Aufgedeckt: Stadtjugendamt verplemperte hunderttausende von Euro

Von unserem Redakteur
Claus Jotzo

Nachdem der Stadtrat am 29.11.18 auf Antrag der FWG-Fraktion die Abgabe des Jugendamtes an den Kreis beschlossen hatte, fiel Dr. Heike Kaster-Meurer vor allem mit einem Hinweis auf: das Gremium sei vor der Beschlußfassung über die Zusammenhänge nicht ausreichend informiert gewesen und habe daher einen falschen Beschluß gefaßt. Noch im Herbst 2019 wiederholte sie diese Behauptung im Jugendhilfeausschuß. Wie umfangreiche Recherchen dieser Seite beweisen, hat die Oberbürgermeisterin recht. Mit dem ersten Teil ihrer Aussage. Denn tatsächlich. Mit keinem Wort hat Dr. Kaster-Meurer in 2018 vor der Beschlußfassung auf die gravierenden Mißstände hingewiesen, die der Landesrechnungshof (LRH) schon Ende 2014 aufgedeckt hatte.

Erschütternde Mißstände

In dessen genau fünf Jahre altem Prüfbericht zur “Prüfung der Haushalts- und Wirtschaftsführung der Stadt Bad Kreuznach” (Az.: 6-P-7061-221/2013) weist der LRH nach: das städtische Jugendamt, damals politisch verantwortet von der früheren Bürgermeisterin Martina Hassel (SPD, bis November 2013) und Dr. Kaster-Meurer (SPD, ab November 2013), hat der Stadtkasse einen sechsstelligen Schaden zugefügt. Auf diese Dokumentation teilweise erschütternder Mißstände und die daraus gezogenen Konsequenzen ging die Oberbürgermeisterin in der aktuellen Diskussion mit keinem Wort ein. Statt dessen wurde ohne jede Kritik und Einschränkung die Arbeit der städtischen Jugendverwaltung gelobt.

38 vernichtende Seiten

Weder den bis zum 31. Mai 2019 amtierenden Stadtratsmitgliedern noch dem aktuell verantwortlichen Gremium hat Dr. Kaster-Meuer vollständig dargelegt, wie die vom LRH aufgedeckten Schäden reguliert wurden und wie diese sich auf die Erstattungen des Landkreises seit 2014 ausgewirkt haben. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Manfred Rapp hatte in der Stadtratssitzung am 31. Oktober enthüllt, dass der Landkreis der Stadt im Oktober rund drei Millionen Euro fürs Jugendamt nicht als Abschlag gezahlt hat. Von diesem drohenden Finanzloch war im Stadtrat in den letzten 20 Monaten nicht die Rede. Doch zurück zu den 38 vernichtenden Seiten des Landesrechnungshofes. Demnach liegt die Ursache einiger Mißstände in der Amtsführung der früheren Bürgermeisterin Martina Hassel.

Teure Folgen der Arbeitsüberlastung

Diese hatte zugelassen, dass die “wirtschaftliche Jugendhilfe” über mehrere Jahre nur mit einer Vollzeitkraft besetzt war. “Zeitweise bis zu 400 Fälle” hatte die Verwaltungskraft zu bearbeiten. Und stellte schließlich im Mai 2011 “eine Überlastungsanzeige”. Als Folgen der Arbeitsüberlastung listen die Prüfer auf:

# Akten sind unvollständig
# es liegen keine fallbezogenen Übersichten über die jeweiligen Ein- und Auszahlungen vor
# Zahlungen sind häufig auf falsche Sachkonten gebucht, wodurch manuelle Nacharbeiten erforderlich wurden
# fehlende Fallüberwachungslisten haben die Haushaltsplanung deutlich erschwert
# die Einkommensverhältnisse von Kostenbeitragspflichtigen wurden über Jahre hinweg nicht geprüft und Kostenbeitragsfestsetzungen unterblieben
# zweckbestimmte Leistungen und vorrangige Ansprüche wurden nicht oder nur unzureichend geltend gemacht
# gewöhnliche Aufenthalte wurden nicht ermittelt und
# Fälle wurden nicht zeitnah abgegeben und Kostenerstattungen wurden verspätet oder gar nicht gefordert

Jugendamt zahlte ohne Zuständigkeit

Trockenes Fazit des Landesrechnungshofes: “die jahrelange Unterbesetzung der wirtschaftlichen Jugendhilfe hat zu hohen Bearbeitungsrückständen und Einnahmeausfällen geführt”. Wie dramatisch und kostenintensiv sich das konkret ausgewirkt hat, macht ein einziger Fall deutlich in dem bis zum Einschreiten des LRH 200.000 Euro geleistet wurden. Dabei wurde ein Mädchen in einer Pflegefamilie untergebracht. Zu dieser Zeit lebten beide Elternteile in Bad Kreuznach. Jahre später verzogen die Eltern in den Landkreis Mainz-Bingen. “Damit wechselte die Kostenerstattungspflicht” auf den dortigen Landkreis, weiß der Landesrechnungshof. Dem Gesetz nach. Das städtische Jugendamt zahlte trotzdem weiter. Bis der Rechnungshof einschritt. “In welchem Umfange der zuständige Landkreis Kostenerstattung leisten wird, stand noch nicht fest”, ist im Prüfbericht vermerkt.

Keine vollständige Erledigungsliste

In der Zeit, in der der Landesrechnungshof seine Prüfungsfeststellungen mit der Stadtverwaltung abstimmte, war Dr. Heike Kaster-Meurer nicht nur Oberbürgermeisterin, sondern auch die für das Jugendamt zuständige Dezernentin. Trotzdem hat Sie zu den Dutzenden von Prüfungsfeststellungen, die Fehlverhalten und Einzelschadensbeträge vom drei- bis zum sechsstelligen Bereich aufzeigen, den städtischen Gremien bis heute keine vollständige Erledigungsliste vorgelegt. Aus dieser hätte sich nämlich ergeben, wie Unfähigkeit und Mißwirtschaft zu Lasten der Stadtkasse fröhliche Urstände feierten (weitere Berichte mit Sachdarstellung vom Landesrechnungshof aufgedeckter, zum Teil unfassbarer Fehler folgen).

Lesen Sie zum Thema auch auf dieser Seite:

05.11.19 – “Reinhard Nühlen (FWG/BüFEP): Dr. Kaster-Meurer hat versagt”
03.11.19 – “Abgabe des Jugendamtes spart über 2 Millionen Euro jährlich”
01.11.19 – “CDU: Dr. Kaster-Meurer verschweigt ein neues Millionendefizit beim Jugendamt”
31.10.19 – “Bewegung bei der SPD in Sachen Abgabe Jugendamt”
30.10.19 – “Etat 2020: CDU fordert Informationen von der Oberbürgermeisterin”
15.10.19 – “FWG/BüFEP greifen OBin an: Vertrauen in die Integrität nachhaltig erschüttert”
13.10.19 – “Abgabe Jugendamt: Verwaltungsgericht lehnt Eilantrag ab”
13.10.19 – “Die Linke fragt: ist städtische Jugendarbeit Steuerverschwendung?”
14.09.19 – “Abgabe Jugendamt: FWG/BüFEP sucht gerichtliche Hilfe gegen Dr. Kaster-Meurer”
12.09.19 – “Jugendhilfeausschuß beschließt: Jugendamt soll bei der Stadt bleiben”
11.09.19 – “Abgabe des Jugendamtes heute Thema im Jugendhilfeausschuß”
29.08.19 – “Meinung: Eigentor der Oberbürgermeisterin beim Jugendamt”
29.08.19 – “SPD bringt Dr. Kaster-Meurer in die Bredouille”
14.08.19 – “CDU: Dr. Kaster-Meurer muss Jugendamts-Abgabe zügig aktiv betreiben”
08.08.19 – “Jugendamt: Delaveaux begrüsst Dr. Martins Wirkungstreffer”
07.08.19 – “Landtag: Stadt darf Jugendamt an den Kreis abgeben”
10.05.19 – “Delaveaux (FWG): “Dr. Kaster-Meurer sabotiert einen Stadtratsbeschluß”
21.02.19 – “Stadt schenkt dem Kreis 750.000 Euro”
12.02.19 – “FWG wirft dem Land Grundrechtsverstoss vor”
04.02.19 – “Oberbürgermeisterin widerspricht den Grünen”
30.11.18 – “Stadtjugendamt soll zum Kreis”