Stadtratssitzungen online? (II)

Keiner hat klar “Nein” gesagt. Ein uneingeschränktes “Ja” gab es aber auch nicht. Ausser von der Verwaltung. Die meint es offenbar ernst und möchte tatsächlich ermöglichen, dass Bürgerinnen und Bürger Sitzungen des Rates der Stadt und seiner Ausschüsse mit- bzw nachhören können. Das käme einem kommunalpolitischen Quantensprung gleich. Zwar gilt seit zwei Jahren das Landestransparenzgesetz und damit der Grundsatz der Öffentlichkeit für fast alle Sitzungen. Aber dort sind die Akteure oft unter sich. Manchmal beobachtet von Pressevertretern.

Mehr Information

Denen steht für eine mehrstündige Sitzung nur ein sehr begrenzer Platz für Berichterstattung zur Verfügung. Massenhaft interessante Details, Wortmeldungen, Kommentare und Verhaltensweisen der gewählten Mandatsträger werden daher den Bürgerinnen und Bürgern vorenthalten. Die haben zwar formal alle das Recht an den Sitzungen teilzunehmen. Aber wenn schon nur 15 der 50.000 Berechtigten kommen gibts keine Sitzplätze mehr. Der Antrag von Gaessjer FM die Sitzungen aufzuzeichnen und dann online für alle zum Anhören anzubieten (diese Seite berichtete am 1.6.18) stellt also eine echte Lösung für mehr Information dar. Und das für ganz wenig Geld.

“als Depp oder Idiot dastehen”

Doch statt heller Freude rief die Initiative der engagierten Mitbürger Marc Bremmer und Yuliyan Ilev
, aus dessen WG-Zimmer in der Engelsgasse gesendet wird, im Hauptausschuss am 4.6.18 die Bedenkenträger auf den Plan. SPD-Fraktionschef Andreas Henschel sprach sich zwar für das Projekt aus (“ich persönlich habe kein Problem damit”), brachte aber zum Ausdruck, dass die Meinungsbildung in der Genossen-Fraktion noch ausstehe. Wohin die laufen könnte sprach er offen aus: “Wir sind alle keine Profis und müssen dann gut überlegen, bevor man da als Depp oder Idiot dasteht”.

Erst in 2 Jahren?

Linken-Stadtrat Jürgen Locher machte Bedenken dagegen geltend nur mit Gaessjer FM zusammenzuarbeiten. Er schlug vor, dass die Stadt die Aufzeichnungen selbst fertigt und dann zur Verbreitung zur Verfügung stellt. Dagegen regte sich Widerspruch, weil das zwangsläufig mit erheblichen Kosten verbunden ist. Spontane Zustimmung erntete Locher dagegen für seine Anregung aus Gründen der Tonqualität die Mitschnitte erst im neuen Sitzungssaal zu ermöglichen. Dem widersprach nur das Ausschussmitglied Karl-Heinz Delaveaux. Der wiess darauf hin, dass es dann mit den Übertragungen ja noch “zwei Jahre” dauern könne, weil das Casinogebäude sich im Sanierungsumbau befindet.

Hauptsatzung ändern

Hermann Blaesius (Grüne) hält aus Datenschutzgründen Regelungen für die Einwohnerfragestunde und Verwaltungsmitarbeiter für erforderlich. Jürgen Eitel (FDP) sprach offen aus, was sich alle wünschten, denen die Dokumentation ihres kommunalpolitischen Schaffens suspekt erscheint: er regte, wie zuvor andere Redner, an sich Zeit zu nehmen und eine Arbeitsgruppe zu der Frage einzusetzen. Was das bedeutet weiss Oberbürgermeisterin Dr. Heike Kaster-Meurer und stellte zur Eindämmung weiterer Verzögerungsvorschläge klar: “Sie machen hier keinen Beschluss, dass Sie ab morgen abgehört werden!”. Und so wurde die Vorlage schliesslich bei 2 Enthaltungen angenommen: “Der Hauptausschuss bittet die Verwaltung 1. eine entsprechende Änderung der Hauptsatzung vorzubereiten, 2. mit den Verantwortlichen von Gaessjer FM ein Projekt auszuarbeiten”.

Um die dunkelsten Punkte bereinigt

Eine handvoll Zuhörer der Hauptausschusssitzung diskutierte nach dem Ende des öffentlichen Teils noch lange, was von den einzelnen Wortmeldungen zu halten ist. “Die machen sich Gedanken, wie sie in der Tonkonserve rüberkommen und bezeichnen sich diesbezüglich als “keine Profis” – treffen aber millionenschwere Entscheidungen, als ob sie das gelernt hätten”, war einer der Kommentare. Und in der Tat. Von der Chance die eigene Sachkompetenz via Aufzeichnung vielen Bürgerinnen und Bürger zu vermitteln, hatte kein einziges Ausschussmitglied gesprochen. Und davon – zumindest bei einer ganzen Reihe von Themen – schlicht überfordert zu sein natürlich auch nicht. Nur die Selbstdarstellung zählt. Aber nicht wie von GaessjerFM angekündigt “unkommentiert und uneditiert”, sondern dann doch lieber mit kleinen Lobhudeleien versehen, mindestens aber um die dunkelsten Punkte bereinigt.