Jetzt werden die Schausteller abkassiert

Bisher war es allein diese Seite, die den Bad Kreuznacher Tourismusbeitrag überregional bekannt gemacht hat. Seit ein paar Tagen tut nun auch die städtische GuT GmbH alles dafür, die örtliche Misswirtschaft bundesweit zu bewerben. Wie der Redaktion vorliegende Schreiben aus ganz Deutschland beweisen, geht es jetzt unzähligen von Schaustellern vom Jahrmarkt an den Geldbeutel. Allerdings nicht wegen dem 2018er. Und auch nicht bezogen auf den Jahrmarkt 2017.

“Nun sind sie noch mal dran”

Mitte November 2018 verschickte die GuT allen ernstes Umsatzanfragen bezogen auf das Volksfest in 2016. “Das hätte man auch im Herbst vor zwei Jahren machen können. Oder Anfang 2017”, meint Antonio Valentino. Denn anders als bei vielen Beitragspflichtigen vor Ort, zum Beispiel den Freiberuflern, die in keinem Gewerberegister stehen, seien die Jahrmarktsbeschicker alle namentlich bekannt. “Die haben ja schon mal Bescheide von der Stadt erhalten. Und bezahlt. Allerdings nicht Fremdenverkehrsbeitrag. Sondern Gestattungen und Standgebühren. Nun sind sie nochmal dran”. Zunächst für 2016. Und wenn die Gerichte oder vorher der Stadtrat den Beitrag nicht stoppen, auch für 2017 und 2018.

Anfrage 2 Jahre und 3 Monate danach

Die von GuT-Geschäftsführer Dr. Michael Vesper noch am 5.3.18 im Finanzausschuss wortreich ausgebreitete Ausrede für den Umstand, dass zweieinhalb Jahre nach dem Satzungsbeschluss für 2016 noch immer nicht alle Bescheide raus sind (“der hauptsächliche Aufwand entsteht durch die Datenermittlung und die Datenpflege”), trifft auf die Schausteller aus dem vorstehend angeführten Grund in keinem Teilaspekt zu. Die GuT konnte sich die Daten im August 2016 unproblematisch beim Ordnungsamt holen, tat dies aber nicht. Wenn es einen “Mehraufwand Datenpflege” für die Gruppe der Jahrmarktsbeschicker überhaupt gibt, dann nur aus einem einzigen Grund: weil die GuT nicht im August 2016 tätig wurde, sondern erst zwei Jahre und drei Monate später.

“Arglistig getäuscht”

Die aktuelle Post sorgt für mächtig Ärger unter den Schaustellern. “Die wollen uns abziehen wie eine tote Kuh”, ärgert sich ein Betroffener, der aus Angst davor, im kommenden Jahr nicht mehr dabei sein zu dürfen oder seinen angestammten Standplatz zu verlieren, nicht benannt werden möchte. Hunderte von Schaustellern kommunizieren jetzt bundesweit über das neue “Schilda” mitten in Rheinland-Pfalz. Eine Familie aus Niedersachsen fühlt sich gar arglistig getäuscht.

Keinerlei Information vorab

Weder den Ausschreibungsunterlagen noch den Genehmigungen für 2016 noch für 2017 noch für 2018 habe ein Hinweis beigelegen, dass zusätzlich eine weitere Abgabe zu zahlen ist. Auch der Inhalt der Umsatzanfrage stösst viele Betroffene vor den Kopf. “Ich soll den Jahresumsatz erklären, obwohl ich nur 5 von 365 Tagen in Bad Kreuznach war”. Zwar steht im Umsatzerhebungsformular (Vordruck Stand 12.10.18) “bitte den jeweiligen Jahresnettoumsatz (§ 10 Abs. 1 Umsatzsteuergesetz = Gesamtiahresumsatz abzüglich der Umsatzsteuer) oder die Jahreseinnahmen bei Betrieben/Personen ohne Umsatzsteuerpflicht aus 2016 im Stadtgebiet Bad Kreuznach in der folgenden Tabelle angeben”.

Frage nach Räumlichkeiten

Aber nicht die entscheidenden Worte “im Stadtgebiet Bad Kreuznach” sind im Fettdruck hervorgehoben, sondern “Jahresumsatz” und “Gesamtjahresumsatz abzüglich der Umsatzsteuer”. Weiterhin werden Fragen gestellt, über die Fachleute den Kopf schütteln und die normale Schausteller nur in die Irre führen können: “wurde das Gewerbe/die Tätigkeit in 2016 ganzjährig ausgeübt?” Und dann “erfolgt die Tätigkeit in angemieteten/gepachteten Räumlichkeiten?”

“Die wissen es nicht besser”

Steuerberater Martin Reiber ist erschüttert über derart “unsinnige und verwirrende” Auskunftsbegehren. Für die Beitragsberechnung sei vollkommen unerheblich, ob das Gewerbe ganzjährig oder nur am Jahrmarkt ausgebübt wurde. Und “wie kann man Schausteller mit Standplatz auf der Pfingstwiese nach einer Räumlichkeit fragen?” Reiber ist nach dutzenden von Gesprächen mit verunsicherten Beitragspflichtigen ernüchtert. “Am Anfang glaubte ich wirklich, die wollen die Leute vorsätzlich ärgern. Heute bin ich mir sicher: die wissen es einfach nicht besser”.

“Inkompetente Verwaltungstelle”

Allerdings bedeutet dies für den Steuerberater: “eine dermassen inkompetente Verwaltungsstelle auf die Menschheit loszulassen, ist absolut unverantwortlich”. Und Martin Reiber sagt, wie es schlicht und richtig gewesen wäre. “Die hätten doch nur eine ganz einfach Frage stellen müssen: welchen Umsatz haben Sie auf dem Bad Kreuznacher Jahrmarkt 2016 erzielt?” Auch der aktuelle Vorgang wird schon bald gerichtsbekannt werden.

Gleichheitssatz verletzt?

Wie Steuerberater Reiber erklärt, wird er sowohl das OVG als auch das Verwaltungsgericht auf diesen “beispiellosen Vorgang des Versagens einer öffentlichen Verwaltung” hinweisen. Potentiell Beitragspflichtige erst im dritten Jahr nach der Begründung der Beitragsschuld auf diese hinzuweisen und zu einer Umsatzangabe aufzufordern (von einem Bescheid ist noch gar nicht die Rede) verletze gleich mehrere Rechtsgrundsätze. Zum Beispiel den grundgesetzlich geschützten Gleichheitssatz.

“Ungerecht und unverantwortlich”

Der soll u.a. eine “Gleichheit im Belastungerfolg” sicherstellen. Das meint: der für die GuT leicht greifbare Friseur im Kurgebiet soll nicht schlechter gestellt werden, als der Schausteller, der nur einmal im Jahr auf dem Jahrmarkt vor Ort anzutreffen ist. Durch die über zweijährige Verzögerung gingen der Stadt möglicherweise Beitragseinnahmen verloren von Schaustellern, die zwischenzeitlich ihr Gewerbe aufgegeben oder verkauft haben, die unbekannt verzogen oder verstorben sind: “ein ungerechtes und unverantwortliches Vorgehen”, findet Reiber.