Eklat im Finanzausschuss

Nach gut einer Stunde war für Wolfgang Kleudgen das Maß voll. Zum ersten Mal in über neun Jahren Stadtratstätigkeit verließ der FWGler enttäuscht und verärgert vorzeitig und unter Protest eine Sitzung. Bürgermeister Heinrich hatte sich gestern Abend im Finanzausschuss geweigert über einen Antrag Kleudgens abstimmen zu lassen. Zunächst bewertete der Kämmerer den FWG-Antrag als weniger weitgehend als den Verwaltungsvorschlag. Schon das war, wie Peter Butzbach (CDU) später zutreffend feststellte, eine Fehleinschätzung. Denn jeder Änderungsantrag ist abzustimmen, bevor es um die Gesamtvorlage geht. Dann gab Heinrich die Zusage, dass nach der Abstimmung über den Verwaltungsvorschlag Kleudgens Antrag drankommt.

Trick 17 mit Selbstüberlistung

Das war ein packendes Beispiel für einen “Trick 17 mit Selbstüberlistung”. Denn zu diesem zweiten Votum konnte es ja absehbar nur dann kommen, wenn der Verwaltungsvorschlag abgelehnt würde. Eine Annahme des Heinrich-Vorschlages hätte die zweite Abstimmung überflüssig gemacht. Aber vor der Entscheidung machte keiner Heinrich auf diese selbst hingehängten Fallstricke aufmerksam. Es wurde also abgestimmt. Und der Verwaltungsvorschlag mit 11 Nein- (CDU, Grüne, FWG, FDP und Parteilose) bei nur 10 Jastimmen (SPD, Bürgermeister, Linke, Freie und BüfeP) abgelehnt. Die Neinsager forderten nun die von Heinrich zugesagte Abstimmung über den Kleudgen-Antrag ein. Denn mit der von ihnen geforderten Veränderung wollten sie Ja sagen zum Verwaltungsvorschlag.

Kleudgen ging unter Protest

Trotz seiner Zusage kurz zuvor verweigerte Heinrich die zweite Abstimmung mit der Begründung, der Verwaltungsvorschlag sei abgelehnt und die Sache damit erledigt. Auch das ist streng genommen nicht richtig. Denn zu erledigen war ein Tagesordnungspunkt. Die Verwaltung hatte dazu einen Vorschlag gemacht. Der wurde abgelehnt. Und nun durfte jedes Ausschussmitglied eigene Vorschläge machen. ZB den Verwaltungsvorschlag in abgewandelter Form. Genau das wollten die Neinsager. Aber Heinrich liess sie nicht. Als der Bürgermeister nach minutenlanger Diskussion nicht einlenkte, sah der als sachlich und wortgewandt bekannte Kleudgen rot – und ging. Ihm folgten Barbara Schneider (Parteilose), Peter Butzbach und Dr. Bettina Mackeprang (beide CDU).

Auslöser: Gemeindearbeiter

Auslöser des Streites war eine Institution, die es zwar heute in fast allen Kreisgemeinden, aber in Bad Kreuznach schon seit 49 Jahren nicht mehr gibt. Und doch bestehen die Ortsbeiräte in Winzenheim, Planig, Bosenheim und Ippesheim darauf sie weiter einsetzen zu dürfen: Gemeindearbeiter. Denn in den vier traditionellen Stadtbezirken haben sich die zwischen sechs und 20 Wochenstunden-Kräfte bestens bewährt. Dabei sind sie ganz normale Mitarbeiter des Bauhofes. Aber eben fest zugeordnet für konkrete Arbeiten in einem bestimmten Ortsbezirk. Durch Ausscheiden des Mitarbeiters in 2017 fiel die Stelle in Winzenheim weg.

Vernachlässigung

Trotzdem der Bauhof seit dem nach eigenen Angaben mit einem “Arbeitskräfte-Pool” das (und mehr) macht, was der frühere “Gemeindearbeiter” erledigte, entstand vor Ort ein ganz anderes Bild: Vernachlässigung und Verschlechterung. Der Winzenheimer Ortsvorsteher Mirko Kohl (CDU) brachte den Stein, der am Ende bei einigen Sitzungsteilnehmern blaue Flecken bewirkte, gleich unter dem zweiten Tagesordnungspunkt ins Rollen. Da stand der Wirtschaftsplan des Bauhofes für 2019 zur Beratung und Beschlussfassung an. Und ohne grosse Vorreden forderte Kohl, unterstützt von Peter Butzbach, die “Wiedereinrichtung” der Gemeindearbeiterstelle für seinen Ortsbezirk zum 1.1.19. Wolfgang Kleudgen setzte noch einen drauf. Sein Antrag sah vor die “Gemeindearbeiter” für alle vier Stadtbezirke zu sichern.

“zentrale Steuerung spart”

Dieses Ansinnen stieß bei Bürgermeister Heinrich auf klaren Widerspruch. Die “Gemeindearbeiter” seien nicht effektiver. Und die Ortsbeiräte nicht zuständig für die Personalplanung des Bauhofes. Diese könnten zwar Resolutionen verabschieden. Aber “auch ich wünsche viele Sachen und kriege sie nicht”, stellte der Bürgermeister klar um dann fortzufahren: “Ohne Gemeindearbeiter ist halt keiner vor Ort, der auf Weisung des Ortsvorstehers ein paar Müllbeutel wegschafft”. Unterstützt wurde Heinrich vom Leiter des Bauhofes. Hans-Josef Kaluza führte aus, dass die zentrale Steuerung der Arbeitseinsätze Kosten spare. Wolfgang Kleudgen sah die Bauhof-Argumentation “in allen Ehren”, wies aber auf die sehr guten Erfahrungen in den vier Stadtteilen über Jahrzehnte hin.

Kleudgens Treffer

Er machte deutlich, dass diese “Gemeindearbeiter” auch als Ansprechpartner für EinwohnerInnen eine wichtige Funktion hätten. Günter Meurer (SPD) stellte sich als “nachweislich kein Winzenheimer” vor. Er habe mit Leuten aus dem Stadtteil gesprochen, die die Probleme nicht so gross gesehen hätten, wie Mirco Kohl und der Ortsbeirat. Dieses Argumentationsmuster kam Wolfgang Kleudgen und anderen sehr vertraut vor: Meurer hatte vor drei Wochen in der letzten Sitzung des Finanzauschusses fast wortgleich gesprochen. Damals waren seine namentlich nicht benannten Gesprächspartner nicht Winzenheimer, die keine Verschlechterung des Pflegezustandes beklagten, sondern Unternehmer, die nicht gegen den Tourismusbeitrag wetterten. Dieser verbale Schlagabtausch ging an Kleudgen.

“Bauhof eine Chance geben”

Danach bat Meurer darum, “dem Bauhof die Chance zu geben, das neue Feld zu bedienen”. Darauf konterte Kohl mit dem Hinweis darauf, dass der Bauhof diese Möglichkeit in Winzenheim ja schon seit elf Monaten habe – und nicht nutze. Er bestritt den Vorwurf Heinrichs, die Ortsvorsteher übten ein Weisungsrecht gegenüber den Gemeindearbeitern aus. Er führte konkrete Defizite an und legte dar, dass es eben für die Sauberkeit einen Unterschied mache, ob die Scherben auf dem Spielplatz wie früher drei oder wie heute nur noch ein mal in der Woche eingesammelt würden. Sein Appell: “Lassen Sie uns an dem festhalten, was sich vor Ort über Jahrzehnte bewährt hat”. Dem widersprach Erich Menger (SPD): “Ich verwahre mich dagegen, dass der Bauhof das nicht so gut macht, wie der Mitarbeiter vor Ort”.

“dezentral vor zentral”

Das verführte Wolfgang Kleudgen zu dem Hinweis, dass “die SPD in Winzenheim eben nicht so stark aufgestellt ist, dieser Eindruck drängt sich mir auf.” Seine Forderung: “dezentral vor zentral”. Die Gemeindearbeiter seien die “ersten Ansprechpartner vor Ort” und ähnlich wertvoll wie Sozialarbeiter. Lothar Bastian von den Grünen unterstützte die Anträge von Kohl und Kleudgen aus Winzenheim “auf das Schärfste”. Er wies den Bürgermeister darauf hin “indirekte Effekte zu übersehen”. Die “Gemeindearbeiter” seien engagierter, als “hingeschickte Kräfte”. Darauf reagierte Bürgermeister Heinrich mit einem Machtwort: “Wir setzen zentral ein. Das entscheide ich als Dezernent”.

“umgesetzt wird es sowieso nicht”

Und nachdem Jürgen Locher (Linke) ihm Unterstützung zusagte, lief Heinrich zur Höchstform auf. Die Befürworter der “Gemeindearbeiter” könnten fordern und beschliessen, was sie wollen: “Umgesetzt wird es sowieso nicht”. Die dezentrale Lösung widerspreche den Grundsätzen von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit. Konkret drohte Heinrich für den Fall, dass entgegen seinem Votum die Stellen für “Gemeindearbeiter” in seinen Stellenplan hineingezwungen würden, die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion ADD einzuschalten. “Die streicht die dann wieder”. Zudem sei der Ausschuss “für die Stellenbesetzungen zum Glück ja nicht zuständig”.

“nicht den Notarzt rufen müssen”

Darauf folgte die Abstimmungsniederlage für den Verwaltungsvorschlag. Anschliessend die Diskussion über den Kleudgen-Antrag. Der Antragsteller blieb zunächst gewohnt sachlich, sah sich dann aber hämischen und persönlichen Kommentaren aus Reihen der SPD ausgesetzt und war dadurch erkennbar angefasst. Erich Menger riet Kleudgen ruhig zu bleiben, “damit wir nicht den Notarzt rufen müssen”. Ohne die Bereitschaft auf diesem Niveau weiterzustreiten und angesichts der ihm erst zugesagten und dann verweigerten Abstimmung, kehrten Kleudgen und drei weitere Mitglieder dem Gremium dann den Rücken.