Bürgermeister Heinrich deckt Geheimtreffen zur Verhinderung der Jugendamts-Abgabe auf

Von unserem Redakteur
Claus Jotzo

“Am Montag gabs eine Geheimsitzung, wo tatsächlich diskutiert wurde, wie das Jugendamt gehalten werden kann”, brach es in der Sitzung des Finanzausschusses vorgestern aus Wolfgang Heinrich heraus. Er habe zufällig im Nachhinein von dem Termin erfahren und lasse den Teilnehmerkreis ermitteln. Den Bürgermeister motivieren derartige Machenschaften dazu, “Transparenz bis zum Äußersten” einzufordern. Ohne jede falsche Zurückhaltung legte Heinrich den Mitgliedern des Finanzausschusses dar, wen er für die Desinformation verantwortlich macht: Oberbürgermeisterin Dr. Kaster-Meurer. “Ich habe sie zur heutigen Sitzung vor einer Woche schriftlich eingeladen. Es ist bezeichnend, dass sie nicht reagiert und die Information verweigert hat”.

Sachkundig beantwortete die Landrätin eine Frage nach der anderen.

Ganz andere Erfahrungen hat der Bürgermeister da mit Landrätin Bettina Dickes gemacht. Aufgrund der Nichtkommunikation der Oberbürgermeisterin wandte sich Wolfgang Heinrich an die Landrätin. Und die stand dem Finanzausschuß gern rund zwei Stunden Rede und Antwort. Dabei wich ihre Darstellung der Abläufe der vergangenen zehn Tagen in relevanten Punkten von der der Oberbürgermeisterin gravierend ab. Weniger in der Darstellung der Beurteilung der finanziellen Details. Sondern bezüglich der vereinbarten Konsequenzen und Vorgehensweisen. Dr. Kaster-Meurer hatte am vergangenen Donnerstag dem Stadtrat erklärt, dieser müsse Ende Februar die aktualisierte Fassung einer Fachstudie (ISM) zur Kenntnis nehmen, gemeinsam mit dem Jugendhilfeausschuß tagen und einen weiteren Beschluß fassen.

Karl-Heinz Delaveaux studierte den 2-Punkte-Antrag, den Bürgermeister Heinrich dem Finanzausschuß vorgelegt hatte.

Danach werde sie mit der Landrätin nach Mainz fahren, um der zuständigen Ministerin die Finanzprobleme vorzutragen. Die Landrätin und ihr Team haben an den Gesprächsverlauf eine ganz andere Erinnerung. Gemäß Dickes sagte die OBin sinngemäß: “unter diesen Umständen (Anmerkung der Redaktion: ein Zusatz-Defizit von mindestens 2,5 Millionen Euro) glaube ich nicht, dass der Stadtrat den Weg eines eigenen Jugendamtes weiter verfolgen wird”. Weiterhin habe Dr. Kaster-Meurer klar gemacht, dass die Mitarbeitenden unverzüglich eine Ansage bräuchten. Und daher noch aus dem Gespräch beim Kreis fernmündlich für 12.30 Uhr zu einer Teilpersonalversammlung eingeladen. Auf diese krassen Widersprüche ging Michael Henke (Grüne) nicht ein. Sondern thematisierte die “juristische Frage”, welche Beurteilung denn nun die richtige ist: die der ADD, die die Entscheidungsgewalt allein beim Landtag als Gesetzgeber sieht.

Oder die des Wissenschaftlichen Dienstes des Landtages, der mit dem Stadtratsbeschluß vom 29.11.18 das Abgabeverfahren als eingeleitet einschätzt. Die Klärung dieser Frage sieht die Landrätin klar beim Land angesiedelt “und nicht bei Stadt oder Kreis”. Weiterhin führte sie aus, dass wegen der höheren Landesfinanzierung des Kreises bei der Jugendarbeit dort nach Übernahme des Stadtjugendamtes nur ein Mehraufwand von rund 1,5 Millionen Euro entstünde. Da es sich bei der Jugendhilfe durch den Kreis um eine Pflichtaufgabe handele, hält Bettina Dickes eine dadurch bedingte Erhöhung der Kreisumlage für unzulässig und kündigte an, für den Fall vom Land entsprechend gezwungen zu werden, dagegen zu klagen. Aber selbst wenn die Kreisumlage erhöht werden müßte, hätte die Stadt nur etwa 400.000 Euro mehr zu zahlen, so Dickes.

Der Einsparung von mindestens 4,5 Millionen Euro (bis zu sechs Millionen Euro) stünde daher nur ein minimaler Mehraufwand gegenüber. Jürgen Locher (Linke) erkannte in den Angaben der Landrätin “nichts Neues” (eine Feststellung, die bei einem Teil der Ausschußmitglieder Heiterkeit auslöste). Und fragte nach “Spielräumen” für die Finanzvereinbarung zwischen Stadt und Kreis. Diese bezifferte Bettina Dickes mit einer umfangreichen Begründung auf 5%, also wenige hunderttausend Euro. Auch die Locher-Fragen nach der konkreten Umsetzung beantwortete die Landrätin vollständig. So werden “die Mitarbeitenden der Stadt, die zu uns kommen möchten, keinerlei Einbußen” haben, versicherte Dickes. Und auch die räumliche Neuordnung eines dann größeren Jugendamtes unter einem Dach sei zu stemmen.

Konkrete Pläne dazu gebe es natürlich nicht, “da ich erst seit Donnerstag von der Oberbürgermeisterin weiß, dass sie das Jugendamt abgeben möchte”. Unmißverständlich positionierte sich Bettina Dickes als Unterstützerin des Jugendzentrums “Die Mühle”. “Das ist für mich elementar”. Wenn es nach ihr geht, werde der Kreis ganz unabhängig von der Trägerschaft des Jugendamtes dafür 170.000 Euro jährlich zur Verfügung stellen: “dafür werde ich kämpfen, was das Zeug hält”. Aufgrund von Nachfragen aus dem Ausschuß berichtete die Landrätin von einem Aufklärungserfolg bezüglich der von der Stadt geforderten Mittel für den Zeitraum 2015 bis 2019 (3,8 Millionen Euro) und einer Abschlags-Kürzung Kreis an Stadt (3,4 Millionen Euro). Ein Teilbetrag von 1,6 Millionen Euro sei aufgeklärt und werde vom Kreis anerkannt.

Diese durchaus erfreulich scheinende Nachricht hat allerdings eine Kehrseite, auf die Wolfgang Heinrich hinwies. Denn das Stadtjugendamt hat nach wie vor eine Forderung von 3,8 Millionen Euro gegen den Kreis kassenwirksam gestellt. Und der Bürgermeister hatte daher bereits vorbereitet, die nächste Abschlagszahlung Kreisumlage um diesen Betrag zu kürzen: “das entspricht nicht dem Grundsatz von Haushaltswahrheit und -klarheit. Es geht überhaupt nicht, dass der Kämmerer das nicht weiß”. Wegen der brandaktuellen Information der Landrätin habe er den kommissarischen Stadtkassenchef Marco Triquart veranlaßt den Sachverhalt aufzuklären. Dieser habe jedoch keinen schriftlichen Bericht vorgelegt, sondern wollte Heinrich persönlich informieren.

Der Bürgermeister besteht aber auf einer formal korrekten und dokumentierten Information und ist gespannt, was da rauskommt. Einen Grund für die abweichenden Finanzdaten zwischen Stadt und Kreis konnte die Landrätin aufklären: beim Stadtjugendamt wird nicht zeitnah aktualisiert (Dickes wörtlich: “ich sehe da keine böse Absicht”). So hätten die vorläufigen Zahlen für 2018 ergeben, dass der vom Stadtjugendamt angesetzte Betrag von 18 Millionen Euro, der Grundlage der Abschläge gewesen sei, mit nur 15,5 Millionen Euro deutlich unterschritten wurde. Oliver John (FDP) wollte wissen, was das jetzt bedeutet. Und bekam die prompt die Erklärung von Heinrich: “wir bekommen das Geld nicht”. Es gehöre sich nicht, der Kasse die falschen Zahlen mitzuteilen.

“Das ist unprofessionell ohne Gleichen. Das wird Wellen schlagen”, kündigte der Bürgermeister an. Und dankte der Landrätin “für die Aufklärung, wie der Sachverhalt wirklich ist”. Yunus Senel (SPD) brachte seine Freude über die Zusage für den Kreiszuschuß für das Jugendzentrum zum Ausdruck. Aber auch die Sorge, angesichts des Haushaltsdefizites möglicherweise ein Verbot der ADD für den Betrieb der Mühle zu bekommen. Diese Sorge konnte Bettina Dickes zerstreuen. Auch der Kreis weise ein Defizit aus. Und trotzdem werde ihm erlaubt etwa in Bad Sobenrheim und Kirn Häuser der offenen Tür zu betreiben: “ich bin ganz sicher, dass die Mühle weiter bestehen wird, da wird die ADD nicht eingrätschen”. Jörg Fechners (AfD) Frage, ob der Kreis das Personal übernehmen werde, bejate Dickes:

“Hat uns in der Stadtratssitzung gefehlt”

“Wir würden positionsgleich übernehmen und wären dankbar, wenn sich die städtischen Mitarbeiter*Innen melden”. Für deren Situation brachte die Landrätin vollstes Verständnis zum Ausdruck: “ich kann mir vorstellen, dass da Ängste und enorme Unruhe herrschen”. Mirko Kohl (CDU) dankte der Landrätin ausdrücklich für deren umfassende Information. “Was Sie uns jetzt übermittelt haben, hat uns am Donnerstag in der Stadtratssitzung gefehlt”. Annette Thiergarten (Grüne) brachte in mehreren Anmerkungen und Fragen die Sorge zum Ausdruck, dass sich Betreuungsqualität und – umfang durch den Wechsel von der Stadt zum Kreis verschlechtern könnten. Dickes dazu: “das sehe ich nicht so”. Auch sei der Kreisjugendaussschuß als Gremium der Jugendverbände eher stadt- als kreisorientiert. Zudem werde die besondere Situation in der Stadt fachlich berücksichtigt.

Einigen oder klagen

Und dann stellte die Landrätin die Rechtspositionen klar. “Wenn Sie nicht abgeben und sich nicht auf eine neue Finanzvereinbarung einigen, dann beschließt der Kreistag, was wir zahlen. Und wenn der Stadt das nicht paßt, müssen sie klagen”. Nicht allein wegen dieser formalen Klarstellung, sondern wegen der Fülle an Informationen bewertete CDU-Fraktionsvorsitzender Manfred Rapp den Sitzungsverlauf als “sensationell”. Im Zwiegespräch mit dem Bürgermeister klärte er auf, dass die Nachzahlung von 1,6 Millioen Euro nicht im Jahr des Mittelzuflusses 2020, sondern im Jahr der Ursprungsforderung (2015) verbucht werde.

Delaveauxs Entschuldigung bei der Landrätin

Was Oliver John zu der Bemerkung veranlasste, “was soll angesichts dieser Fakten noch für eine Entscheidung im Februar im Stadtrat fallen? Bei diesen Differenzen: wer es jetzt noch nicht verstanden hat, der hat den Schlag noch nicht gehört”. Eine Aussage ganz im Sinne des Bürgermeisters, der keinesfalls zulassen möchte, dass die Entscheidung “auf die lange Bank geschoben wird. Das mache ich auf keinen Fall mit”. Karl-Heinz Delaveaux sah sich durch einzelne Wortbeiträge aus den Reihen von SPD, Grünen und Linken dazu veranlaßt, sich bei der Landrätin dafür zu entschuldigen, dass diese versucht hätten “Sie zu pieksen”. Es müsse nun auch dem Letzten klar werden, dass die Stadt sich das Jugendamt nicht länger leisten könne.

“Arbeit in den “klein-klein-Vereinbarungen”

“Ich habe gedacht ich bin im falschen Stadtrat, als die Oberbürgermeisterin am 30.1.20 sprach”. Der Fraktionsvorsitzende von FWG / BüFEP widersprach der Unterstellung, es ginge darum, die Kinder schlechter zu stellen. Lothar Bastian (Grüne) begrüßte zunächst die Ansage von Manfred Rapp, der nach Abgabe des Jugendamtes “10 bis 15% der Einsparsumme” als freiwillige Leistung weiter für die Jugendhilfe ausgeben möchte. Um dann die Abgabe selbst zu bedauern. “Aber als Finanzpolitiker sehe ich realistisch keine Veränderungsmöglichkeit mehr”. Um sicherzustellen, dass die Qualität erhalten bleibe, sei eine Liste der Qualitätssicherung erforderlich. Bastian wies darauf hin, dass – wie beim Fusionsvertrag – die Arbeit in den “klein-klein-Vereinbarungen zu leisten ist”.

“Siegesgeheule” und “subversive Partisanen”

Weder sei es richtig mit wehenden Fahnen abzugeben noch der Ansatz “wir behalten es bis zum Untergang”. “Siegesgeheule” auf der einen Seite werde zu “subversiven Partisanen” auf der anderen Seite führen, kündigte Bastian an. Bezogen auf die von ihm angesprochene Qualitätssicherung mochte Bettina Dickes sogar Vorteile bei der Abgabe sehen. Unterschiedliche Ansätze und Erfahrungen würden so zusammengeführt. Michael Henke (Grüne) mochte sich der Sichtweise seines Parteifreundes Bastian nicht anschließen. “der Herr Rapp kann sagen was er will, die Realität sieht anders aus”. Es fehlten Ideen, wie die Stadt zu Geld kommen könne. SPD-Fraktionschef Holger Grumbach hatte in der Aussprache “einige Äusserungen gehört, die meiner Meinung nach nichts zu tun haben mit fairem Umgang”.

“Bitter, das freiwillig abzugeben”

Er dankte der Landrätin und brachte seinen Eindruck zum Ausdruck, dass diese eine “neutrale Haltung” eingenommen habe und bei ihm nicht der Eindruck einer parteipolitischen Steuerung entstanden sei. Grumbach outete sich als “starker Verfechter des Jugendamtes in städtischer Trägerschaft: “ich kann diejenigen sehr gut verstehen, die das Jugendamt nicht abgeben wollen. Es ist schon bitter, das freiwillig abzugeben”. Nachdem die sehr umfangreiche Rednerliste abgearbeitet war, zückte der Bürgermeister einen zweiteiligen “Beschlußvorschlag”, mit dem der Finanzausschuß dem Stadtrat entsprechende Beschlüsse empfiehlt. Dieser wurde in einer Sitzungsunterbrechung in Kleingruppen unterschiedlichster Zusammensetzung inter- und innerfraktionell diskutiert. Und danach im von Wolfgang Heinrich vorgelegten Wortlaut zur Abstimmung gebracht. Teil eins wurde mit elf Ja- gegen sieben Neinstimmen bei einer Enthaltung angenommen und lautet:

“Sie hat das zu machen”

“Die Oberbürgermeisterin wird als zuständige Dezernentin nunmehr gebeten, auf der Grundlage des Stadtratsbeschlusses vom 29.11.18 das Jugendamt im Benehmen mit der Landesregierung und dem Kreis Bad Kreuznach zum nächstmöglichen Zeitpunkt abzugeben (Einsparung jährlich rund 2,1 Millionen Euro)”. Teil zwei wurde mit 12 Ja- gegen sieben Neinstimmen angenommen und lautet: “Die Oberbürgermeisterin wird als zuständige Dezernentin gebeten, auf der Grundlage der zum 31.12.19 wirksam gekündigten öffentlich-rechtlichen Vereinbarung über Finanzausgleichsleistungen des Landkreises Bad Kreuznach an die Stadt Bad Kreuznach gemäß § 25 Absatz 3 LFAG vom 11.12.2014 im Benehmen mit der Landesregierung und dem Kreis Bad Kreuznach darauf hinzuwirken, dass die Finanzausgleichsleitungen bis zur Abgabe des Jugendamtes an den Kreis Bad Kreuznach in unveränderter Höhe wie im Haushaltsjahr 2019 an die Stadt Bad Kreuznach gezahlt werden (Bereinigung des Risikos entgehender Einnahmen um bis zu 4 Millionen Euro)”. Damit im Finanzausschuß keinerlei Mißverständnisse aufkommen konnten hinsichtlich der Höflichkeitsformel (.. die OBin wird gebeten …) stellte Wolfgang Heinrich vor der Abstimmung in der ihm eigenen Deutlichkeit klar: “das heisst: sie hat das zu machen”.

Bei der ersten Abstimmung wurde SPD-Fraktionschef Holger Grumbach Opfer eines Mißverständnisses. Er glaubte, es werde darüber abgestimmt, dass über die beiden Beschlußteile einzeln entschieden wird – und hob aus diesem Grund seine Hand mit CDU, AfD, FDP/Faire Liste und FWG/BüFEP. Dabei war dies schon die Abstimmung über Antragsteil eins. Daraufhin wurde die Abstimmung wiederholt, um Grumbach die Möglichkeit zu geben, gemeinsam mit seinen Genossen die Hand zu heben.