Meinung: wird die Grundsteuer B auf 995% erhöht?

Von unserem Redakteur
Claus Jotzo

Der Hebesatz für bebaute und unbebaute Grundstücke liegt bisher bei 450%. Eigentümer müssen also derzeit das 4,5 fache des Grundsteuermessbetrages zahlen. Liegt der bei 200 Euro, sind 900 Euro Grundsteuer an die Stadtkasse zu entrichten. Jährlich. Der Landesrechnungshof (LRH) hat in diesen Tagen im Fall einer anderen rheinland-pfälzischen Stadt darauf hingewiesen, dass gemäß höchstrichterlicher Rechtsprechung ein Hebesatz bis zu 995% “verfassungsrechtlich unbedenklich” ist. Die Grundsteuer im Beispielfall würde dann 1.990 Euro betragen. Zu dieser klaren Ansage kam es, weil sich die kommunalen Gremien der so vom LRH nachhaltig aufgeklärten Kommune – wie aktuell auch in Bad Kreuznach – nicht in der Lage sahen, einen ausgeglichenen Haushalt zu beschließen.

Der Bürgermeister als kommunalpolitischer Fuchs

Für die Nahemetropole ist der Hinweis der Landesrechnungsprüfer deshalb von so großer Bedeutung, weil die durch die Erhöhung der Grundsteuer von 450 auf 995 Punkte erzielte Mehreinnahme in Bad Kreuznach mit rund 11 Millionen Euro das bisher geplante Defizit zuzüglich bereits bekannter Mehrausgaben ausgleichen könnte. Natürlich auf Kosten massiver Proteste aus der Bevölkerung, sobald die ersten Veranlagungsbescheide in den Haushalten vorliegen. Bürgermeister Wolfgang Heinrich hatte daher den Vorgang mit Bedacht in der Dezember-Sitzung des Finanzausschusses bekannt gemacht. Transparenz auch unangenehmer Tatsachen ist seit seinem Amtsantritt ein Anliegen des Bürgermeisters. Aber Wolfgang Heinrich ist auch ein Fuchs in verwaltungsinternen Abläufen.

Aussetzung des Etatbeschlusses bei Rechtswidrigkeit

Und so ist das vom Bürgermeister verbreitete Dokument mehr als ein Warnsignal an die ehrenamtlichen Kommunalpolitiker. Denn in dem Schreiben stellt der Präsident des Rechnungshofes, Jörg Berres, wörtlich klar, wer die alleinverantwortliche Person für die Durchsetzung der Gemeindeordnung und der Gemeindehaushaltsverordnung ist: die Oberbürgermeisterin. Diese habe einen Stadtrats-Etat-Beschluß gemäß rheinland-pfälzischem Kommunalrecht auszusetzen, wenn der rechtswidrig ist. Bei der Beurteilung dieser Formal-Frage hat, so der LRH, die Verwaltungschefin dann keinen Ermessensspielraum, wenn “die Rechtswidrigkeit des Beschlusses” für sie erkennbar war oder sie “begründeten Zweifeln an der Rechtmäßigkeit nicht nachgegangen ist”.

Ungenutzte Einnahmemöglichkeiten

Selbst für kommunalrechtliche Laien ist die sehr konkrete Argumentation des höchsten rheinland-pfälzischen Rechnungsprüfers nachvollziehbar. Die Rechtswidrigkeit von defizitären Haushaltsbeschlüssen liegt nach Auffassung des LRH nämlich dann vor, wenn die Haushaltseinnahmesituation wegen bisher ungenutzter Einnahmemöglichkeiten, zum Beispiel bei der Grundsteuer B, nicht unabweisbar ist. Genau das ist die Bad Kreuznacher Situation: der aktuelle Hebesatz beträgt 450%. 995% sind zulässig. Würde auf diese Größenordnung erhöht, würden die Mehreinnahmen das Defizt vollständig ausgleichen. Damit macht Bürgermeister Wolfgang Heinrich unmißverständlich klar, was passieren wird, wenn das bisher rund 9 Millionen Euro betragende Defizit nicht vollständig weggespart wird:

Aussetzung führt zum Nothaushalt

Die politisch und juristische Verantwortliche dafür wäre Dr. Heike Kaster-Meurer. Dem könnte die Oberbürgermeisterin nur entgehen, in dem sie einen entsprechenden Stadtratsbeschluß gemäß Gemeindeordnung aussetzt. Eine solche Aussetzung im Februar oder März 2020 würde aber zu einer mehrmonatigen Verzögerung auf dem Weg zu einem rechtskonformen Haushalt führen. Direkte Folge: die Anordnung eines Nothaushaltes durch die Aufsichtsbehörde. Diese Zwangsmaßnahme würde nur noch zwingende Pflichtausgaben erlauben. Die Fortsetzung der Wohltatenverwaltung a la Kaster-Meurer (vielen Interessensgruppen mal hier und mal dort etwas zuwenden, damit möglichst viele mit “ihrer OBin” zufrieden sind) wäre damit unmöglich.

Die Oberbürgermeisterin ist die richtige Ansprechpartnerin

Mit der Veröffentlichung dieses Dokumentes hat der Bürgermeister nicht mehr aber auch nicht weniger getan, als vor allen Augen unverrückbare Grenzlinien zu ziehen und deren Überschreitung mit massiven Konsequenzen zu verbinden. Die ehrenamtlichen Kommunalpolitiker konnte er damit im ablaufenden Jahr nicht zu deutlich mehr Haushaltsdisziplin motivieren. Bis heute gibt es aus deren Runde (Ausnahme: das am 4.12.19 verteilte Eckpunkte-Papier der SPD-Fraktion und Detailvorschläge von FWG / BüFEP, diese Seite berichtete) nur vage verbale Ankündigungen. Mit der Oberbürgermeisterin hat Heinrich jetzt die Aufmerksamkeit der richtigen Ansprechpartnerin bewirkt. Sie kann Haushaltsdisziplin durchsetzen. Und wird es im eigenen Interesse auch tun. Weil sie jetzt weiß, dass es einschneidende Konsequenzen für sie persönlich hat, wenn sie es nicht macht.