Aufgespiesst: Bettina Dickes entdeckt Antrag auf Erteilung eines Antragsformulars

Von unserem Redakteur
Claus Jotzo

Offiziell durfte bis heute kein Pressetross das seit Jahren in Sanierung befindliche Casinogebäude betreten. Dabei werden dort mindestens sieben Millionen Euro Steuergeld verbaut. Die Oberbürgermeisterin hatte zwar vollmundig eine Besichtigung mit Schutzhelm und auf eigenes Risiko angeboten. Aber als die Redaktion dieser Seite diese Einladung annahm und um einen Termin nachsuchte, hieß es abweisend: “zu gefährlich”. Die Landrätin ist da eine Politikerin anderer Art. Bettina Dickes fabuliert nicht lang von Transparenz. Sie praktiziert sie einfach. Wie am Dienstagabend letzter Woche. Da waren die Pressevertreter*Innen zur Besichtigung der zur Sanierung oder dem Abriß anstehenden Verwaltungsgebäude Baumgartenstraße 46/48 eingeladen.

Auf dramaturgisch wirkungsvolle Accessoires wie Helm und Lampen verzichtete die Landrätin. Statt dessen gabs ungeschminkte Einblicke in Baumängel und -geschichte satt. Offen räumte Dickes eine Veränderung im Detail ein. So wurde am Vortag der Tour ein Tauben-Kadaver entfernt, um sensible Journalistenmägen zu schützen. Ansonsten brachte die Entdeckungstour bis hinauf auf den Dachboden einiges zu Tage, was selbst langjährige Verwaltungsmitarbeiter*Innen seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen hatten: Akten aus den sechziger Jahren, bedeckt mit dem Staub seit den siebzigern. Und den Humor der Landrätin.

Als dieser ein Ordner aus lange vergangenen Zeiten zum Blättern angeboten wurde, fand sie darin sofort den von Reinhard Mey im deutschsprachigen Raum als feinsinnige Bürokratie-Kritik bekannt gemachten “Antrag auf Erteilung eines Antragsformulars”. Und oute sich als Fan des Liedermachers. Es würde sich mit Sicherheit auf die Diskussion um die Zukunft der beiden Häuser sehr sachorientiert auswirken, wenn eine solche Führung auch für interessierte Bürger*Innen ermöglicht würde. Denn wer mit eigenen Augen gesehen hat, wie es um die Bausubstanz der Gebäude tatsächlich bestellt ist und wie groß der Anteil der weder zu Wohn- noch zu Bürozwecken nutzbaren Hausinnenflächen ist, mag sicher eher dazu bereit sein über Lösungen nachzudenken, wie tatsächlich für nachfolgende Generationen erhaltenswerte Details wie Fassadenteile und Treppen gesichert werden können, ohne einen Millionenaufwand hervorzurufen.

Songtext von
Ein Antrag auf Erteilung eines Antragsformulars © GEMA

Mein Verhältnis zu Behörden war nicht immer ungetrübt,
Was allein nur daran lag, daß man nicht kann, was man nicht übt.
Heute geh’ ich weltmännisch auf allen Ämtern ein und aus,
Schließlich bin ich auf den Dienstwegen schon so gut wie zu Haus.

Seit dem Tag, an dem die Aktenhauptverwertungsstelle Nord
Mich per Einschreiben aufforderte: Schicken Sie uns sofort
Einen Antrag auf Erteilung eines Antragsformulars,
Zur Bestätigung der Nichtigkeit des Durchschriftexemplars,
Dessen Gültigkeitsvermerk von der Bezugsbehörde stammt
Zum Behuf der Vorlage beim zuständ’gen Erteilungsamt.

Bis zu jenem Tag wußt’ ich nicht einmal, daß es sowas gab,
Doch wer gibt das schon gern von sich zu, so kramt’ ich, was ich hab’
An Papier’n und Dokumenten aus dem alten Schuhkarton.
Röntgenbild, Freischwimmerzeugnis, Parkausweis und Wäschebon.

Damit ging ich auf ein Amt, aus all’ den Türen sucht’ ich mir
Die sympatischste heraus und klopfte an: “Tag, gibt’s hier
Einen Antrag auf Erteilung eines Antragsformulars,
Zur Bestätigung der Nichtigkeit des Durchschriftexemplars,
Dessen Gültigkeitsvermerk von der Bezugsbehörde stammt
Zum Behuf der Vorlage beim zuständ’gen Erteilungsamt.”

“Tja”, sagte der Herr am Schreibtisch, “alles, was Sie wollen, nur
ich bin hier Vertretung, der Sachbearbeiter ist zur Kur.
Allenfalls könnte ich Ihnen, wenn Ihnen das etwas nützt,
Die Broschüre überlassen, , Wie man sich vor Karies schützt’.
Aber frag’n Sie mal den Pförtner, man sagt, der kennt sich hier aus.”

Und das tat ich dann “ach, bitte, wo bekommt man hier im Haus
Eine Antragsformulierung, die die Nichtigkeit erklärt.
Für die Vorlage der Gültigkeit, nee halt! Das war verkehrt.
Dessen Gültigkeitsbehörde im Erteilungszustand liegt …
Na ja, Sie wissen schon, so’n Zettel, wissen Sie, wo man den kriegt?”
“Da sind Sie hier ganz und gar verkehrt, am besten ist, Sie geh’n
Zum Verlegungsdienst für den Bezirksbereich Parkstraße 10.
In die Abwertungsabteilung für den Formularausschuß.
Bloß, beeil’n Se sich ein bißchen, denn um zwei Uhr ist da Schluß.
Dort bestell’n Se dann dem Pförtner einen schönen Gruß von mir,
Und dann kriegen Sie im zweiten Stock, rechts, Zimmer 104

Einen Antrag auf Erteilung eines Antragsformulars,
Zur Bestätigung der Nichtigkeit des Durchschriftexemplars,
Dessen Gültigkeitsvermerk von der Bezugsbehörde stammt
Zum Behuf der Vorlage beim zuständ’gen Erteilungsamt.”

In der Parkstraße 10 sagte mir der Pförtner: “Ach, zu dumm,
Die auf 104 stell’n seit 2 Wochen auf Computer um
Und die Nebendienststelle, die sonst Härtefälle betreut,
Ist seit elf Uhr zu, die feiern da ein Jubiläum heut’.
Frau Schlibrowski ist auf Urlaub, tja, da bleibt Ihnen wohl nur,
Es im Neubau zu probier’n, vielleicht hat da die Registratur
noch ‘nen Antrag auf Erteilung eines Antragsformulars,
Zur Bestätigung der Nichtigkeit des Durchschriftexemplars,
Dessen Gültigkeitsvermerk von der Bezugsbehörde stammt
Zum Behuf der Vorlage beim zuständ’gen Erteilungsamt.”

Ich klopfte, trat ein, und spürte rote Punkte im Gesicht.
Eine Frau kochte grad’ Kaffee, sie beachtete mich nicht.
Dann trank sie genüßlich schlürfend, ich stand dumm lächelnd im Raum,
Schließlich putzte sie ausgiebig einen fetten Gummibaum.
Ich räusperte mich noch einmal,
doch dann schrie ich plötzlich schrill,
Warf mich trommelnd auf den Boden, und ich röchelte: “Ich will
Meinen Antrag auf Erteilung eines Antragsformulars,
Zur Bestätigung der Nichtigkeit des Durchschriftexemplars,
Dessen Gültigkeit, ach, wissen Sie, Sie rost’ge Gabel Sie,
nageln Sie sich Ihr Scheißformular gefälligst selbst vor’s Knie.”
Schluchzend robbt’ ich aus der Tür, bl
ieb zuckend liegen, freundlich hob
Mich der Aktenbote auf seinen Aktenkarren und schob
Mich behutsam durch die Flure, spendete mir Trost und Mut.

“Wir zwei roll’n jetzt zum Betriebsarzt, dann wird alles wieder gut.
Ich geb’ nur schnell ‘nen Karton Vordrucke bei der Hauspost auf,
Würden Sie mal kurz aufstehen, Sie sitzen nämlich grade drauf. –
Is’n Posten alter Formulare, die geh’n ans Oberverwaltungsamt zurück,
Da soll’n die jetzt eingestampft
werden, das sind diese völlig überflüssigen
Anträge auf Erteilung eines Antragsformulars,
Zur Bestätigung der Nichtigkeit des Durchschriftexemplars,
Dessen Gültigkeitsvermerk von der Bezugsbehörde stammt
Zum Behuf der Vorlage beim zuständ’gen Erteilungsamt.

Quelle: Musixmatch
Songwriter: Reinhard Mey / Wilfried Gr

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