangenheit vor, ruht nicht nur das Stimmrecht des oder der Betroffenen. Sondern auch das Rederecht. Und sogar das Anwesenheitsrecht im den Ratsmitgliedern vorbehaltenen Teil des Sitzungssaales.

Bei Patt gelten Anträge als abgelehnt

Da sich aus der Abstimmung über die Tagesordnung und der vorausgegangenen und nachfolgenden Diskussion eindeutig ergeben hatte, dass sich zwei festgefügte “Stimmblöcke” gegenüberstehen und sich daher bei einem Stimmverzicht oder -ausschluß von Juliane Rohrbacher ein Ergebnis von 22 zu 22 ergeben würde, beantragte die SPD-Fraktion eine Sitzungsunterbrechung. Aus der kam die von den Sozialdemokraten angeführten Trägerschafts-Befürworter mit einem Plan zurück: Vertagung der Abstimmungen auf die nächste Sitzung, um bis dahin Juliane Rohrbacher von ihrem AJK-Vorstandsamt vollständig zu befreien und ihre unanfechtbare Mitwirkung sicher zu stellen. Die von der CDU angeführten Abgabe-Befürworter wollten dagegen die drei Tagesordnungspunkte behandeln, weil mit einem Patt die Anträge von Grünen und SPD als abgelehnt hätten gewertet werden müssen.

Drei Kampfabstimmungen mit 23 zu 22

So kam es in schneller Folge zu drei Kampfabstimmungen. Routiniert ließ die Oberbürgermeisterin zunächst den Verweisungsantrag für den Antrag der Grünen-Fraktion, unter dem sich der Großteil der vorstehend dargestellten Diskussion ergeben hatte, abstimmen. Juliane Rohrbacher stimmte mit. Und so ergab sich eine 23 zu 22 – Mehrheit für die Verweisung. Während in Reihen der CDU noch darüber diskutiert wurde, ob Rohrbacher mitstimmen durfte und eine einfache Mehrheit für die Vertagung ausreicht, rief Dr. Kaster-Meurer unverzüglich den SPD-Antrag auf und ließ auch über dessen Verschiebung abstimmen. Mit dem selben Ergebnis. Und auch der ursprüngliche Tagesordnungspunkt 3 wurde mit 23 zu 22 Stimmen in den März verschoben. Im weiteren Verlauf der über fünfstündigen Sitzung kochte der Dissenz in der Jugendamtfrage immer wieder hoch (weitere Berichte folgen).