Wegen Arbeitsverweigerung der OBin auch im März keine Etatberatungen

Von unserem Redakteur
Claus Jotzo

Es ist ohne Beispiel in der demokratischen Stadtgeschichte. Und auch landesweit ein höchst seltener, ungewöhnlicher Vorgang: die für November 2019 terminierten, zunächst in den Januar und dann in den Februar verschobenen Etatberatungen, die wegen fehlender Einsparleistungen der Fachämter und Fachausschüsse in den März verlegt wurden, werden auch dann nicht stattfinden. Denn noch immer ist ein ausgeglichener Etatentwurf nicht abzusehen. Und einen ausgeglichen Haushalt hatte der Finanzausschuß am 4. November 2019 als Arbeitsgrundlage verlangt. Warum der noch immer nicht vorliegt, darüber waren sich gestern Bürgermeister Wolfgang Heinrich und die Ausschußmehrheit einig:

Zahlen der OBin fehlten

Weil Oberbürgermeisterin Dr. Kaster-Meurer weder den Abgabebeschluß des Stadtrates vom 29.1.18 betrieben noch die Verhandlungen über eine neue Finanzvereinbarung mit dem Landkreis rechtzeitig aufgenommen hat. Aus diesen Gründen lagen dem Finanzausschuß auch in der gestrigen Sitzung noch keine verlässlichen Finanzdaten zum Jugendamt vor. Allein dieser Verwaltungsteil trägt aber schon bisher mit mindestens 2,1 Millionen Euro zum Defizit der Stadt bei. Und dieses wird sich um weitere mindestens 2,5 Millionen (bis zu 4 Millionen) noch erhöhen. Diese finanziellen Unwägbarkeiten in siebenstelliger Größenordnung machen in den Augen der Mehrheit der Finanzausschußmitglieder die Beratung von Einsparungen im vier-, fünf- oder sechsstelligen Bereich “wenig sinnhaft”.

Fachvortrag zu den Stadtfinanzen

Polit-Profi Heinrich, der auch 20 Monate vor Ablauf seiner Amtszeit noch mit Herzblut bei der Sache ist, hatte dem Finanzausschuß gestern Abend mit deutlichen Worten die Verantwortung der ehrenamtlichen Kommunalpolitik aufgezeigt. Als um 20.20 Uhr mit dem Tagesordnungspunkt 5 die “Haushaltskonsolidierung 2020” aufgerufen wurde, machte Linken-Stadtrat Jürgen Locher auf “schlanken Fuß” – und schlug vor diesen Punkt in die Etatberatungen zu verschieben. Das veranlaßte den Bürgermeister zu einem der bei den Ausschußmitgliedern unbeliebten, zugegebenermaßen auch durch Wiederholungsschleifen und die Heinrich’sche Eindrücklichkeit nicht ganz leicht verdaulichen Fachvorträge zu den Stadtfinanzen und rheinland-pfälzischen Haushaltsrecht.

Budgetierung der Personalkosten

Allerdings schienen diese Ausführungen dringend nötig zu sein, da über Fraktionsgrenzen hinweg – allein mit dem Blick auf die Uhr – eine gewisse Bereitschaft im Finanzausschuß bestand, dem Locher-Vorschlag zu folgen. Als einziges Ausschußmitglied positionierte sich zunächst allein Annette Thiergarten (Grüne) gegen eine weitere Verschiebung. Und dann faßte Heinrich zusammen, was eigentlich jedem Stadtratsmitglied, dass an den Sitzungen mit wachem Verstand teilnimmt, bekannt sein müßte: durch die in der letzten Stadtratssitzung auf Heinrichs Initiative hin beschlossenen Budgetierung der Personalkosten auf 42 Millionen Euro hatte sich das geplante Defizit auf 1,7 Millionen Euro reduziert.

Heinrich: 8 Millionen sind auszugleichen

Dabei waren aber die rund 2 Millionen Euro, die die Stadt im laufenden Jahr ihre Kreditaufnahme senken muß, um über den Kommunalen Entschuldungsfonds (KEF) weitere Zuschüsse vom Land zu erhalten, nicht berücksichtigt. Und auch nicht die bis zu 4 Millionen Euro, die das Jugendamt in Trägerschaft der Stadt ab dem 1.1.20 mehr kostet. So dass der Bürgermeister auf einen Konsolidierungsbetrag von rund acht Millionen Euro kommt, der durch Einsparungs- oder Mehreinnahmevorschläge abzudecken ist. Wolfgang Heinrich hatte dazu Vorschläge mit einem Volumen von rund 16 Millionen Euro gemacht. Aber aus den Reihen der Ratsmitglieder nur wenige Rückmeldungen erhalten. “Ich frage mich langsam, was Sie in ihren Fraktionen machen”, ärgerte sich der Bürgermeister.

Ein zuhörender Bürger, Stadtpressesprecherin Isabel Gemperlein, eine handvoll Pressevertreter*Innen, Sabine Sendrowski von der Personalvertretung und vier …

Um dann seine B4-Bezüge gar als “Schmerzensgeld, das ich jeden Monat bekomme” zu bezeichnen. “Ich bitte Sie irgendwann zu einem Ergebnis zu kommen”, forderte Heinrich. Und griff dann auf ein pädagogisches Instrument aus seiner Kindheit zurück. Die Drohung mit dem schwarzen Mann. Postmodern in der Gestalt der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion ADD. Über deren aktuellen Drohbrief hatte diese Seite gestern berichtet. Für die ADD ist eine Erhöhung der Grundsteuer B auf 995 Punkte durchaus realistisch, um einen Haushaltsausgleich zu erreichen. Wenn der Stadtrat keine Alternativen findet. Heinrich erinnerte fast schon genußvoll an diese Vorgaben von oben.

… Verwaltungspersonen waren gestern neben rund zwei Dutzend ehrenamtlichen Stadtrats- und Ausschußmitgliedern die einzigen Zeugen einer denkwürdigen und in der …

Wohl wissend, dass derartige Steuererhöhungen den sozialen und politischen Druck aus der Bürgerschaft auf die Gremien explodieren lassen würden. Nach dem Bürgermeister kam als Ergebnis eines kleinen rhetorischen Scharmützels um die Rednerliste zunächst Holger Grumbach zu Wort. Der SPD-Co-Fraktionsvorsitzende blendete, sehr zum Ärger Wolfgang Heinrichs, dessen 8-Millionen-Rechnung aus und schlug vor den ersten Verschiebungs-Beschluß für die Etatberatungen vom 4.11.19, in dem der Verwaltung ein ausgeglichener Haushaltsentwurf aufgegeben worden war, wieder aufzuheben und die aktuellen Zahlen (Grumbach formulierte diesbezüglich nur das Teil-Plan-Defizit von 1,7 Millionen Euro) zur Beratungsgrundlage zu machen.

… Stadtgeschichte einmaligen Finanzausschußsitzung. Dauer: dreieinhalb Stunden. Ergebnis: auch im März keine Etatberatungen.

Das veranlasste den Bürgermeister zu weiteren Ausführungen über kommunalpolitische Arbeitsverweigerungen und Haushaltsrecht. In die er diesmal Erläuterungen zur Abwicklung eines Nothaushaltes integrierte. Solange der Stadtrat keinen Etat beschließt, dürfen von der Stadt nur noch zwingende Verpflichtungen erfüllt werden. Nachdem die Oberbürgermeisterin bereits angekündigt hatte, die beiden einzigen freiwilligen städtischen Leistungen, von denen Stadtratsmitglieder etwas haben, nämlich “Aufwandsentschädigung” und “Bewirtung”, auszusetzen, verlor das böse Wort “Nothaushalt” in den Ohren vieler Ausschußmitglieder seinen Schrecken. “So können wir doch auch sparen”, lautete einer der Zwischenrufe.

Kämpferisch und mit einem klaren Konzept für Transparenz bei den Stadtfinanzen: Kämmerer und Bürgermeister Wolfgang Heinrich.

Manfred Rapp unternahm anschließend den Versuch die Ebene der Sachberatung wieder zu erreichen. Mit konkreten Fragen zum Ausgabenstand im Sozialbereich, dem Gebäudemanagement, den Mieten fürs ehemalige Telekomgebäude und der Fälligkeit von offenen Gewerbesteuerveranlagungen. Doch diese Daten konnte die Kämmerei mangels Zugriff aufs stadtinterne Buchhaltungssystem nicht liefern. Und aus Teilen des Ausschusses, so von SPD und Linken, bestand auch nicht die Bereitschaft über solche Punkte gestern Abend zu sprechen. Und so ging auch das Angebot des CDU-Fraktionsvorsitzenden konkrete Einsparvorschläge der Christdemokraten vorzutragen, in einer Mischung aus Müdigkeit, Unwille, Desinteresse und Polit-Taktik unter. Wohl gemerkt:

Zwei, die sich lange suchten und sich gestern Abend in der Gegenposition zur Bürgermeister Wolfgang Heinrich fanden: Jürgen Locher (links) und OBin Gatte Günter Meurer.

Einzelne Ausschußmitglieder wie Norbert Welschbach (CDU), Lothar Bastian und Annette Thiergarten (beide Grüne), Reinhard Nühlen (FWG / BüFEP) und Jörg Fechner (AfD) wollten diskutieren. Stießen in dieser Absicht aber nicht auf Unterstützung der Mehrheit. Zumal der Bürgermeister mahnte: “nur solide Vorschläge, nicht einfache Kürzungen”. Annette Thiergarten startete als letzte Rednerin vor der Abstimmung den Versuch, mit dem Werben für Steuererhöhungen das Defizitproblem zu lösen und damit die Etatberatungen zu retten: “die Bürger sind bereit, das auf sich zu nehmen”, war ihre Einschätzung, die von anderen Ausschußmitgliedern Reaktionen zwischen Aufstöhnen und blankem Entsetzen hervorrief. Was Thiergarten in ihrem Plädoyer für eine “sozialere Marktwirtschaft” noch bestärkte.

Engagiert von der ersten bis zur letzten Minute: Annette Thiergarten (Grüne).

Und als es im Auditorium nicht ruhiger wurde, schloß die Grüne Stadträtin mit dem Hinweis, “natürlich kann man die Dinge zusammenstreichen”. Und dann kämen anschließend die von CDU und FDP mit den Schecks für gute Zwecke, um sich in die Zeitung zu stellen. Diese Polemik löste bei den angesprochenen Ausschußmitgliedern lautstarke Empörung aus. Die aber auf das Abstimmungsergebnis über den Antrag von Holger Grumbach kein erkennbares Ergebis hatte. Der Vorschlag des SPD-Fraktionsvorsitzenden einen Defizit-Verwaltungsvorschlag als Arbeitsgrundlage für die Etatberatungen zu akzeptieren, erhielt nur sechs Jastimmen. Sieben Ausschußmitglieder (u.a. Annette Tiergarten) stimmten dagegen. Und vier, darunter Bürgermeister Wolfgang Heinrich, enthielten sich. Um 21.03 Uhr wurde die denkwürdige Sitzung beendet. Und Verwaltungsleute und ehrenamtliche Kommunalpolitiker mußten raus in die Lebenswirklichkeit. Und standen dort im wahrsten Sinne des Wortes im strömenden Regen.

Blieben bis zum Ende vollzählig: die Finanzausschußmitglieder von CDU und FWG/BüFEP.