“Radwege als Beitragsargument missbraucht”

Am Europaplatz entsteht 2019 für über 2 Millionen Euro ein Mobil- und Infopunkt samt überdachter Fahrradstation mit 400 Abstellplätzen. Im IVEK (Integriertes Verkehrs- und Entwicklungskonzept) hat sich Bad Kreuznach vorgenommen den innerstädtischen Radverkehr von 11% auf 15% bis 20% ansteigen zu lassen. Aber um den Tourismusbeitrag zu rechtfertigen stellt die Stadtverwaltung klar: Radfahren ist nur etwas für den Fremdenverkehr.

Das glauben Sie nicht? Steuerberater Martin Reiber, der die Papiere der Stadt analysiert und für die letztlich erfolgreichen Verfahren beim Verwaltungsgericht widerlegt hat, dachte auch zuerst an einen Tippfehler. Aber die Rückfrage bei der Verwaltung bestätigte deren Behauptung: 95% Prozent des Ansatzes für Radwege in einer Auflistung der Stadt sollen als “touristische Leistung” von den Beitragszahlern aufgebracht werden. Nur 5% werden als “Gemeindeanteil” eingeschätzt. In nackten Zahlen bedeutet dies: 24.000 Euro Aufwand für Radwege sollen nach dem Willen der Stadt zu 22.000 Euro beitragsfähigen Kosten führen. Spätestens beim Oberverwaltungsgericht werden die Verantwortlichen lernen, dass da wohl einer mit einem Platten unterwegs war, ist sich Antonio Valentino sicher.

Er hatte dem Verwaltungsgericht schon im März schreiben lassen, dass er ausserhalb von Sportveranstaltungen noch nie einen Reisebus mit Fahrradanhänger im Stadtgebiet gesehen hat. Und nur sehr selten einen Pkw mit landkreisfremden Kfz-Kennzeichen, an dem ein Fahrradhalter befestigt war. Valentino schlussfolgerte daraus: “Wer keine Fahrräder mitbringt kann vor Ort nur in die Pedale treten, wenn er welche mietet.” Das ist zwar möglich. Aber nur in wenigen Dutzend Fällen am Tag. Denn mehr Mietfahrräder stehen gar nicht zur Verfügung. Die entsprechende Behauptung der Stadt aus dem März 2018 widerspricht auch krass der vom Rat der Stadt beschlossenen Verkehrsplanung. Im IVEK, das aus dem Jahr 2016 stammt, sind zum Radverkehr eine ganze Reihe von Vorgaben festgehalten.

So soll dieser mit acht bis achtzehn Euro je EinwohnerIn jährlich gefördert werden (das wären zwischen 400 TEuro und 900 TEuro) und sich von der Zahl der per Rad zurück gelegten Strecken fast verdoppeln. Wohlgemerkt die Fahrradnutzung durch die ortsansässige Bevölkerung. Wenn diese Werte erreicht würden stünden diesen 5% von Einheimischen geradelten Verkehrsbewegungen (zusammen sind dies jährlich Millionen) in der Beitragslogik der Stadt die von Touristen bewältigten Radfahrten mit 95% umgerechnet also dreistellige Millionenbewegungen gegenüber. Damit läge Bad Kreuznach im internationalen Fahrradnutzungsranking weit vor Städten wie Amsterdam. Der Blick in die örtlichen Strassen zeigt: das stimmt nicht. “Ich finde es schade, dass die Stadt Radwege als Beitragsargument missbraucht”, stellt Antonio Valentino dazu fest. “Wer so was behauptet müsste dafür vom Ordnungsamt ein Knöllchen bekommen, wie ein Falschparker auf einem Radweg”.

 

Das Verkehrslexikon.de erklärt: Schutzstreifen für Radfahrer – Angebotsstreifen

Der auch als Angebotsstreifen oder sogar als Suggestivstreifen bezeichnete Schutzstreifen für Radfahrer wurde 1977 bei Zeichen 340 (Leitlinie) in § 42 Abs. 6 Nr. 1 g StVO eingeführt:

Hierüber hinaus enthalten die Verwaltungsvorschriften zu § 42 StVO Zeichen 340 Leitlinie noch weitere Ausführungen. Es handelt sich nicht um Radwege und auch nicht um Sonderwege (wie bei Zeichen 237), denn die Markierung nach § 39 Abs. 3 StVO weist keinen Radweg aus. Die Schutzstreifen sind Bestandteil der Fahrbahn, aber selbst keine Fahrstreifen (daher gilt für andere Fahrzeuge auf ihnen auch nicht das Rechtsfahrgebot): schließlich sind die Schutzstreifen auch nicht ausschließlich den Radfahrern vorbehalten, sondern die Leitlinie darf von anderen Fahrzeug “bei Bedarf” überfahren werden.

Die manchmal gestellte Frage, ob Kfz auf dem Angebotsstreifen parken dürfen, ist rein akademischer Natur, da bei Einrichtung eines Radfahrerschutzstreifens stets die gleichzeitige Anordnung eines absoluten Haltverbots zwingend vorzunehmen ist, vgl. insoweit auch Nr. 4.2 der Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (ERA 1995/2010):
 

   “Ruhender Verkehr auf der Fahrbahn widerspricht den Zweckbestimmungen des Angebotsstreifens. Straßen mit Parkdruck und Liefer- und Ladeverkehr sind deshalb für die Einrichtung von Angebotsstreifen nicht geeignet. Parken ist außerhalb der Fahrbahn, z. B. in Parkbuchten, vorzusehen, erforderlichenfalls sind Haltverbote (Zeichen 283 StVO) anzuordnen und durchzusetzen.