Bosenheim wünscht sich Augenhöhe

Von denen, die es bewußt miterlebt haben, kamen nur zwei. Weitere zwei Dutzend Bosenheimer, die schon als Städter auf die Welt kamen – oder am 4.6.69 zu jung waren, um die kommunalrechtliche Veränderung wahrzunehmen, nahmen die Einladung ihres Ortsvorstehers gern an. Dr. Volker Hertel hatte festgestellt, dass “niemand so recht Lust hat zu feiern, obwohl es doch ein Goldenes Jubiläum ist”.

Vertragsbruch beim Freibad

Die Erklärungen dafür fielen sehr unterschiedlich aus. Wie ein roter Faden zog sich ein Kritikpunkt durch viele Redebeiträge. Der schon 1972 erstmals gestartete und seit dem immer wieder vorgenommene Versuch der Stadt, den schriftlich garantierten Erhalt des Bades in Frage zu stellen. Den damit verbundenen Vertragsbruch bewerten auch jüngere Bosenheimer sehr negativ. Dabei geht es ihnen weniger um das Bad als solches.

Kritik an Altvorderen

Sondern um die Respektlosigkeit und mangelnde Wertschätzung, die sich in dieser Verfahrensweise ausdrückt. Deutliche Kritik wurde aber auch an den Altvorderen laut, die vor 50 Jahren dem Vertragswerk zustimmten. Diese hätten leichtfertig – auch aus damaliger Sicht – ungünstige Vereinbarungen getroffen. So in § 11, in dem Investitionen für Bosenheim auf vier konkrete, in ihrer Bedeutung sehr überschaubare Maßnahmen begrenzt sind.

Schon der Name des Eingemeindungsvertrages zeige eine problematische Denkweise. Der lautet nämlich “Auseinandersetzungsvertrag”. Lustig klingt in heutigen Ohren auch die Garantie “gleichartiger Behandlung”, die die Dörflern von den Städtern versprochen wurde. Nach 50 Jahren wirkt die Erlaubnis, “im Stadtteil Bosenheim kann bei feierlichen oder sonstigen repräsentativen Anlässen das bisherige Wappen gezeigt werden”, schräg.

Refinanzierung begrenzt

Der in Absatz 5 formulierte Refinanzierungshinweis auf die durch auf Bosenheimer Gemarkung erwirtschaftete Gewerbesteuer sei, ohne jede Not und Sinnhaftigkeit, auf die in 1969 erzielten Gewerbesteuereinnahmen begrenzt worden. Die Vervielfachung der Gewerbeflächen und – betriebe wurde ebenso wenig bedacht, wie die sich durch gute Geschäfte ergebenden dramatische Einnahmeerhöhung.

Geplante Mülldeponie

Die so argumentierenden Kritiker führten als weiteren Beleg für die Vernachlässigung ihres Stadtteiles auch den Versuch des Landkreises zur Errichtung einer Mülldeponie an. Zwar sei die Stadt dafür nicht zuständig gewesen, habe aber kaum Widerstand geleistet. “Der kam allein von uns” erinnerte sich ein Aktivist aus den neunziger Jahren.

Reduzierung Verkehrslärm dauert

Parallelen zur heutigen Situation zog Kay Maleton (Faire Liste). Er zeigte auf, dass die Stadt selbst unstrittige Rechtsansprüche der Bosenheimer, etwa für die Lärmreduzierung auf der Rheinhessenstrasse, nicht angemessen unterstütze. “Noch immer ist nicht durchgehend Tempo 30 ausgeschildert, obwohl nur so die gesetzlichen Lärm-Maximal-Werte erreicht werden”.

Kritik an OBin

In den Focus der tagesaktuellen Vorwürfe geriet schnell Oberbürgermeisterin Dr. Kaster-Meurer. Ortsbeiratsmitglied Harald Schäfer (Faire Liste) berichtete von einem SPD-Wahlkampftermin, in dem das Thema “Dorferneuerung” angesprochen worden sei. Die Teilnahme an einem solchen Landesangebot lehnte die OBin ab, weil derzeit schon drei andere Programme liefen und ein weiteres nicht in Frage komme.

Stadt verzögert Glasfaserausbau

Zweiter Vorwurf: bereits vor sechs Monaten habe sich mit der Deutschen Glasfaser ein leistungsfähiges Unternehmen für den Glasfaserausbau Bosenheims vorgestellt. Dr. Kaster-Meurer habe deren Antrag für die Verlegungsarbeiten abgelehnt und statt dessen eine Zusammenarbeit mit den Stadtwerken gefordert. “Von denen liegt bis heute aber noch nicht einmal ein konkretes Angebot vor”.

Einfältig bei Eingemeindungsvertrag

In die Gruppe der Kritiker reihte sich auch Werner Lorenz ein. Der frühere CDU- und heutige FDP-Stadtrat sieht das offizielle “Hauptaugenmerk auf der Kernstadt. Für Bosenheim haben sie von Anfang an nichts gemacht”. Seine Analyse der Ursachen für die ungünstige Eingemeindungs-Vertragsgestaltung: “man war da zu einfältig, zu viel Obrigkeitsdenken”. Seit Fazit: “Die Vorteile liegen mehr auf der Stadtseite”.

Kommunikation und Verlässlichkeit

In seiner Gesprächs-Zusammenfassung wurde Dr. Hertel bezogen auf den Umgang mit der Stadt sehr deutlich: “Derzeit sehen wir uns auf Hühneraugenhöhe. Wir hätten aber gern die echte Augenhöhe”. Dazu werden gefordert Redebereitschaft auf beiden Seiten, Transparenz, Kommunikation und Verlässlichkeit.

Für Bahnhaltepunkt in Planig

Ob es da zu Verbesserungen komme, könne die Stadt kurzfristig zeigen. Etwa beim Glaserfaserausbau, beim Ausschildern von Tempo 30 in der Rheinhessenstrasse, bei der Durchsetzung des Bahnhaltepunktes für Planig, dem Erhalt des Freibades und der Aufnahme Bosenheims in ein Dorferneuerungsprogramm.

Dorferneuerung in Bosenheim – viele Einwohner*Innen sehen darin eine Chance für den Stadtteil.

Am Ende waren sich die Bosenheimer trotz kontroverser Diskussion in der Sache einig. Sowohl bezüglich der Vorteile einer Teilnahme am Dorferneuerungsprogramm des Landes. Als auch bei der Wahl der Erfrischungsgetränke. Da war nach der Versammlung – wie vor 50 Jahren – Wein erste Wahl. Gespendet von mehreren ortsansässigen Winzern.

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05.06.19 – “Bosenheim: erst kontrovers diskutieren und dann gemeinsam anstossen”