Verkehrsinfarkt (nicht nur) am Freitagmittag

Von unserem Redakteur
Claus Jotzo

Früh am Morgen und abends sind zäh fliessender Verkehr und Staus normal. Und werden auch von allen akzeptiert. Denn Strassen können nicht auf Maximalbelastungen hin gebaut werden. Wie groß die Verkehrsprobleme in und aus der Südstadt allerdings auch tagsüber sind, wurde am Freitagmittag deutlich. In der Alzeyer, Dürer und Bosenheimer Strasse ging es nur im Schritttempo voran. Vom Fleischhauer-Kreisel aus gut zu sehen: schon um 14 Uhr Stillstand aus bzw in alle Richtungen. Zeitgleich rollte der Verkehr im Brückes und auf der Salinen-, Wilhelm- und Rüdesheimer Strasse. Und stand auf der Nord-Süd-Trasse. Die FFF-Demonstration war also nicht für die Staus in der Südstadt mitverantwortlich und scheidet als Erklärung aus.

Das Beispiel einer Anwohnerin der Hohen Bell verdeutlicht die realen Probleme der Menschen in den südlichen und südöstlichen Wohngebieten. Sie mußte, um im Bauhaus etwas Sperriges einzukaufen, rund vier Kilometer fahren: von der Hohen Bell über das Weyroth, Richard-Wagner- und Schumannstraße. Dann die Alzeyer runter bis zum Fleischhauer-Kreisel. Auf dem Weg dorthin erlebte sie Stau eins beim Kreisel REWE-Rheinstrasse, die rote Ampel am Überweg zum Friedhof, Stau zwei beim Kreisel Steinkaut und Stau drei am Kreisel Lidl-Ringstrasse. Die Fahrt dauerte 31 Minuten. Die Alternativroute durch den Pfalzsprung oder die John-F.-Kennedy-Strasse läuft mit korrekten 30 km/h cremig. Bis zum Kreisel Dürer Strasse.

Von dort bis zum Kreisel Bosenheimer Strasse zieht es sich mitunter. Was eilige Fahrer*Innen je nach Staulänge zum Umweg durch die Matthias-Grünewald-Strasse und die Holbeinstrasse oder den Korellengarten zur Möbus- oder Tilgesbrunnenstrasse motiviert. Mitten durch ein dicht besiedeltes Wohngebiet. Luftlinie sind es von der Hohen Bell zum Bauhaus weniger als zwei Kilometer. Aufgrund fehlender Querverbindungen wird die zwei- oder dreifache Strecke gefahren und im Stau gewartet. Das soll umweltfreundlich sein? Dieses Problem triftt viele tausend Einwohner*Innen in der Südstadt. Sie haben keinen Ortsbeirat, der ihre Betroffenheit den städtischen Gremien vermitteln kann. Ihr Ärger staut sich auf. Kein Wunder, dass die Pläne für zusätzliche Bebauung Unverständnis und Wut auslösen.

Und massiven Widerstand gegen alles, was von der Stadtverwaltung offiziell als “Verkehrswende” und “ökologisch” verkauft wird. Die Verwaltung hat in den Augen dieser Einwohner*Innen so eklatant versagt, dass diese Menschen ihr nichts mehr zutrauen. Also nichts Gutes. Würde heute über das Integrierte Verkehrsentwicklungskonzept (IVEK) in einem Bürgerentscheid abgestimmt, es würde krachend scheitern. Wenn Rat und Verwaltung nicht bald Lösungen finden, die die Menschen (auch ihre Autos) in die Zukunft mitnehmen, dann werden diese alles dafür tun, ihre Vergangenheit wieder zu bekommen. Auch wenn sie wissen, dass das falsch ist. Die AfD wird von vielen dieser Menschen nicht gewählt, weil die Wähler*Innen tatsächlich glauben, der Klimawandel sei nicht menschgemacht.

Natürlich wissen die Leute, dass es fürs Stadt- und Weltklima einen entscheidenden Unterschied macht, ob hier fossil geheizt und gefahren wird – oder eben nicht. Und selbstverständlich spricht der kleinkarierte Hinweis, Deutschland trage nur 2% zum weltweiten Problem bei, die Masse der Leute nicht an. Denn in der deutschen Mentalität sind erfreulicher Weise die Gedanken und Wertvorstellungen hinter den Begriffen und Redewendungen wie “Vorbild” und “vor der eigenen Tür kehren” tief verwurzelt (siehe Mülltrennung pp). Es ist dieses zutiefst konstruktive, von ihm zwar wohl nie gesagt aber Martin Luther zugeschriebene Bild von dem Zeitgenossen, der abends noch ein Apfelbäumchen pflanzt, auch wenn er weiß, das am nächsten Tag die Welt untergeht, in dem die meisten Einwohner*Innen auch nach Jahrzehnten der Konsumgesellschaft noch etwas Wertvolles und Anstrebenswertes finden.

Die Menschen sind auch zu Verhaltensänderungen bereit. Aber sie wollen diesen Wandel gerecht gestaltet sehen. Sie möchten sich und ihre Interessen im neuen Weg wiederfinden. Sie lehnen die Doppelbödigkeit und Unehrlichkeit in der kommunalen Politik ab. So die Tatsache, dass eine größere Zahl von Innenstadt-Arbeitnehmer*Innen für einen Stellplatz dort zwischen 50 und 100 Euro zahlen müssen. Und Verwaltungsmitarbeiter*Innen nicht einmal die Hälfte. Diesen Einwohner*Innen kann die Oberbürgermeisterin mit noch so viel Kilometern auf dem Fahrrad eben nicht glaubwürdig Umweltbewußtsein vorspielen, wenn sie als Dienstwagen einen fetten Benz ordert. Der dann von ihrem Günni gefahren und nur ab und zu mal (wie am letzten Montagabend vor dem Rechnungsprüfungsausschuß) von ihr selbst in den Stau gestellt wird.

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